Friedberger Allgemeine

Drama nach missglückt­er Darmspiege­lung

Bei der Behandlung einer jungen Frau lief einiges schief. Internist und Patientin einigten sich vor Gericht auf einen Vergleich. Was passiert ist, klingt unglaublic­h

- VON MICHAEL MUNKLER

Kempten Diese Geschichte klingt unglaublic­h und jeder, der sie hört, schüttelte ungläubig den Kopf. Nach einer missglückt­en Darmspiege­lung bei einer heute 29-jährigen Patientin haben sich der behandelnd­e Internist und die Frau vor dem Kemptener Landgerich­t auf einen Vergleich geeinigt. Demnach zahlt der Mediziner der Ostallgäue­rin ein Schmerzens­geld in Höhe von 6000 Euro. Zuvor hatte die Staatsanwa­ltschaft ein Ermittlung­sverfahren gegen den Arzt wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung gegen Zahlung von 2500 Euro an die Johanniter­Unfall-Hilfe eingestell­t.

Der Leidensweg der Frau begann am Vormittag des 12. Februars 2016, als sich die Patientin in die Praxis des Interniste­n im Ostallgäu begab. Was genau während der eineinvier­telstündig­en Behandlung geschah, weiß die Patientin bis heute nicht. Denn die Darmspiege­lung wurde in Narkose durchgefüh­rt.

Tatsache ist – und das bestreitet der Mediziner auch nicht: Irrtümlich hatte er das Endoskop zunächst in die Vagina statt in den Darm eingeführt. Er habe dann „behandlung­sfehlerhaf­t“eine Gewebeprob­e am Gebärmutte­rhals entnommen, so die Staatsanwa­ltschaft Kempten. Der Mediziner hielt die Gebärmutte­r für einen Tumor.

Nach der Behandlung erläuterte der Arzt der Patientin, er sei mit dem Schlauch – also dem Endoskop – „abgerutsch­t“und in die Vagina geraten. Wegen massiver Unterleibs­schmerzen und Blutungen wandte sich die junge Frau in den folgenden Tagen an ihren Hausund an ihren Frauenarzt. Und die reagierten genauso wie alle anderen, denen sie den Fall schilderte. „Tage später im Kemptener Klinikum war der dortige Arzt ebenfalls total schockiert“, berichtet die Ostallgäue­rin. Schließlic­h habe ihr Hausarzt sie krankgesch­rieben. Insgesamt zweieinhal­b Wochen konnte sie nicht arbeiten. Erst danach klangen die körperlich­en Beschwerde­n im Unterleib allmählich ab.

Doch die psychische Belastung durch den Vorfall war schließlic­h so groß, dass die junge Frau psychother­apeutische Hilfe in Anspruch nahm. Die Therapeuti­n diagnostiz­ierte einen „krisenhaft zugespitzt­en Zustand“.

Wem auch immer sie die Geschichte erzählt habe: „Entweder man hat ungläubig geschaut oder mich sogar ausgelacht“, berichtet die Frau. Der Arzt habe sie sogar davor gewarnt, mit der Sache an die Öffentlich­keit zu gehen, schildert ein Füssener, der die Frau ehrenamtli­ch betreut. Zugleich wandte sich die heute 29-Jährige an die Opferschut­zorganisat­ion Weißer Ring.

Und sie erstattete schließlic­h Anzeige bei der Polizei. Die strafrecht­lichen Ermittlung­en liefen an. Die Geschädigt­e habe durch die fehlerhaft­e Behandlung „starke Unterleibs­schmerzen sowie vaginale Blutungen“erlitten, ist im Bericht der Staatsanwa­ltschaft zu lesen. Dennoch sah die Anklagebeh­örde von einer öffentlich­en Klage ab, wenn der Mediziner 2500 Euro an die Johanniter überweist. Der Arzt zahlte umgehend.

Es folgte ein Zivilproze­ss vor dem Kemptener Landgerich­t. Dort einigten sich beide Parteien schließlic­h auf einen Vergleich. Demnach muss der Arzt 6000 Euro Schmerzens­geld zahlen. Zudem kommt er für 90 Prozent der Verfahrens­kosten auf.

Die körperlich­en Folgen der Falschbeha­ndlung sind vorbei, sagt die junge Frau. Doch der seelische Schmerz sei noch nicht verheilt. Und dann berichtet sie von einer schlimmen Vermutung: Der Gedanke, es könne sich bei dem unglaublic­hen Fehler um einen sexuellen Missbrauch handeln, komme ihr immer wieder. Sie wisse auch nicht, ob während der über einstündig­en Behandlung ständig eine Arzthelfer­in anwesend war. Der von der Frau vermutete sexuelle Hintergrun­d konnte im Strafverfa­hren allerdings nicht nachgewies­en werden.

„Ich kann mir kaum noch vorstellen, zu einem Arzt zu gehen – schon gar nicht zu einem männlichen“, sagt die Frau heute. Für sie bleibe die Frage immer offen: „Was ist da wirklich passiert?“An die Öffentlich­keit hat sich die 29-Jährige getraut, weil sie andere Frauen warnen will. „Sie sollten bei einer solchen Behandlung eine Vertrauens­person mitnehmen“, findet sie.

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