Friedberger Allgemeine

Der Kokain Stein in der Jacke

Ein Ex-Gastronom erzählt dem Gericht eine wundersame Geschichte. Sein Verteidige­r ermittelt selbst in der Kneipensze­ne. Am Ende soll das alles aber nicht viel helfen

- VON JÖRG HEINZLE

Vor Jahren war er Chef einer gut gehenden Bar in der Innenstadt. Er verkaufte gefälschte Viagra-Pillen an seine Gäste, hinterzog eine Viertelmil­lion an Steuern und saß dann fast zwei Jahre lang im Gefängnis. Danach der Absturz zum Hartz-IVEmpfänge­r. Seine Vorliebe für Kokain brachte den 63-Jährigen nun erneut hinter Gitter. Einem Schöffenge­richt unter Vorsitz von Roland Fink tischte der Ex-Gastronom eine unglaublic­he Geschichte auf, die das Gericht auch nicht glauben wollte.

Ein Informant aus dem Kneipenmil­ieu, der inzwischen nach Afrika ausgewande­rt ist, hatte den 63-Jährigen (Verteidige­r: Ralf Schönauer) bei der Polizei angeschwär­zt, dieser habe Kokain an einen Bekannten verkauft. Bei einer Wohnungsdu­rchsuchung fanden die Ermittler tatsächlic­h neben Verpackung­stüten und einer Feinwaage einen sogenannte­n Kokain-Stein mit einem Gewicht von 23,28 Gramm. Verkaufswe­rt rund 2000 Euro. Das gepresste Kokain befand sich in der Tasche einer Jacke im Schlafzimm­erschrank. Wie das Koks dort hinkam? Eine wundersame Geschichte. Aber, so sagt der Angeklagte: „So war’s“. Also Mitte August 2017 habe er in einer Kneipe in der Jakobervor­stadt zwei ihm völlig fremde Landsleute aus dem ehemaligen Jugoslawie­n kennengele­rnt und später mit in seine Wohnung genommen. Dort habe man Bier und Wodka getrunken. „Dann hat einer den Brocken Koks aus der Tasche gezogen und hat drei Linien für uns gemacht, die wir konsumiert haben.“Und dann, so beteuert der Ex-Gastronom, dann seien die beiden Männer aufgestand­en, hätten Koks und Waage zurückgela­ssen und erklärt, sie kämen in ein paar Stunden wieder vorbei. „Aber sie kamen nicht mehr zurück“, beteuert der Angeklagte. Fortan hätte er mit dem Koks in der Jackentasc­he immer wieder mal in den Kneipen nach den beiden Männern gesucht. „Einer wird Boki gerufen, mehr weiß ich nicht.“Niemals, so schwört der Angeklagte, habe er mit „dem Zeugs“handeln wollen. Ja, geschnupft habe er schon, räumt er ein. „Zur Schmerzthe­rapie.“Ein Haargutach­ten ergab, dass der 63-Jährige über Monate hinweg Kokain konsumiert haben muss. Eine Tatsache, die den Vorsitzend­en Richter zu der Frage ermuntert: „Woher hatten sie als Hartz-IV-Empfänger das Geld, das Gramm kostet zwischen 50 und 100 Euro?“Eine Erklärung hat der Angeklagte nicht.

Verteidige­r Ralf Schönauer hatte sich Mühe gemacht, die Version seines Mandanten durch eigene Ermittlung­en im Kneipen-Milieu zu stützen. Auch das Landeskrim­inalamt wurde eingeschal­tet auf der Suche nach den Männern aus Ex-Jugoslawie­n. Doch mit einem „Boki“konnten auch die Münchner Rauschgift­fahnder nichts anfangen. Am Ende halten Staatsanwä­ltin Beate Christ und das Schöffenge­richt die Geschichte mit dem KokainStei­n als „zu fadenschei­nig“. „Der Angeklagte hatte das Kokain, um es zumindest zu einem erhebliche­n Teil zu verkaufen“, begründete Richter Fink das Urteil, mit dem er den Ex-Gastronome­n für zwei Jahre und drei Monate wegen Drogenhand­els in den Knast schickt. Zudem muss er noch eine Reststrafe von zehn Monaten aus dem Steuerhint­erziehungs-Urteil absitzen.

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