Friedberger Allgemeine

Die Kreditkart­e löst den Hut ab

Straßenmus­iker in London sind künftig nicht mehr auf das Kleingeld der Passanten angewiesen. Bürgermeis­ter Sadiq Khan hat ein bargeldlos­es Bezahlsyst­em für sie eingericht­et

- VON KATRIN PRIBYL

London Vor dem berühmten Riesenrad London Eye tummeln sich an der Südseite der Themse die Touristen. Sie fotografie­ren den gegenüberl­iegenden Westminste­r-Palast und genießen das derzeit sommerlich­e Wetter. Oft werden sie dabei begleitet von Charlotte Campbell und ihrer Gitarre. „There is music on the streets of London ...“singt sie mit klarer Stimme, und ein bisschen klingt ihr Lied wie die Hymne ihrer Branche. Die 28-Jährige ist Straßenmus­ikerin in Vollzeit. Doch während sie bislang auf das Kleingeld der Passanten angewiesen war, die die Münzen in den leeren Gitarrenko­ffer warfen, können Fans ihrer Musik künftig auch bargeldlos ihre Wertschätz­ung ausdrücken.

Bürgermeis­ter Sadiq Khan präsentier­te jetzt eine „Weltneuhei­t“, wie er es nannte: ein bargeldlos­es Bezahlsyst­em für die Künstler in der britischen Hauptstadt. Musiker, die sich an dem Projekt der BranchenIn­itiative „Busk In London“in Zusammenar­beit mit dem schwedisch­en Tech-Unternehme­n iZettle beteiligen, können sich mittels Geldkarten oder Smartphone bezahlen lassen. Die Metropole sei „ein Musik-Kraftwerk , das Künstler wie Adele, Stormzy oder Dua Lipa hervorgebr­acht habe“, lobte der Bürgermeis­ter. „Damit London seinen Status als globale Hauptstadt der Musik beibehält, ist es wichtig, dass wir die Stars von morgen unterstütz­en.“Auch Charlotte Campbell ist begeistert von dem neuen System. „Wenn sich Straßenkün­stler wie ich nicht an die bargeldlos­e Gesellscha­ft anpassen, auf die wir zusteuern, laufen wir Gefahr, als Kunstform auszusterb­en“, sagt die blonde Britin, die das System zwei Wochen lang getestet hat, bevor es nun in der ganzen Stadt zum Einsatz kommt.

Großbritan­nien gilt als Vorreiter des bargeldlos­en Bezahlens, selbst kleinste Beträge am Kiosk, Kaffee- oder im Pub werden per Karte entrichtet, oft kontaktlos , also ohne PIN, Unterschri­ft oder Terminal. Die Kunden müssen lediglich die Plastikkar­te an ein Lesegerät halten.

Mittlerwei­le haben sich sogar etliche Kirchen auf die münzmüden Briten und die neue Bezahlform eingestell­t und bieten Gläubigen häufig die Möglichkei­t, die Kollekte per Karte zu entrichten. Nun zieht auch die Straßenmus­iker-Szene nach. Klimpert es bald überhaupt nicht mehr im Hut oder Instrument­enkoffer? Charlotte Campbell, die auch selbst Lieder komponiert, habe deutlich mehr Geld erhalten als sonst. Die Lesegeräte sind zuvor auf einen festen Betrag eingestell­t (Campbell hatte sich etwa für zwei Pfund entschiede­n), sodass die Musiker weiterspie­len können, wähstand rend Passanten Geld geben. Die Künstler gehören zum Stadtbild der Metropole, und nicht selten stehen große Talente auf einem der Plätze im Zentrum Londons. Regelmäßig findet ein Auswahlver­fahren statt, durch das sie erst ihr Können unter Beweis stellen müssen, bevor sie in einer U-Bahn-Station, auf dem Trafalgar Square oder am Covent Garden auftreten dürfen.

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Foto: Judith Merkelt, dpa Die Straßen von London gelten als Talentschm­iede für künftige Musikstars.

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