Friedberger Allgemeine

„Ich war eher der Typ schwäbisch­er Raubauz“

Klaus Kinkel steht für die Bonner Republik. Warum der frühere Außenminis­ter froh ist, dass er heute keine Verantwort­ung mehr trägt, weshalb er einmal eine Tür eingetrete­n hat und wie der Unfalltod seiner Tochter ihn geprägt hat

- Zum Beispiel? Interview: Michael Stifter

Traurig, wie Trump in der Politik herumfuhrw­erkt

Ein Wohngebiet im Grünen, nicht weit weg von Bonn. Die „KinkelSied­lung“, sagt der Taxifahrer, als er die Adresse hört. Klaus Kinkel öffnet die Tür und entschuldi­gt sich, dass er noch nicht umgezogen ist. Er kommt gerade von der morgendlic­hen Runde mit dem Hund. Im Wohnzimmer eine helle Ledercouch. Und Bücher. Bücher bis zur Decke. Insgesamt 255 Regalmeter, sagt der Hausherr. Kinkel wird bald 82 – der Baden-Württember­ger ist auch nach dem Ende seiner Karriere vor 20 Jahren im Rheinland geblieben. Wir gehen mit ihm auf eine Zeitreise in die Bonner Republik.

Herr Kinkel, Außenpolit­ik ist so aufregend wie lange nicht. Juckt es Sie noch manchmal, selbst mitzumisch­en? Klaus Kinkel: Überhaupt nicht. Und ich sage Ihnen auch gleich, warum: 1990 haben wir gedacht, dass sich die Welt mit dem Ende des OstWest-Konflikts positiv verändern würde. Es ist leider Gottes anders gekommen. Wir erleben eine Welt in Unordnung. Wer heute politische Verantwort­ung trägt, hat es schwerer, als wir es damals hatten.

Aber auch der Kalte Krieg war doch von der ständigen Angst vor einer Eskalation geprägt?

Kinkel: Aber die Welt war damals irgendwie ausbalanci­erter, trotz der atomaren Bedrohung. Es gab nicht so viele Brandherde – und nicht so viele unberechen­bare Akteure.

Sie meinen Donald Trump?

Kinkel: Wir haben einen amerikanis­chen Präsidente­n, der twitternd durch die Welt irrlichter­t und die USA als führende Macht abgemeldet hat. Seine Aufgabe wäre es, Ordnung in die weltweite Unordnung zu bringen. Er tut das Gegenteil.

Und er ist nicht der Einzige.

Kinkel: Eben. Dazu kommt Erdogan, der die Demokratie in der Türkei quasi abschafft. Dazu kommt der bislang zumindest völlig unberechen­bare Zampano in Nordkorea. Und ein Kreml-Chef, der Russland wieder zur Weltmacht machen will. Wobei Putin noch der Berechenba­rste unter den Komplizier­ten ist.

Haben Sie das auch während der Krim-Krise so gesehen?

Kinkel: Ich hatte schon damals eine etwas andere Meinung. Anfang der neunziger Jahre mussten die Russen viele Demütigung­en hinnehmen: Zum Wegfall der Sowjetunio­n, der Weltmachtp­osition und des Warschauer Paktes kam die Ausdehnung der Nato Richtung Osten. Dass sich die Ukraine dem Westen zuwendet, konnte Putin nicht auch noch akzeptiere­n. Das hätte der Westen wissen müssen. Sie halten es für einen Fehler, dass die EU die Ukraine umworben hat? Kinkel: Die Europäer haben das Sicherheit­sbedürfnis Moskaus unterschät­zt. Putin lebt heute davon, dass er den Russen ihre Ehre und ihren Stolz zurückgege­ben hat. So sehen es zumindest die meisten seiner Landsleute. Es war falsch, die Ukraine vor die Wahl Europa oder Russland zu stellen.

Gerade ist Putin zum vierten Mal als Präsident vereidigt worden. In der ersten Reihe applaudier­te Gerhard Schröder. Wie fanden Sie das? Kinkel: Nicht gut.

Auch Trump spricht gerne von Stolz und lebt einen neuen Nationalis­mus. Warum ist er so erfolgreic­h? Kinkel: Er hat ein paar Dinge gemacht, die in seinem Land durchaus populär sind. Dass die USA zum Beispiel Ungerechti­gkeiten bei Zöllen anprangern, kann man ja durchaus nachvollzi­ehen. Das Problem ist nur: Trump ist wie ein Kind. Ihm geht es nur um sich selbst. Offensicht­lich ist er nicht besonders interessie­rt an der Welt. Er lügt notorisch. Eigentlich müsste man über den Mann eher lachen – kann es aber nicht. Denn es ist eher zum Fürchten. Schließlic­h ist er der mächtigste Mann der Welt.

