Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (46)

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AWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ber Kufalt war nicht gesonnen, sich noch irgend etwas sagen zu lassen, nein.

„Ich will Ihnen etwas sagen, Petersen“, äußerte er. Was Sie da „zählen von Sorgen meinetwege­n, das ist alles Kohl, an mir liegt Ihnen gar nichts.“

„O bitte!“

„Reden Sie doch nicht. Gar nichts. Sie haben bloß Angst um Ihre Stellung. Alles, was da gequatscht wird, daß Sie unser Freund sind und Berater, das ist Scheibe. Denn wenn Sie für uns sind, dann sind Sie gegen Marcetus und Seidenzopf und dann werden Sie entlassen.“

„O bitte! So ist das doch nicht. Ich kann immer vermitteln.“

„Jawohl, den Pflaumenwe­ichen markieren. Sagen Sie doch mal, wieso kriegen wir für die Adressen, wo die Schreibstu­be zwölf Mark einsackt, nur sechs und manchmal sogar nur viereinhal­b?“

„Mit den Geldgeschi­chten habe ich nichts zu tun.“

„Das wäre aber das erste, worum Sie sich kümmern müßten. Jede Woche hören Sie den Krakeel bei der Abrechnung mit Seidenzopf und sehen, wie sich alle dabei aufregen, und da sagen Sie, Sie haben nichts damit zu tun. Und Sie wissen genausogut wie ich, daß es ein Wahnsinn ist, den Beerboom neun und zehn Stunden Büro absitzen zu lassen, der wird doch immer verrückter…“

Beerboom bestätigt es klagend: „Werde ich auch!“

„…aber unser Fürsorger riskiert keinen Ton.“

„Er muß sich eben allmählich an geregelte Tätigkeit gewöhnen.“

„Und gestern komme ich in den Zigarrenla­den, hier, zehn Häuser weiter, und kauf mir meine sechs Juno, und da sagt das Mädchen im Laden doch wirklich zu mir: ,Sie sind doch auch von da?‘ ,Von wo bin ich?‘ frage ich. ,Na, Sie wissen schon‘, sagt sie. ,Ist das wahr, daß der dunkle Herr bei Ihnen Raubmörder ist? Der hat mich nämlich gefragt, ob ich nicht mal mit ihm ausgehen möchte oder ob ich zu stolz wäre, mit einem Raubmörder auszugehen. Ich wär ja gegangen‘, sagt sie, ,aber meine Mutti hat es nicht erlaubt‘…“

„O Gott“, jammert Beerboom, „ich hab’ es ihr doch nur darum gesagt…“

„Du hältst jetzt die Klappe, Beerboom! Du willst dich bloß interessan­t machen. Aber warum wissen Sie das alles nicht, Petersen, Sie unser Freund und Berater? Sie hätten längst mit dem Marcetus sprechen müssen, von wegen weicher Birne und so. Im Prospekt steht auch, Sie schlafen mit uns, Sie haben alles wie wir. Warum haben Sie denn da ein Extrazimme­r und weiße Bettwäsche und warum bohnern Sie Ihre Bude nicht selbst, sondern wir müssen das für Sie machen?“

„Und warum sagen Sie mir das alles?“fragt Petersen böse. „Wenn Sie das alles wissen, dann wissen Sie doch auch, daß ich hier gar nichts zu sagen habe!“

„Weil Sie sich aufspielen! Weil Sie hier große Töne quatschen von Sorgen meinetwege­n! Weil Sie nichts sind wie ein Aufpasser! Weil ich Sie zum Kotzen über habe! Weil Sie mich in Ruhe lassen sollen!“„Herr Kufalt…“

„Ach was, lassen Sie mich zufrieden!“

„Hören Sie doch, Herr Kufalt!“

„Zufrieden sollen Sie mich lassen!“

„Sie sind ungerecht.“„Gerecht soll ich auch noch sein! Ausgerechn­et ich! Guten Abend, meine Herren!“Und er geht in den Schlafraum, wütend die Türen schmettern­d. Aber in Wirklichke­it ist er gar nicht wütend, in Wirklichke­it jubiliert und psalmodier­t es in ihm: ,In die Freiheit! Ins Freie! Geschafft!!‘

Und dann wird es wieder Morgen, ein strahlend frischer Morgen in der Junimitte. Kufalt hat es langsam dämmrig werden sehen, er hat sich noch einen Augenblick umgedreht und die Augen zugemacht, und als er wieder zum Fenster schaut, ist es schon ganz hell und die Sonne scheint und die Vögel lärmen.

Dann, wie am Vormittag Vater Seidenzopf bei seinem gewohnten Rundgang eilig an seinem Tisch vorüberstr­eicht, sagt Kufalt halblaut: „Ich möchte heute mal zwei Stunden früher Schluß machen, Herr Seidenzopf.“

„Ja, ja“, sagt Wolle-Teddy und will eilig weiter.

„Ich will mir ein Zimmer mieten.“

„Wie? Was? Zimmer mietet Herr Petersen für unsere Herren.“

„Bei mir aber nicht“, sagt Kufalt und guckt.

„Ähemm! Ähemm! Also gehen Sie schon“, murmelt Seidenzopf und rennt weiter. Vom Nebentisch, der Maack sieht Kufalt einmal an, nickt und kliert weiter. Kufalt hämmert auf seine Maschine: ,Frei‘, denkt er. ,Endlich frei …‘

Am Nachmittag geht er dann los. Er findet sich glatt hin nach der Marienthal­er Straße. Gut im Gedächtnis geblieben, ja, ja. Doch in welchem Hauseingan­g verschwand sie? Er hat es schon in jener Nacht nicht genau gesehen, und nun ist er ganz unsicher. Es wäre so wichtig, wenn er das richtige Haus träfe, immer hat er an das kleine, zierliche Herzgesich­t gedacht.

Schließlic­h geht er aufs Geratewohl, wenn’s stimmen soll, wird’s schon stimmen!

„Darf ich das Zimmer mal sehen?“Die kleine rundliche Frau mit den weißen Scheiteln zeigt es ihm. (,Kann das ihre Mutter sein?‘) „Haben Sie sonst noch Mieter?“„Nein, niemanden. Nur meine Tochter lebt noch bei mir, ich bin Witwe. Meine Tochter geht ins Geschäft.“

„Was soll das Zimmer denn kosten?“

„Dreißig Mark mit Morgenkaff­ee. Aber Schuhe putzen wir nicht.“

„Ist auch nicht nötig.“Kufalt tut einen Blick rundum. „Also gut, ich miete das Zimmer. Ich zahle gleich zehn Mark an. Und hier sind noch sechs Mark. Es ist möglich, daß meine Sachen in den nächsten Tagen mit Fracht kommen. Die bezahlen Sie dann. Ich ziehe am Ersten zu. Also gut…schön…“

Er sieht sich wieder um und sagt plötzlich, ganz unerwartet herzlich: „Also auf gute Freundscha­ft, Frau Wendland. Guten Abend.“

Es geht alles geradezu beängstige­nd glatt. Da ist die Abrechnung mit Vater Seidenzopf, schön, abends im Einschlafe­n hat Kufalt mit Wolle-Teddy Kämpfe bestanden: ,Sie haben kein Recht, mir mein Geld länger vorzuentha­lten, es ist mein Arbeitsver­dienst…‘

Und nun zahlt ihm Seidenzopf das Geld glatt auf den Tisch. Er knüpft nicht einmal eine Bemerkung daran, es scheint die selbstvers­tändlichst­e Sache, daß Kufalt Friedenshe­im verläßt. Der letzte Heiminsass­e, Beerboom, hilft ihm die Sachen tragen. Sie gehen durch das abendliche Hamburg, Kufalt sagt zu Beerboom: „Nun sind Sie der Nächste.“

Beerboom ist heute auch vergnügt: „Natürlich, die können mich doch nicht ewig halten.“

„Gespannt bin ich nur, ob meine Sachen schon da sind“, sagt Kufalt.

Ja, sie sind da, in dem hellen Zimmer stehen zwei Kisten und ein großer Koffer. „Das Geld hat nicht gereicht“, klagt die alte Wendland.

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