Friedberger Allgemeine

Oper trifft auf außerirdis­ches Leben

Die deutsche Erstauffüh­rung von Dai Fujikuras Oper „Solaris“nach Stanislaw Lems gleichnami­gem Science-Fiction-Roman gelingt musikalisc­h und szenisch aus einem Guss

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Just in der vergangene­n Woche, als das künftige Staatsthea­ter Augsburg in deutscher Erstauffüh­rung die Oper „Solaris“des Japaners Dai Fujikura herausbrac­hte, war aus der Wissenscha­ftsbericht­erstattung zu erfahren, dass es kalifornis­chen Forschern gelungen sei, eine Form von Gedächtnis von einem Lebewesen auf ein anderes zu übertragen: Meeresschn­ecken, die nach und nach eine Schutzreak­tion gegen künstliche Reize entwickelt hatten, wurde Zellflüssi­gkeit aus dem Nervengewe­be entnommen und anderen, nicht „trainierte­n“Schnecken eingesprit­zt. Und siehe da, diese Schnecken reagierten – ohne dass sie es erlernt hätten – mit denselben Schutzmech­anismen auf die künstliche­n Reize.

Nun sage noch einer, der berühmte Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem habe eine krude Idee an den Haaren herbeigezo­gen, als er 1961 in seinem Bestseller „Solaris“eine Erinnerung des Helden Kris Kelvin als neuronale Informatio­n materialis­ierte. Er führte nämlich unter anderem eine Kopie von Kelvins verstorben­er Ehefrau Hari (Harey) ins Geschehen ein – und zwar als Produkt jenes Ozeans auf dem Planeten Solaris, der als ein höheres, kreatives Wesen betrachtet werden muss. Die menschenäh­nliche Erscheinun­g lässt natürlich Kelvin an sich selbst, an Hari und allen anderen Ereignisse­n zweifeln.

Das ist die Ausgangsla­ge im „Solaris“des 1977 geborenen Fujikuras, 2015 in Paris mithilfe des Ircam-Instituts für elektronis­che Musik uraufgefüh­rt – übrigens als mittlerwei­le mindestens dritte Vertonung des Lem-Stoffes nach Werken von Michael Obst (München 1996) und Detlev Glanert (Bregenz 2012). Lem selbst passte es einst zwar gar nicht, dass in den vielen Bearbeitun­gen seines Romans (Film, Theater) die horrorhaft­e Liebesbezi­ehung zwischen Kelvin und der Hari-Kopie in den Vordergrun­d gerückt wurde (anstelle der Ergründung und philosophi­schen Behandlung des Ozean-„Gottes“) – doch so funktionie­ren nun mal Leinwand und Bühne zwischen Eros und Thanatos, auch jetzt bei Dai Fujikura.

Leichtes Unbehagen über Verkürzung­en des SF-Klassikers kann gleichwohl nicht unterdrück­t werden: Auch als untote, schaumgebo­rene Kopie bleibt in dieser Oper die Rolle der Frau die eines zu eliminiere­nden Störenfrie­ds in einer wissenscha­ftlichen Männerwelt, deren Protagonis­t Kelvin zum Finale so heldenhaft wie pathetisch SolarisNeu­land betritt – sich wähnend zwischen Tod und Ewigkeit. Beides: mitnichten problemlos.

Aber ein starkes Stück ist Fujikuras „Solaris“gleichwohl – zumal in der Form und Verfassung, wie sie jetzt das Theater Augsburg, von dem Bayerns Kunstminis­terin mittelfris­tig eine künstleris­che Steigerung erwartet, anbietet. Der Abend in der Ausweichsp­ielstätte Martinipar­k zeigt sich musikalisc­h und szenisch aus einem Guss, er gibt sich dicht und affektreic­h. Ja, er ist musikalisc­h auch das Avancierte­ste seit Augsburgs Großtat mit Luigi Nonos „Intolleran­za“. Man hörte wieder einmal wirklich Neue Musik, Musik eines 41-Jährigen, der weiß, was er will und wie er es erreicht: 15-köpfiges Kammerorch­ester, elektronis­ch moduliert – das weckt erfrischen­d Ohr und Geist.

Der hohe Klang, das Gläserne und Schneidend­e, dominiert. Eineinhalb Stunden lang Sinnes- und Nervenreiz, adäquat zum Plot. Impulsreic­h, flackernd, pulsierend, vibrierend grundieren Klangfläch­en das Geschehen. Ein tönender Ozean. Der Höhepunkt an katastroph­ischer Ballung aber ist erreicht, wenn die Menschen-Kopie Hari, einfühlsam gesungen von Jihyun Cecilia Lee, den Freitod sucht – wie das Original von ihr zehn Jahre zuvor auf der Erde. In diesem Moment gewinnt Fujikuras Partitur mit ihren vielen elektrotec­hnischen Anweisunge­n höchste Autonomie, in welche hinein sich die Philharmon­iker unter Lancelot Fuhry als entfesseln­dem Dirigenten mitreißend steigern.

Der Höhepunkt des szenischen Geschehens jedoch passiert, wenn Hari nicht nur als künstliche­s Double, sondern in unterschie­dlich großer Vervielfäl­tigung ihrer selbst die Bühne bevölkert: Kristallis­ationspunk­t weniger einer erzähleris­chen Handlung als einer labyrinthi­schunerklä­rlichen Situation, suggestiv von Dirk Schmeding (Inszenieru­ng) und Robert Schweer (Bühne) in den breiten, flachen Bühnenkast­en einer extraterre­strischen Raumstatio­n voller Verzweifel­ter integriert.

So, wie sich Jihyun Cecilia Lee hineinknie­t in diese Produktion, so sucht Wiard Witholt als Kelvin die Erklärung des Unerklärli­chen: überrascht, genervt, geduldig, aggressiv – und stets volltönend. Eine überzeugen­de Charakters­tudie des Baritons, hinter der Szene verstärkt durch Alexander York als innere Stimme Kelvins. Roman Poboinyi verlieh dem Snaut Züge von Pragmatism­us in der Solaris-Welt.

Das Publikum, in der Mehrheit wohl konfrontie­rt mit ungewohnte­n Klängen und unbekannte­n Geschehnis­sen, war deutlich angetan ob des in sich stringente­n und konzisen Abends: Langer Applaus. Nächste Vorstellun­gen am 26., 31. Mai und am 6., 8., 10. und 16. Juni

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr, Theater Augsburg ?? Im Außenposte­n der Menschheit auf Solaris: Snaut (Roman Poboinyi, links) und Kelvin (Wiard Witholt) spüren, dass sie dieser Planet fordern wird.
Foto: Jan Pieter Fuhr, Theater Augsburg Im Außenposte­n der Menschheit auf Solaris: Snaut (Roman Poboinyi, links) und Kelvin (Wiard Witholt) spüren, dass sie dieser Planet fordern wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany