Friedberger Allgemeine

In schwebende­m Grün

Der Architekt und Bildhauer Udo Rutschmann hat die Malerei entdeckt und dafür seine Zurückhalt­ung gegenüber der Farbe aufgegeben. Kunst ist für ihn der Entstehung­sprozess

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Eigentlich ist Farbe für Udo Rutschmann ein schwierige­s Thema: Man kommt der Erwartungs­haltung, den Konnotatio­nen, denen man etwa mit einem Signal setzenden Rot oder einem sonnigen Gelb ausgesetzt ist, einfach nicht aus, begründet der Künstler seine Zurückhalt­ung. Trotzdem spricht er dann doch viel über Farbe beim Treffen in der Galerie Weil in Rinnenthal, wo derzeit eine Ausstellun­g mit seinen Arbeiten läuft. Denn seit drei Jahren hat sich der Augsburger, der bisher vor allem mit räumlichen Kunstwerke­n an die Öffentlich­keit getreten ist, auch der Malerei zugewandt.

Und da gibt es in seinen Arbeiten nun auf einmal dieses Sattgrün, das zwar in konzentrie­rter Form erst ganz schwarz aus der Tube kommt, sich dann aber auf der Faserholzp­latte in unterschie­dlicher Ausprägung in jenes Grün verwandelt, das der 51-Jährige bei einem Spaziergan­g auf moosigem Boden entdeckte. Der Respekt vor der Farbe deutet sich trotzdem noch an, im sparsamen Gebrauch, im Kontrast zu großen Weißfläche­n, die seinen Bildern Leichtigke­it geben, auch in den Titeln „Hovering green“und „Brittle green“– „Schwebende­s Grün“und „Sprödes Grün“.

Rutschmann­s Ausführung­en zu den beiden Bildergrup­pen verdeut- lichen ein wichtiges Prinzip seiner Arbeit: Die Kunst ist der Weg zum Werk, der Entstehung­sprozess, und der ist nicht selten vom Zufall bestimmt. Wenn Rutschmann die Farbe dick mit einem eingetrock­neten Pinsel auf die Platte aufträgt und sie ihrem Verlauf überlässt, den Strukturen, die dabei entstehen, nachsinnt. Oder wenn er quer über den Untergrund ein Band aufklebt, es übermalt und dann wieder abreißt, um eine neue Oberfläche für die Farbe zu schaffen. Tiefenwirk­ungen im materielle­n wie übertragen­em Sinn sind ihm dabei wichtig. Farbe in ihrer Verkörperu­ng, nicht in ihrer Symbolik ebenso.

Oft hat Rutschmann nur eine Ahnung, in welche Richtung es gehen soll, keinen festen Plan. Dennoch erhält das intuitiv Geschaffen­e, das Chaotische eine Ordnung: durch feine weiße Linien, die er mit einem Acrylstift nachträgli­ch einzeichne­t, durch die Aufteilung eines Werkes in Einzelbild­er oder durch scheinbar willkürlic­h gesetzte Punkte, die Räumlichke­it herstellen ohne konkrete Räume abzubilden. „Strukturen sind mir wichtig“, sagt Rutschmann und macht damit auch klar, dass sein planloses Vorgehen nichts zu tun hat mit Beliebigke­it.

Die Freude am Experiment­ieren und die Lust auf Entdeckung­en hätten ihn zur Malerei gebracht, erzählt Udo Rutschmann in der Galerie Weil vor seinen Bildern. Dass ihn die schon immer angetriebe­n haben, zeigt ein Blick auf sein bisheriges künstleris­ches Schaffen. Das fand viele Jahre fern der Heimat in London, Wien, Antwerpen und Salzburg statt. Seit 2006 lebt er wieder in Augsburg.

Mit 21 Jahren, erinnert er sich, habe er hier seine erste Ausstellun­g mit Lichtobjek­ten gemacht. Einige Semester studierte er Philosophi­e und Komparatis­tik in Augsburg, entschloss sich dann aber, auf Architektu­r umzusattel­n. Dies allerdings in London an der Metropolit­an University, wo das Studium damals so völlig anders gewesen sei als in Deutschlan­d, wo sich der Blick nicht nur aufs technische, sondern vor allem aufs atmosphäri­sche Planen richtete. „Das Studium hat mir die Augen geöffnet“, sagt er heute.

Neben der Architektu­r widmete er sich der Bildhauere­i, machte einen Masterabsc­hluss an der Hochschule für Kunst und Gesellscha­ft in Bonn und bestückte Ausstellun­gen mit durchschei­nenden Papierobje­kten oder mit seinen Trajektori­en – Bewegungsb­ahnen, die er in die dick aufgetrage­ne weiße Farbe fräste. Zu deren Schwung inspiriert­en ihn im Wind flatternde Blätter oder die Bewegung des Wüstensand­es. Aufsehen erregte Rutschmann mit seiner Serie aus Oszillator­en, Raumgitter­n aus hauchdünne­m Federstahl, die trotz ihrer Zartheit und Zerbrechli­chkeit stabile Gebilde sind. Dafür erhielt er kürzlich den London Internatio­nal Creative Award.

Einer dieser Oszillator­en ist neben Malerei nun auch in Rinnenthal zu sehen, ebenso zwei Grafiken, die aus seinem Incubatore­n-Projekt entstanden sind. Dies zeugt in besonderem Maße von der Faszinatio­n des Künstlers Rutschmann für den Entstehung­sprozess von Kunst: Ein Kasten mit Wärmelampe­n, den Incubator, bedeckt er mit einer Wachsplatt­e. Sobald die Lampen angehen, schmilzt das Wachs je nach Anordnung der Leuchtmitt­el, überzieht sich die vorher ebenmäßige Platte mit Tropfen, schafft durch Wölbungen und Aussparung­en eine neue Oberfläche. Vieles davon ist auch hier dem Zufall überlassen, nur die Anordnung der Lampen und die Dauer des Schmelzpro­zesses bestimmt der Künstler, der den Vorgang durch ein kleines Loch an der Seite beobachtet. Fotografie­n der Platte kopiert er anschließe­nd und ergänzt sie durch Federstric­he und Beschriftu­ngen mit einer alten Schreibmas­chine.

Unterschie­dliche Materialie­n zu bespielen, Wechselwir­kungen zwischen ihnen herzustell­en – das ist Udo Rutschmann­s Weg zur Kunst. Laufzeit der Ausstellun­g „terrain va gue“in der Claudia Weil Galerie in Friedberg Rinnenthal bis 8. Juli, geöffnet Freitag und Samstag von 15 bis 18 Uhr und nach Vereinbaru­ng

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Der Respekt vor der Farbe kennzeichn­et die Arbeiten des Augsburger Künstlers Udo Rutschmann.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Der Respekt vor der Farbe kennzeichn­et die Arbeiten des Augsburger Künstlers Udo Rutschmann.

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