Eine Schauspielerin schockt in Cannes
Die Italienerin Asia Argento ist ein künstlerisches Multitalent. Bei der Preisverleihung spricht sie an, was ihr 1997 an der Côte d’Azur geschehen ist
Eigentlich stehen bei einer Preisverleihung die Ausgezeichneten im Mittelpunkt. Normalerweise reißen ihre Gefühlsausbrüche das Publikum mit. Dieses Mal rüttelte bei der Verleihung der Goldenen Palme und all der anderen Auszeichnungen in Cannes jemand anderes die Zuschauer durch: Die italienische Schauspielerin Asia Agento sollte bei den Filmfestspielen den Darstellerinnenpreis mit vergeben. Statt der üblichen, abgelesenen Laudatio feuerte sie ein selbst formuliertes Statement ab: „1997 bin ich von Harvey Weinstein hier in Cannes vergewaltigt worden. Ich war 21 Jahre alt. Das Festival war sein Jagdrevier“, begann die zierliche Schauspielerin mit Furor ihre Rede – und 3000 Zuhörer waren hörbar schockiert.
Die Frau, die dem Publikum in Cannes so ins Gewissen redete, kam schon früh in Kontakt mit dem Filmgeschäft: Die 42-Jährige ist die Tochter der Schauspielerin Daria Nicolodi und des Regisseurs Dario Argento, der zu den prägenden Figuren des Horror- und SlasherFilms seiner Generation gehört. Vor der Kamera stand Argento erstmals im Alter von neun Jahren für die Miniserie „Sogni e bisogni“. Es folgten zahlreichen Rollen für Kinofilme. Meist spielte sie in europäischen IndependentProduktionen mit. Mit ihrem Vater als Regisseur arbeitete sie erst zusammen, als sie in anderen Filmen positive Kritiken bekommen hatte. Argento erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter zwei Mal den italienischen Filmpreis als beste Schauspielerin („Let’s Not Keep in Touch“und „Traveling Companion“). Seit Mitte der 90er Jahre führte sie auch selbst vermehrt Regie. 2014 erschien ihr dritter Spielfilm „Missverstanden“über ein einsames junges Mädchen, für den Argento auch das Drehbuch geschrieben hat. Mit „I love you Kirk“hat das künstlerische Multitalent auch schon einen Roman vorgelegt. Als Musikerin war Argento auch schon zu hören. Im Herbst vergangenen Jahres wurde die Italienerin einer noch größeren Öffentlichkeit aus anderen Gründen bekannt. Damals gehörte sie zu den ersten Frauen, die ihre Stimme gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein erhoben und ihn beschuldigten, sie vergewaltigt zu haben. Seitdem forderte sie wiederholt Aufklärung und Verfolgung der Täter sexuellen Missbrauchs.
Dies wiederholte sie am Samstagabend bei der Abschlussgala des Filmfestivals Cannes, als sie den Filmemacher Harvey Weinstein angriff. Vieles habe sich zwar getan, doch noch „heute Abend sitzen welche unter uns, die zur Verantwortung gezogen werden müssen. Ihr wisst, wer ihr seid. Aber am wichtigsten ist, dass wir wissen, wer ihr seid. Wir lassen euch nicht davonkommen.“