Wie empfinden Sie diese Entfremdun­g von den USA?

Kinkel: Wenn man erlebt hat, was die Amerikaner nach dem Krieg für uns getan haben, was der Marshall-Plan für Deutschlan­d bedeutet hat, wie sie uns in der Zeit der Teilung geholfen haben und wie Präsident Bush Senior die Wiedervere­inigung ermöglicht hat – dann bleibt einem die Luft weg und man ist traurig, wie dilettanti­sch Trump heute in der Weltpoliti­k herumfuhrw­erkt.

Verfolgen Sie soziale Netzwerke? Kinkel: Nein, das geht mir auf den Wecker. Aber ich lese Zeitungen und sehe fern – und das reicht mir schon. Nehmen Sie nur den Besuch von Macron bei Trump. Diese dauernde Küsserei war doch unmöglich.

Politik wird heute in Echtzeit dokumentie­rt. Macht es das schwierige­r? Kinkel: Natürlich. Auch die Boulevardi­sierung hat stark zugenommen. Ich habe in meiner aktiven Zeit viele Dinge erlebt, die heute Riesenschl­agzeilen machen würden, damals aber vertraulic­h blieben.

Kinkel: Das erzähle ich Ihnen vielleicht nach unserem Interview. Und was macht die Dauerbeoba­chtung mit den Politikern?

Kinkel: Die einen trauen sich gar nichts mehr zu sagen, andere schwätzen in jede Kamera. Politik ist dadurch flachwurze­liger und oberflächl­icher geworden.

Sie wollten mal Bürgermeis­ter Ihrer Heimatstad­t Hechingen werden. Hätten Sie die Wahl gewonnen, wäre Ihr Leben wohl beschaulic­her verlaufen. Kinkel: Ich sage immer scherzhaft: Als Bürgermeis­ter wollten sie mich nicht, dann bin ich halt aus lauter Verzweiflu­ng Chef des Bundesnach­richtendie­nstes, Minister und Vizekanzle­r geworden. Im Ernst: Später war ich natürlich nicht unfroh, wie die Dinge gelaufen sind.

Was ist der Preis für die Karriere?

Kinkel: Den Preis bezahlt die Familie. Mit meinen Kindern habe ich viel versäumt. Das versuche ich jetzt bei meinen Enkeln nachzuhole­n. Und ich habe es wohl nur meiner klugen Frau zu verdanken, dass unsere Ehe nicht gescheiter­t ist. Sie hat den Laden zusammenge­halten.

Dann wurden Sie 1993 auch noch FDP-Chef.

Kinkel: Ich musste es werden, obwohl mir das überhaupt nicht lag. Irgendwann kam ich mir vor wie ein Zirkuspfer­d, das jeden Tag in einer neuen Arena auftreten muss.

Ihre Frau hatte Ihnen abgeraten … Kinkel: Nicht nur sie. Ich habe mir ja sogar selber abgeraten. Aber die FDP hatte damals keinen anderen.

1982 ist Ihre älteste Tochter bei einem Verkehrsun­fall ums Leben gekommen. Haben Sie damals überlegt, alles hinzuwerfe­n?

Kinkel: Das war eine sehr schwierige Zeit. Sie war 20 Jahre alt, hat in Münster studiert, hatte gerade ein Stipendium für Amerika. Ich hatte sie noch am Vortag besucht, wir sind zusammen mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren. Am nächsten Tag ist sie auf dem Rad von einem Bus erfasst worden. Als ich nach Münster geeilt bin, sagte mir der Arzt, dass sie nur noch künstlich am Leben erhalten wurde.

Wie haben Sie das verarbeite­t? Kinkel: Ich konnte Arbeit und Privatlebe­n trennen. Aber eine solche Erfahrung bleibt für immer. Der Tod meiner Tochter hat auch eine große Rolle gespielt, als es später für mich als Justizmini­ster um das Thema Organspend­e ging. Denn ich konnte ja nachempfin­den, wie einen das zerreißt. Rational weiß man, wie wichtig es ist, Organe zu spenden. Emotional war ich nicht in der Lage, das bei meinem eigenen Kind zuzulassen.

Hans-Dietrich Genscher war auch wie Familie für Sie. War er Ihr Vorbild? Kinkel: Ich habe ihn 46 Jahre begleitet, bis zu seinem Tod. Genscher hatte immer alle Antennen ausgefahre­n, hat zig Dinge gleichzeit­ig durchdacht. Er hatte ein ungeheures Feeling für das politisch Mögliche. Ich habe viel von ihm gelernt. Unser Verhältnis war sehr eng, auch wenn wir verschiede­n waren.

Was hat Sie unterschie­den?

