Friedberger Allgemeine

Kritik an Kiew nach vorgetäusc­htem Journalist­en Mord

Angeblich erschossen­er Reporter lebt. Der Geheimdien­st wollte russische Attentäter entlarven. Doch viel Vertrauen wurde zerstört

-

Kiew Am Tag nach seiner „Auferstehu­ng“wollte Arkadi Babtschenk­o erstmal ausschlafe­n. „Gott, wie toll ist es, nicht mehr Zielscheib­e zu sein!“, schrieb der russische Journalist am Donnerstag auf Facebook. Tags zuvor war der Totgeglaub­te unverletzt bei einer Pressekonf­erenz des ukrainisch­en Geheimdien­stes SBU aufgetauch­t. Er hatte mitgewirkt, seine Ermordung vorzutäusc­hen, um mutmaßlich­e, von Russland beauftragt­e Attentäter zu entlarven. Ironisch entschuldi­gte er sich dafür, noch am Leben zu sein: „Bei der nächsten Attacke gehe ich bestimmt drauf.“Die Gefahr sei real gewesen, schrieb er auf Facebook.

Es war ein filmreifer Coup des SBU, doch er wirft viele Fragen auf und hat der Ukraine mittlerwei­le massive Kritik eingetrage­n. Im Konflikt zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine und dem Westen auf der anderen geht es immer wieder um Glaubwürdi­gkeit: Was beweist die Anwesenhei­t russischer Soldaten in der Ostukraine, die Moskau leugnet? Wie stichhalti­g können Ermittler belegen, dass 2014 ein russisches Buk-Geschütz 298 Menschen an Bord von Flug MH17 tötete? Die Diskussion wird nach der Aktion in Kiew nicht einfacher.

„Kann die Ukraine zeigen, dass es keine Alternativ­e gab und sie den richtigen Mann erwischt haben?“, fragte der Russland-Experte Mark Galeotti vom Institut für internatio­nale Beziehunge­n in Prag. Wenn nicht, stehe Kiew schlecht da. „Durch das Produziere­n von Fake News, und sei es nur für einen Tag, spielen die Ukrainer den Russen in die Hände“, sagte er.

Der ukrainisch­e Regierungs­chef Wladimir Groisman machte Moskau für den angebliche­n Mord verantwort­lich. Die „russische totalitäre Maschineri­e“habe Babtschenk­o nicht verziehen, schrieb er. War das ehrliche Trauer und Empörung, oder spielte er ein Spiel mit?

„Wir haben einen Mordanschl­ag auf Babtschenk­o mit einem Spezialein­satz verhindert“, sagt SBU-Chef Wassili Grizak. Wenigstens einmal wollten ukrainisch­e Behörden nicht hilflos wirken angesichts von Morden und Anschlägen vor ihrer Nase, für die angeblich Moskau verantwort­lich ist. Fragen nach anderen ungeklärte­n Morden wich Grizak aber aus.

Babtschenk­o bescherte seinen Kollegen ein Wechselbad der Gefühle. Viele Journalist­en trauerten einen Tag lang und analysiert­en, was der Mord an dem erklärten Kreml-Kritiker bedeute.

Doch die Glaubwürdi­gkeit der Medien leidet unter solcher Irreführun­g. „Journalist­en müssen noch intensiver und noch viel genauer hingucken“, mahnte Frank Überall, Vorsitzend­er des Deutschen Journalist­enverbande­s DJV. „Das ist nicht nur eine Provokatio­n gegen Russland. Das ist auch eine Provokatio­n Babtschenk­os gegen die ganze Journalist­enzunft“, sagte der Chefredakt­eur der russischen Zeitung Moskowski Komsomolez, Pawel Gussew. Von seinem früheren Mitarbeite­r will er nichts mehr wissen.

Offizielle Vertreter Moskaus erkannten schnell die Möglichkei­t, auch andere Vorwürfe als unglaubwür­dig abzutun – zum Beispiel bei dem in Großbritan­nien vergiftete­n Ex-Agenten Sergej Skripal. Die Kiewer Inszenieru­ng sei „eine dreckige und zynische Provokatio­n im Stil des Falls Skripal“, sagte der Dumaabgeor­dnete Leonid Sluzki.

Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o dagegen empfing Babtschenk­o und lobte den SBU für die „glänzende Operation“.

 ?? Foto: dpa ?? Arkadi Babtschenk­o (rechts) bei Präsi dent Poroschenk­o.
Foto: dpa Arkadi Babtschenk­o (rechts) bei Präsi dent Poroschenk­o.

Newspapers in German

Newspapers from Germany