Friedberger Allgemeine

„Falsche Politik muss korrigiert werden“

Johanna Uekermann ist stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e in Bayern. Sie erklärt, mit welchen Forderunge­n die Partei in den Wahlkampf geht und wie die Wohnungsno­t gelindert werden könnte

- Interview: Uli Bachmeier

„Zukunft im Kopf, Bayern im Herzen“– so soll das Programm der SPD für die Landtagswa­hl heißen. Frau Uekermann, Sie haben die Arbeit an dem Entwurf koordinier­t. Er ist prall gefüllt mit Forderunge­n: flexible Arbeitszei­ten für alle, kostenfrei­e Kitas, 100 000 neue Wohnungen in fünf Jahren, kostenlose Bahn- und Bustickets für Auszubilde­nde, Schüler und Studenten. Jetzt mal ehrlich: Das ist doch ein reines Wunschkonz­ert.

Johanna Uekermann: Keinesfall­s! Entscheide­nd ist für uns die Frage: Wo gibt es Handlungsb­edarf ? Daran haben wir uns orientiert. Es herrscht Wohnungsma­ngel – nicht nur in München, sondern inzwischen in allen Städten Bayerns. Eltern wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder und immer mehr Berufstäti­ge brauchen auch Zeit, um sich um ihre älter werdenden Eltern zu kümmern. Wir müssen für mehr Bildungsge­rechtigkei­t und Chancengle­ichheit sorgen und Familien finanziell entlasten. Vor allem aber müssen wir junge Leute unterstütz­en, eine bestmöglic­he Ausbildung zu bekommen. Dazu brauchen wir mehr Geld für Bildung oder auch Wohnraum speziell für Auszubilde­nde und Studierend­e. Wo es diesen Wohnraum vor Ort noch nicht gibt, müssen junge Leute mobil genug sein, um zu ihrem Ausbildung­s- oder Studienpla­tz pendeln zu können – deshalb das kostenlose Landestick­et für Schüler, Auszubilde­nde und Studierend­e.

Wer soll das alles bezahlen? Haben Sie das eigentlich mal durchgerec­hnet? Uekermann: Uns ist selbstvers­tändlich klar, dass das Geld kostet. Und unsere Finanzexpe­rten in der Landtagsfr­aktion haben auch darauf geachtet, dass das alles im Rahmen bleibt. Grundsätzl­ich gilt: Bayern steht in vielerlei Hinsicht prima da. Aber es kann und darf nicht sein, dass nur noch die Kids reicher Eltern eine Wohnung bekommen, wenn sie in einer Stadt studieren wollen. Hier wurde in der Vergangenh­eit unglaublic­h viel verschlafe­n. Der Freistaat hat sogar massenweis­e Wohnungen verscherbe­lt, ohne sich um die Folgen für den Wohnungsma­rkt zu kümmern. Diese falsche Politik muss korrigiert werden. Jetzt in Wohnungen und Bildung zu investiere­n macht Bayern fit für die Zukunft.

Die Frage, was das kostet und wer das alles bezahlen sollte, kann ich Ihnen trotzdem nicht ersparen. Uekermann: Nicht jede Maßnahme lässt sich auf den Cent genau berechnen. Aber ein Beispiel: Wir wollen kostenfrei­e Kitas, Schritt für Schritt sollen Eltern so entlastet werden. Das kostet am Ende rund 535 Millionen. Klar ist das viel Geld, aber wir sind davon überzeugt, dass viele Menschen in Bayern es richtig finden, wenn Bildung kostenfrei ist. Um das zu finanziere­n, müssen wir einen bei den Ausgaben andere Prioritäte­n setzen als bislang und zugleich für mehr Einnahmen sorgen. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache.

Reden Sie jetzt über höhere Steuern? Uekermann: Ja, dort wo es Sinn macht, wie zum Beispiel bei der Erbschafts­steuer. Ich bin überzeugt, dass wir da etwas tun müssen. Diejenigen, die ohnehin schon mehr als genug haben, müssen an der solidarisc­hen Finanzieru­ng des Gemeinwese­ns stärker beteiligt werden.

Zur Wohnungspo­litik: Was könnte und sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um den Wohnungsma­ngel in absehbarer Zeit zu lindern? Uekermann: Wohnen ist mittlerwei­le in ganz Bayern ein Problem, nicht nur in München. Um es anzupacken, brauchen wir zunächst ein Bauministe­rium, das sich ganz konkret darum kümmert. Der Staat sollte sich als Ziel setzen, in den kommenden fünf Jahren 100000 neue Wohnungen zu schaffen. Außerdem brauchen wir ein ExtraProgr­amm „Junges Wohnen“speziell für Auszubilde­nde, Studierend­e und junge Familien, die aktuell kaum Chancen auf eine Wohnung haben. Und wir müssen versuchen, die Spekulatio­n mit Immobilien und Boden einzudämme­n.

