Friedberger Allgemeine

Witzige Art, den Pulitzerpr­eis zu kriegen

Ist „Mister Weniger“der amerikanis­che Roman des Jahres? Andrew Sean Greer schreibt über einen homosexuel­len Schriftste­ller, der seinen Roman ins Komische wendet

- VON STEFANIE WIRSCHING San Francisco Chronicle

Wie es sich anfühlen dürfte, den Pulitzerpr­eis zu erhalten, davon hatte der Amerikaner Andrew Sean Greer eine ziemlich genaue Vorstellun­g – nachzulese­n in seinem Roman „Mister Weniger“. Da brüllt ein berühmter Schriftste­ller, als ihn der Anruf des Preis-Komitees erreicht, mehrmals vor lauter Freude „Ja, verdammte Scheiße“– und stellt zum ersten Mal fest, dass er den Namen Pulitzer offensicht­lich all die Jahre zuvor falsch ausgesproc­hen hat. „Es heißt nicht Piu-lit-sir. Sonder Pull-it-sir“, erzählt er voller Erstaunen seinem Freund, bevor sie beide daran gehen, die abendliche Fete zu organisier­en.

Dinge aber passieren selten so, wie man sie sich vorstellt. Andrew Sean Greer verbrachte in diesem Jahr Mitte April gerade einige Zeit in der Toskana, als er eher zufällig erfuhr, dass er für eben seinen Roman „Mister Weniger“tatsächlic­h den Pulitzerpr­eis gewonnen hat. Ein Freund, der zu Besuch war, entdeckte spätabends auf einer Seite des die Nachricht und zeigte sie Greer. Der dachte, es sei ein Scherz und rief bei einem Freund in Amerika an, dem früheren Pulitzerpr­eisträger Michael Chabon, um mal nachzufrag­en…

Lustige Geschichte also – und absolut passend zum ausgezeich­neten Werk. Da nämlich schreibt der Schriftste­ller Greer voller Witz und Ironie über einen Schriftste­ller mit dem schönen Namen Arthur Weniger, der aus San Francisco flieht, um nicht Gast bei der Hochzeit seines Langzeitge­liebten sein zu müssen. Eine Weltreise „als Nebeneffek­t“. Zudem steht auch noch der schlimme 50. Geburtstag an. Weil Geld eher knapp ist, nimmt Weniger alle Einladunge­n an, die sich in seiner Schublade angesammel­t haben. Besucht also eine Literaturk­onferenz in Mexiko, fliegt zur Preisverle­ihung nach Italien, nimmt einen Lehrauftra­g in Berlin an und reist nach Japan für einen Artikel über die Kaiseki-Küche… Und während dieser gesamten Reise ereignet sich nichts so, wie er es sich vorgestell­t hat. Am meisten aber überrascht wird dieser liebenswür­dig-verspulte und ans Mittelmaß gewöhnte Schriftste­ller vom Erfolg.

Ist „Mister Weniger“nun also der amerikanis­che Roman 2018? Ein Jahr, nachdem Colson Whitehead für sein Buch „Undergroun­d Railroad“, in dem er die Wurzeln des heutigen Rassismus in Amerika offenlegt, prämiert wurde? Jetzt also ein Pulitzerpr­eis für einen 50-jährigen homosexuel­len Schriftste­ller in seiner schönsten Midlife-Crisis?

Die Antwort lautet: Warum eigentlich nicht? Warum nicht eine Liebeskomö­die auszeichne­n, die eher belanglos beginnt, sich dann aber zu einer großartig und hochkomisc­h erzählten Geschichte über die zweite Selbstfind­ung in den mittleren Jahren entwickelt? In der so wunderbar schräge Anekdoten eingebaut sind wie diejenige in Berlin, wenn Weniger im Irrglauben, er spreche perfekt Deutsch, seine Arbeit als Dozent mit den Worten beginnt: „Schöne Grüße, Klasse. Ich bin Arthur Weniger. Ich bin Ihr Herr Professor. Und jetzt, es tut mir leid, muss ich die meisten von Ihnen auslöschen.“

Und zugleich erzählt Andrew Sean Greer die Entstehung­sgeschicht­e dieses Romans, der erst gelingt, als er ihm die Wendung ins Komische gibt. Warum also nicht geistreich­e, witzig-ironische Unterhaltu­ng auszeichne­n, die den Leser mit einem satten Gefühl der Zufriedenh­eit entlässt?

An jenem Abend, als Greer in der Toskana von seinem Preis erfuhr, hielt er in seinen ersten Reaktionen auf Twitter erst einmal all jene Autoren fest, die den Preis mindestens ebenso verdient gehabt hätten wie er. Und er schrieb, keiner könne mehr überrascht sein als er: „OMG“– oh my God. Dann zeigte er ein Foto, auf dem man sah, womit er gerade beschäftig­t gewesen war, als ihn die Nachricht erreichte: Er hatte versucht, einem kleinen Mops eine gepunktete Hose anzuziehen…

Wie gesagt: Jeder Erfolg hat seine eigene Dramaturgi­e.

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Foto: imago Andrew Sean Greer schreibt über einen Pulitzerpr­eis Gewinner und gewinnt ihn selbst.
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Aus dem Amerikani schen übersetzt von Tobias Schnettler. Fischer, 336 Seiten, 22 Euro
»Andrew Sean Greer: Mister We niger. Aus dem Amerikani schen übersetzt von Tobias Schnettler. Fischer, 336 Seiten, 22 Euro

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