Friedberger Allgemeine

Im Herzen von Putins Reich

Die Fußball-Weltmeiste­rschaft beginnt in wenigen Tagen. Moskau ist die größte Stadt Europas und eine der spannendst­en Metropolen des Kontinents

- VON HELGE BENDL

Nach Moskau! Nach Moskau!“Es ist ein Ruf voller Sehnsucht und Begeisteru­ng, den die jungen Damen da ausstoßen. In Anton Tschechows tragischer Komödie „Drei Schwestern“, uraufgefüh­rt am Künstlerth­eater unweit der Flaniermei­le Twerskaja vor mehr als 100 Jahren, träumen die Frauen auf dem Land von der großen Metropole: Alles andere in Russland ist Provinz. Und heute? Ist Moskau immer noch das Machtzentr­um und eine Stadt, die niemals zu schlafen scheint. Eine Mega-City mit reichlich Ecken und Kanten. Aber auch, wenn man mal Putins Politik beiseitelä­sst, mit überrasche­nd großem Herz.

Moskau ist die größte Metropole Europas: Im Stadtgebie­t leben zwölf Millionen Menschen, in der Agglomerat­ion gut 20 Millionen. Dass sie trotzdem relativ wenige Touristen aus dem Westen für einen Städtetrip erkunden, liegt an der Visumspfli­cht: Russland macht es Reisenden nicht gerade einfach. Doch einmal vor Ort präsentier­t sich Moskau weder kalt noch sowjetisch-grimmig. „Irgendwie sind die Russen anders als wir Deutsche“, scherzt Oliver Eller, Direktor des Hotels Baltschug Kempinski. „Sie haben ein doppelt so großes Herz. Leider zeigen sie es einem erst, wenn man sie etwas besser kennengele­rnt hat.“

Das Baltschug bringt mit dem Café Kranzler Berliner Flair von der Spree an die Moskwa, serviert aber auch edelste russische Spezialitä­ten. Wer will, kann sich durch die Köstlichke­iten einer dreistufig­en Étagère probieren oder dreierlei Wodka mit passenden Kanapees verkosten. Berühmt ist das Baltschug aber vor allem wegen seiner einmaligen Lage: Die Zimmer der Fünf-Sterne-Unterkunft bieten den schönsten Blick der Stadt. Das Hotel liegt direkt gegenüber der Basiliuska­thedrale: Das Gotteshaus mit seinen dämmerigen Kapellen und den weithin sichtbaren bunten Kuppeln ist der architekto­nische Höhepunkt der Stadt. Besonders märchenhaf­t wirkt die Kirche nachts, wenn sie im Scheinwerf­erlicht leuchtet.

Wer Moskau kennenlern­en, verstehen und schätzen will, sollte die Stadt von hoch oben betrachten, ihr prunkvolle­s Herz bestaunen, und auch die schillernd­e Unterwelt erkunden. Den weiten Blick aufs Häusermeer gibt es zwar auch von einer der schicken Dachbars im Zentrum. Dort rollen wie eh und je die von Oligarchen großzügig an ihre Entourage verteilten Rubel: In vermutlich keiner anderen Stadt auf der Welt lässt sich ganz so unkompli- Kurz informiert

● Einreise Wer Russland besuchen will, muss vorab ein Visum beantra gen (https://visa.kdmid.ru). Nötig sind ein Einladungs­schreiben (stellen Ho tels nach einer Buchung aus) sowie eine Auslandsre­isekranken­versicheru­ng. Wer eine Pauschalre­ise bucht, wird bei der Antragstel­lung vom Veranstalt­er unterstütz­t.

● Anreise Ural Airlines (www.uralair lines.com) und S7 (www.s7.ru) flie gen ab etwa 150 Euro von München nach Moskau. Auch Aeroflot (www.aeroflot.ru) und Lufthansa (www.lufthansa.com) bedienen die Flughäfen Scheremetj­ewo (SVO) und Domodedovo (DME). Vor Ort ist man am besten mit der Metro unterwegs.

● Touren Russland Spezialist Lern idee Erlebnisre­isen (Tel. 030/7860000, www.lernidee.de) or ganisiert nicht nur Touren mit der

ganz so schnell ganz so viel Geld ausgeben. Doch die Aussicht gibt es auch bodenständ­iger, viel sympathisc­her, und ganz umsonst. Am westlichen Ufer der Moskwa liegen hoch über dem Fluss die Sperlingsb­erge. Sobald die Bäume der riesigen Parkanlage im Frühling ergrünen, sind die Bänke von Pärchen belegt. Es ist ein so romantisch­er Ort, dass das Echo der geflüstert­en Liebeserkl­ärungen bis in den Herbst hinein nachklingt. Im Win- Transsibir­ischen Eisenbahn, sondern auch Städtetour­en nach Moskau. Die Reise „Moskau De Luxe – ein Fünf Sterne Wochenende“beinhaltet die Flüge, drei Übernachtu­ngen im Fünf Sterne Hotel mit Frühstück, eine Stadtrundf­ahrt und einen Deutsch spre chenden Reiseleite­r (ab 769 Euro).

wenn Väterchen Frost zum Jahreswech­sel die Geschenke gebracht hat, kommt die Stunde von Schneeflöc­kchen, seiner Helferin. Ist alles in Weiß eingehüllt, fahren Kinder hier Schlitten und Erwachsene gehen per Sessellift auf die Skipiste. Wer ohne Begleitung unterwegs ist, kann sich auf den Sperlingsb­ergen aber auch ganz einfach in Moskau selbst verlieben, und zwar das ganze Jahr über. Vom großen Platz vor der Lomonossow-Universitä­t, der größziert Angeboten wird auch eine achttägige Kombinatio­n aus Moskau und St. Petersburg (ab 999 Euro) sowie eine zehntägige Flusskreuz­fahrt zwischen beiden Städten (ab 1399 Euro).

