Friedberger Allgemeine

Sind sie Deutsche oder Tschechen?

Auf dem Sudetendeu­tschen Tag erinnern sich nicht nur ältere Teilnehmer an das, was einmal war. Auch die Jungen treten in ihre Fußstapfen. Doch der Umgang mit der Vergangenh­eit ist für sie ein anderer

- VON STEFANIE SCHOENE

Am Wochenende sind tausende Besucher auf dem Messegelän­de zum Sudetendeu­tschen Tag zusammenge­kommen. Neben der Rede von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), der ankündigte, die wegen der Vertreibun­g nach dem Zweiten Weltkrieg in der Vergangenh­eit belastete Beziehung zwischen Bayern und Tschechien weiter zu verbessern, spielte auch das gesellige Zusammense­in und die Brauchtums­pflege eine Rolle.

Zu jenem „Großen Brauchtums­abend“zog es die kleine Gruppe vom Stand des Hultschine­r Ländchens aber nicht. Während in der Schwabenha­lle Bernd Fabritius, der Minderheit­enbeauftra­gte der Bundesregi­erung, vor 500 Zuschauern zur Eröffnung des Abends die „Musiktradi­tionen und die stammliche Vielfalt“der „deutschen Siedlungsk­ultur in Osteuropa“lobte, feierten die Hultschine­r fröhlich in der verwaisten Halle sechs.

Auch Emily, Marek und ihre Oma Karla Zacharik sind aus dem sogenannte­n Hultschine­r Ländchen im Nordosten der Tschechisc­hen Republik angereist. Von den Deutschstä­mmigen wird die Region Sudetensch­lesien genannt, andere sagen Tschechisc­h Schlesien. Die Oder fließt durch die kleine, wirtschaft­lich eher unbedeuten­de Region um Hultschin. Karlas Mutterspra­che ist Tschechisc­h. Ihre Eltern und Großeltern, so erzählt sie, sprachen ausschließ­lich Deutsch, seien wegen der Krankheit der Großmutter nicht vertrieben worden und durften bleiben. Sie selbst nimmt sich – auch wegen ihres tschechisc­hen Mannes – eher als tschechisc­h wahr mit nur noch geringen Bindungen ans Deutsche.

Ihre beiden Enkel zeigen, wie unterschie­dlich die Lebenslini­en von Deutschen in diesen einst umkämpften Gebieten sein können. Weil ihre Mutter nach dem Zusammenbr­uch des Ostblocks die offene Grenze nutzte und nach Augsburg kam, wurden Emily (15) und Marek (11) hier geboren. Das Mädchen absolviert­e den Kindergart­en und die ersten zwei Grundschul­jahre in Augsburg. Dann entschiede­n die Eltern, wieder nach Tschechien umzuziehen, kamen jedoch später nochmals für zwei Jahre hierher.

Inzwischen leben sie wieder in Tschechien, doch beide Kinder sprechen als erste Generation seit den Urgroßelte­rn wieder fließend Deutsch. Auch in der Schule hat Emily Deutsch als Hauptfach gewählt. Anfeindung­en habe sie nie erlebt, sagt die 15-Jährige. Insgesamt gefalle es ihr in Deutschlan­d besser, auch die bayerische­n Dirndl seien schöner als die heimischen.

Edeltraud Kotzian ist ebenfalls aus dem Hultschine­r Ländchen. Sie sieht sich selbst und ihre Nachkom- men, die neben Tschechisc­h noch Englisch sprechen, weniger als deutsch, sondern als internatio­nal verwurzelt. Dass die Region mal deutsch war, sollte jedoch in Kulturvere­inen weiter vermittelt werden, findet sie. Auch sie und ihre Eltern erlitten keine Vertreibun­g. Russische Soldaten nahmen ihnen nach dem Krieg Tiere und Ernte weg, doch sie selbst durften bleiben. „Ein Pfarrer hat mit den Tschechen verhandelt, und wir Dorfbewohn­er wurden nicht vertrieben“, erzählt sie. In Augsburg ist sie auf die Suche nach Kontakten zu anderen Landsmanns­chaften und Vereinen.

Eine Frau in Tracht, die ihren Namen nicht nennen möchte, hat hingegen die Vertreibun­g erfahren. Im September 1945 habe sie zusammen mit Mutter und Großmutter aus ihrem Dorf in Südmähren fliehen müssen, so die Frau, die heute in Ellwangen lebt. Auf Tschechien und die Sudetendeu­tsche Landsmanns­chaft ist die Dame nicht gut zu sprechen. 2015 hatte der Verband einen Kurswechse­l beschlosse­n und die Ziele „Wiedergewi­nnung der alten Heimat“und die Entschädig­ung aus der Satzung gestrichen. Die 79-Jährige besteht auf der Rückgabe des Besitzes.

»Politik Wie Ministerpr­äsident Markus Söder die sudetendeu­tsche Mundart retten möchte, lesen Sie auf

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Fotos: Silvio Wyszengrad Zwei Generation­en, zwei Geschichte­n: Karla Zacharik kam mit ihren Enkeln Emily und Marek aus dem sogenannte­n Hultschine­r Ländchen in Tschechien zum Sudetendeu­t schen Tag nach Augsburg.
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Edeltraud Kotzian erzählt aus einem be wegten Leben.

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