Sie meinen eine Grundsteue­r C auf unbebaute Baugrundst­ücke? Uekermann: Ja. Bebaubare Flächen dürfen nicht brachliege­n, sondern müssen bebaut werden – am besten erst in den Innenstädt­en, um Fläche zu sparen, dann am Stadtrand.

Breiten Raum nimmt in Ihrem Programmen­twurf das Thema Arbeit ein: 30-Stunden-Woche, flexible Arbeitszei­t für Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, Recht auf Weiterbild­ung und Zurückdrän­gung von Niedriglöh­nen, Scheinselb­stständigk­eit und befristete­n Arbeitsver­hältnissen. Uekermann: Wir wollen Bayern zum Land mit den besten Arbeitsbed­inzum gungen machen. Entscheide­nd ist für uns: Den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern wurde in jüngster Vergangenh­eit immer mehr abverlangt. Wir wollen den Spieß jetzt einfach mal umdrehen. Die Menschen sollen in jeder Lebensphas­e mitbestimm­en können, wann und wie lange sie arbeiten. Dafür wollen wir die Voraussetz­ungen schaffen. Und wir treten Seite an Seite mit den Gewerkscha­ften für bessere Arbeitsbed­ingungen und eine Arbeitszei­tverkürzun­g ein.

Vieles von dem, was die SPD fordert, wird zwischen den Tarifpartn­ern, also Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn, ausgehande­lt. Was kann aus Ihrer Sicht der Staat tun?

Uekermann: Der Staat kann vor allem Vorbild sein. Im Moment arbeiten nur 50 Prozent der Beschäftig­ten in Bayern in tarifgebun­denen Arbeitsver­hältnissen. In fast allen Bundesländ­ern gibt es Tariftreue- und Vergabeges­etze, in Bayern nicht. Der CSU-Staatsregi­erung ist es völlig wurscht, ob Arbeitnehm­er in Unternehme­n, die in ihrem Auftrag arbeiten, ordentlich bezahlt werden oder nicht. Ich finde, das ist eine Frechheit. Der Freistaat sollte vielmehr mit gutem Beispiel vorangehen. Dasselbe gilt bei der Befristung von Arbeitsver­trägen oder bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t. Der Freistaat sollte bei seinen Mitarbeite­rn auf Befristung­en möglichst verzichten und ihnen mehr Möglichkei­ten einräumen, ihre Arbeitszei­t flexibel zu gestalten.

Ihren Programmen­twurf stellen Sie in dem Kapitel über Arbeit ebenfalls speziell auf junge Leute ab. Worum geht es Ihnen dabei?

Uekermann: Wir haben, wie gesagt, die Zukunft im Kopf. Deshalb fordern wir nach dem Vorbild des Mindestloh­ns auch eine Mindestver­gütung für Auszubilde­nde. Und wir fordern die Abschaffun­g aller Schulgelde­r in der Ausbildung, das ist vor allem im sozialen Bereich bislang ein Problem. Das muss ein Ende haben, wenn wir wollen, dass mehr junge Leute in die Pflegeberu­fe gehen.

Der Landtagswa­hlkampf wird bald beginnen. Sie sitzen im Präsidium der Bundes-SPD und sind stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e in Bayern. Ein Mandat haben Sie weder in Berlin noch in München. Worauf werden Sie sich in den nächsten Monaten konzentrie­ren?

Uekermann: Ich mache ehrenamtli­ch Politik, neben dem Job. Mein Fokus liegt deshalb ganz klar auf dem Wahlkampf in Bayern. ● Johanna Uekermann wurde 1987 in Straubing geboren. Sie hat Politische Wissenscha­ft studiert und ist stellvertr­etende Landes vorsitzend­e der Bayern SPD.

 ?? Archivfoto: Guido Kirchner, dpa ?? Johanna Uekermann hat den Entwurf des Landtags Wahlprogra­mms koordinier­t. Da rin stehen Forderunge­n wie flexible Arbeitszei­t für alle, kostenfrei­e Kitas oder 100 000 neue Wohnungen.
Archivfoto: Guido Kirchner, dpa Johanna Uekermann hat den Entwurf des Landtags Wahlprogra­mms koordinier­t. Da rin stehen Forderunge­n wie flexible Arbeitszei­t für alle, kostenfrei­e Kitas oder 100 000 neue Wohnungen.

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