Friedberger Allgemeine

Mit allen Sinnen begreifen

Museen müssen neue Wege gehen, um ihr Zielpublik­um anzusprech­en. Die Digitalisi­erung spielt dabei eine wichtige Rolle – etwa im Fugger-und-Welser-Erlebnismu­seum. Dahinter steckt ein radikales Konzept

- VON ANJA WORSCHECH

Auch für Museen gilt, dass sie mit der Zeit gehen müssen. Eine Dauerausst­ellung, die seit Jahrzehnte­n gezeigt wird, wirkt heute verstaubt und antiquiert. Einfach die Originale zeigen und sich keine Gedanken um die Vermittlun­g machen, das funktionie­rt nur noch in wenigen Häusern. Auf Teenager können solche uralten Dauerausst­ellungen einen fatalen Einfluss haben: Museum, bitte nicht noch einmal! Doch es geht auch anders.

Einen radikalen Weg hat das Fugger-und-Welser-Erlebnismu­seum in Augsburg eingeschla­gen. Es hat auf das Konzept, Originale zu präsentier­en, verzichtet und setzt ganz auf die Vermittlun­g. Betritt der Besucher die Räume des historisch­en Gebäudes, fühlt er sich in die Zauberwelt von Harry Potter versetzt: Sprechende Bilder, lebendige Bücher und die Geister der Kaufmannsl­eute Fugger und Welser ziehen in ihren Bann.

Das Haus verfolgt damit neue Ansätze der Museumspäd­agogik. Demnach sollen möglichst alle Sinne der Besucher angesproch­en werden. Wer Nase, Augen, Ohren und den Tastsinn einsetzt, merkt sich Informatio­nen besser, so die Theorie. Das Fugger-und-Welser-Erlebnismu­seum beschäftig­t sich primär mit der Wirtschaft­sgeschicht­e des 15. und 16. Jahrhunder­ts. Es geht um die Entdeckung der Seewege, um den florierend­en Handel und das Bankenwese­n. An sich ein trockenes Thema. Im Museum steht nun nicht das Exponat im Vordergrun­d, sondern das Ausstellun­gserlebnis – ohne dabei das Ziel eines Museums aus den Augen zu verlieren: Wissen zu bewahren und zu vermitteln.

„Es geht darum, eine Brücke zu schlagen zwischen fundierter Informatio­n und ansprechen­der Präsentati­on“, sagt Katharina Dehner, stellvertr­etende Museumslei­terin. Storytelli­ng sei dafür das neue Stich- wort – eine Ausstellun­g muss eine Geschichte erzählen und Informatio­nen visualisie­ren. Hörstation­en, Filmsequen­zen, Spiele und Mitmachakt­ionen sind daher fester Bestandtei­l. „Die Besucher sollen aktiv werden“, sagt Dehner.

So kann der Besucher typische Handelswar­en wie Zimtstange­n und Muskatnüss­e anfassen und riechen und die Stoffe der damaligen Zeit befühlen. Im Raum über die Seefahrt findet sich ein nachgebaut­es Schiffsdec­k. Seile hängen herunter. Die Besucher werden animiert, Seemannskn­oten zu üben. Für die Kleinsten gibt es Gucklöcher. Legt man eine Seemannska­rte auf den Kartentisc­h, erscheinen darauf Formeln und Zeichnunge­n, die die Navigation­sgeräte der damaligen Zeit erklären. Natürlich steckt dahinter keine Zauberei, sondern ein Beamer. Es ist alles perfekt abgestimmt. Im Hintergrun­d erklingt Möwengesch­rei. Der Besucher fühlt sich tatsächlic­h wie auf einem Schiff.

Das Erlebnismu­seum gibt es erst seit 2014 und hat damit einen entscheide­nden Vorteil. Es konnte bei der Konzeption auf neue Techniken zurückgrei­fen. Dauerausst­ellungen, die Jahrzehnte alt sind, tun sich schwerer, räumt Dehner ein. Dennoch ist der Einsatz von neuen Medien eine Gratwander­ung. „Es soll keine Reizüberfl­utung geben.“Die Balance sei wichtig. Auch im Erlebnismu­seum finden sich daher noch die typischen Texttafeln. Sie liefern Überblicke und Basiswisse­n.

Und dennoch, die Digitalisi­erung bietet viele neue Wege, Museen zu gestalten. Mittels Apps sei es möglich, kostengüns­tige Audiobeitr­äge zu produziere­n und diese in mehreren Fremdsprac­hen anzubieten. „Für Menschen mit Sehbehinde­rung ist es möglich, Texte vorlesen zu lassen“, nennt Dehner ein Beispiel. Eine Schwierigk­eit schwingt allerdings immer mit: der hohe Wartungsau­fwand der Technik.

Im Ballonmuse­um Gersthofen gibt es seit Neuestem einen Audioguide extra für Kinder. Ein zeitgemäße­s Museum bedeutet für Museumslei­ter Thomas Wiercinski immer, die Menschen in ihrer technische­n Gegenwart abzuholen. Im Hörspiel führt der Ballonfahr­er Lütgendorf als guter Hausgeist zusammen mit den Kindern Deniz und Marianna durch das Museum. Dabei lauschen die Besucher witzigen Dialogen, wenn Wetterball­on und Kronleucht­er zum Leben erwachen. Im Audioguide der Erwachsene­n setzt Wiercinski auf die „Oral History“. Zeitzeugen, ehemalige Ballonfahr­er, berichten in Interviews von ihren Erfahrunge­n und machen Geschichte erlebbar. Die Audiobeitr­äge dauern pro Station maximal zwei bis vier Minuten, denn die Aufmerksam­keitsspann­e der Besucher hat sich mit der Digitalisi­erung drastisch verkürzt.

Noch wichtiger sind Wiercinski aber Museumspäd­agogen, die mit Herzblut dabei sind und bei Führungen mit ihrer Begeisteru­ng für die Thematik anstecken. Das Erleben ist Teil des Konzepts im Ballonmuse­um. Im eigenen Physik-Labor dürfen Kinder ausprobier­en, wie Auftrieb funktionie­rt oder warum ein Backpulver-Essig-Gemisch einen Ballon aufbläst. Denn Begreifen habe schließlic­h auch etwas mit dem haptischen Erlebnis zu tun, sagt der Museumslei­ter.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Die interaktiv­en Seemannska­rten erwachen auf dem Kartentisc­h des Fugger und Welser Erlebnismu­seums zum Leben.
Foto: Silvio Wyszengrad Die interaktiv­en Seemannska­rten erwachen auf dem Kartentisc­h des Fugger und Welser Erlebnismu­seums zum Leben.

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