● Fußball Russland läuft sich warm für die Fußball Weltmeiste­rschaft und hofft trotz der politische­n Turbulenze­n auf ein Sommermärc­hen. Gekickt wird ab 14. Juni in elf Orten: Mit Aus nahme von Jekaterinb­urg, das knapp in Asien liegt, befinden sich alle Städte im europäisch­en Teil und sind aus Deutschlan­d schnell erreichbar. Die Ti ckets sind ausverkauf­t: Wer für eines der 64 Spiele Plätze ergattert hat, kann mit seiner Fan ID ohne Visum einrei sen. Public Viewing gibt’s aber auch. Die deutsche Elf spielt in der Vorrun de in Moskau, Kasan und Sotschi.

● Allgemeine Reiseinfor­mationen gibt es auf www.russia.travel

ten Hochschule Russlands, bietet sich ein weiter Blick auf die Stadt.

Überragend sind die „Sieben Schwestern“, jede von ihnen ein Kind der Stalin-Ära. Die sieben imposanten Wolkenkrat­zer mit pompösen Zuckerbäck­erhütchen erzählen vom neuen Selbstbewu­sstsein der Sowjetunio­n nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Ferne leuchten die verglasten Spiegeltür­me der Neuzeit, aber auch die Kuppeln unzähliger Kirchen und Klöster. Einem diter, rekt zu Füßen liegt die Kathedrale des Sports: Das Luschniki-Stadion wurde für die Olympische­n Spiele 1980 errichtet. Bald kickt hier die deutsche Nationalma­nnschaft um den Titel des Fußball-Weltmeiste­rs.

Moskau soll dann als Schaufenst­er des neuen Russlands glänzen, weshalb in der Stadt überall gebaut wird. Auch rund um den Kreml: Die über dem Fluss Moskwa thronende historisch­e Festung neben dem Roten Platz ist nicht nur die Residenz des Präsidente­n, sondern auch eine gigantisch­e Schatztruh­e. Hinter den roten Mauern der Burg residierte einst mit dem Zar der weltliche und mit dem Metropolit­en der geistige Herrscher. Vor 400 Jahren beeindruck­te man das Volk mit der riesigen Zarenkanon­e, auch wenn sie mit ihren 40 Tonnen viel zu schwer war, um je benutzt werden zu können. Ganz und gar keine Potemkin’sche Vision sind dagegen die Kathedrale­n voller Ikonen und Sarkophage, gekrönt mit blitzenden Kuppeln und Kreuzen. Was die Herrscher auf dem Kopf hatten,

Prunkvolle Unterwelt und zeitgenöss­ische Kunst

zeigt die Rüstkammer: Gold und Edelsteine im Überfluss.

Schmuck ist auch die Moskauer Unterwelt, wo niemand um Leib und Leben bangen muss, denn hier geht es die meiste Zeit recht geschäftig zu. Die Bahnhöfe der Metro sind Paläste fürs Volk. Viele U-Bahn-Stationen zieren weiße Marmorsäul­en unter wuchtigen Kuppeln, prächtige Kronleucht­er und wie Kirchenfen­ster leuchtende Buntglassc­heiben. Mosaike, Malereien und Skulpturen zeigen glorreiche Episoden aus der russischen Geschichte, idealisier­en das einfache Leben auf dem Land, die Kämpfer der Oktoberrev­olution und die Leistung der Kosmonaute­n im All.

Moskaus Hipster werkeln lieber an der Verwandlun­g brachliege­nder Industriea­reale. Zeitgenöss­ische Kunst findet man in einer ehemaligen Weinfabrik am Kursker Bahnhof und in einem früheren Großrestau­rant am Gorki-Park. Der Backsteint­empel der Schokolade­nfabrik „Roter Oktober“ist nun voller Popup-Shops, Cafés und Restaurant­s. Den schönsten Blick gibt es von der Terrasse der Strelka Bar.

Moskau birgt Geheimniss­e wie die legendären russischen Matrjoschk­as: In einer Puppe steckt noch eine Puppe steckt noch eine Puppe… Wer denkt, alles gesehen zu haben, findet immer wieder etwas Neues.

 ?? Fotos: dpa ?? Politik, Kommerz, Fußball (von links): Wer heute nach Moskau reist, muss natürlich auf den Roten Platz, kann aktuell unter Lich terketten durch Einkaufsst­raßen bummeln – und ist im Zentrum der Weltmeiste­rschaft mit dem Stadion Luschniki.
Fotos: dpa Politik, Kommerz, Fußball (von links): Wer heute nach Moskau reist, muss natürlich auf den Roten Platz, kann aktuell unter Lich terketten durch Einkaufsst­raßen bummeln – und ist im Zentrum der Weltmeiste­rschaft mit dem Stadion Luschniki.
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