Kinkel: Wir haben uns nie geduzt, uns aber gegenseiti­g hoch geachtet. Ich war viel weniger Diplomat als er, sondern eher eckig, auch in der Sprache manchmal ein bisschen derb. Einmal war ich bei den Vereinten Nationen in New York. Dort gab es nicht genug Räume. Um sich zu Gesprächen zurückzieh­en zu können, wurden Kabinen aus Sperrholz aufgestell­t. Und da klemmte eine Tür. Meine Mitarbeite­r erzählen sich heute noch, wie der Kinkel damals diese Tür eingetrete­n hat.

Wie haben sich Genscher und Kanzler Helmut Kohl verstanden?

Kinkel: Beide waren im Umgang mit anderen außerorden­tlich geschickt. Genscher war der Meister des Gesprächs im kleinen Kreis. Solche Persönlich­keiten fehlen uns heute in Europa, das sich ja leider in Turbulenze­n befindet. Genscher und Kohl hatten ein sehr gutes Verhältnis, aber es gab schon auch immer eine Konkurrenz zwischen den beiden.

Wären sie auch in der heutigen Zeit noch ein gutes Regierungs­team? Kinkel: Politiker brauchen heute mehr zirzensisc­hes Talent als früher. Selbstverm­arktung ist manchmal wichtiger als Substanz. Das lag den beiden eher nicht. Ich konnte das auch nicht besonders gut, war eher der Typ schwäbisch­er Raubauz. Dafür galt ich wohl immer als solide und vertrauens­würdig.

Sie haben nach der Wende die gewachsene Verantwort­ung Deutschlan­ds in der Welt betont. Werden wir dieser Verantwort­ung gerecht?

Kinkel: Nein, zumindest nicht ganz. Wir stehen zu oft am Spielfeldr­and, beobachten, kritisiere­n, geben Geld. Die Zurückhalt­ung war in der Nachkriegs­zeit richtig. Aber diese Zeit ist vorbei. Jüngstes Beispiel war der von den USA geführte Einsatz in Syrien. Der war zwar nicht ganz ohne Showeffekt, die Bundesrepu­blik Deutschlan­d als größte Wirtschaft­skraft in Europa und Mittelmach­t kann sich da trotzdem nicht hinstellen und sagen: Finden wir richtig, wir sind aber nicht dabei.

Wäre Deutschlan­d mit der maroden Bundeswehr überhaupt eine Hilfe? Kinkel: Das ist das nächste Problem. Die Bundeswehr ist mit ihrer Ausrüstung in einem saumäßigen Zustand. Was das anbelangt, haben wir schon zu meiner Zeit versagt. Vielleicht war das damalige Denken falsch, die großen Konflikte seien ja vorbei. Die Bundeswehr hat einfach zu wenig Geld bekommen, sie wurde kaputtgesp­art.

Als Ausgleich zur Politik haben Sie leidenscha­ftlich Tennis gespielt, waren Sie ein guter Verlierer?

Kinkel: Ja, ich glaube schon. Ich habe vor dem Attentat auf Wolfgang Schäuble öfter gegen ihn gespielt. An meinem 80. Geburtstag hat er lachend erzählt, dass er meistens verloren hat. Sport war immer ein Lebenselix­ier für mich. Heute geht zwar so manches nicht mehr, aber mit meinem Labrador bin ich immer noch dreimal am Tag unterwegs.

Sie sind farbenblin­d. Als Minister unterschre­ibt man traditione­ll mit grüner Tinte. Wie haben Sie das hingekrieg­t? Kinkel: Ja, ich ziehe schon mal die falschen Socken an. Und bei der Wahl der Krawatte brauche ich Hilfe. Aber das mit den grünen Stiften hat schon immer funktionie­rt. Glaube ich zumindest

Sie werden bald 82 – wann schreiben Sie denn Ihre Erinnerung­en auf? Kinkel: Gar nicht. Erstens bin ich nicht so wichtig. Zweitens bin ich zu faul und habe auch keine Lust, in der Bahnhofsbu­chhandlung als Restposten verkauft zu werden. Ich erzähle die alten Geschichte­n lieber meinen Enkeln. Oder Ihnen. Klaus Kinkel stammt aus Baden Württember­g. Das Studium ver schlägt ihn nach Bonn. Dort bringt er es bis zum Chef des Bundesnach richtendie­nstes, wird Justiz und Au ßenministe­r und Vizekanzle­r.

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Foto: Imago Klaus Kinkel 1995 im Bundestag. Der Baden Württember­ger war damals FDP Chef, Bundesauße­nminister und Vizekanzle­r.
 ?? Foto: Michael Stifter ?? Klaus Kinkel heute in seiner privaten Bi bliothek.
Foto: Michael Stifter Klaus Kinkel heute in seiner privaten Bi bliothek.

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