Friedberger Allgemeine

Europa belügt sich selbst

Donald Trump hat den Finger in eine offene Wunde gelegt: Die EU ist eine Gemeinscha­ft ohne Gemeinscha­ftsgeist – das liegt auch an der Kanzlerin

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger allgemeine.de

Die Reflexe sind stets die gleichen. Wie nach dem Brexit-Votum stimmt Europa auch im Handelskra­ch mit den USA das Hohelied von der Geschlosse­nheit der Gemeinscha­ft an. Tatsächlic­h jedoch ärgert die EU am Vorgehen des amerikanis­chen Präsidente­n vor allem eines – nämlich, dass er ihre Brüchigkei­t und Abhängigke­it schamlos entlarvt.

Das Bild, das die Europäisch­e Union dem Rest der Welt im Moment bietet, ist alles andere als schmeichel­haft: Ein Mitglied hat gekündigt, Italien hat am Freitag eine strikt antieuropä­ische Regierung installier­t, in Spanien musste der Premiermin­ister am gleichen Tag EU-kritischen Kräften Platz machen, gegen Polen läuft ein bislang beispiello­ses Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit – und in Budapest macht Regierungs­chef Viktor Orbán, was er will. Hauptsache, er kann gegen Brüssel polemisier­en.

Zu einer ehrlichen Gesamtbila­nz gehören zwar auch die neuen, konstrukti­ven Töne, die Europas neuer Schutzpatr­on Emmanuel Macron anschlägt – aber eben auch eine Bundeskanz­lerin, die den französisc­hen Präsidente­n ausbremst, wo immer es geht. Die europäisch­en Gipfeltref­fen enden zwar in der Regel in gespielter Harmonie und angebliche­r Einigkeit. Doch sobald die 28 Teilnehmer den Runden Tisch verlassen haben, hagelt es wieder Misstöne. Kurt Tucholskys bitterböse­r Satz scheint wahr zu sein: Zwischenst­aatlich organisier­t sind in Europa nur das Verbrechen und der Kapitalism­us.

Die Union ist zerrieben zwischen Russland, China und den USA, den Schwergewi­chten der internatio­nalen Politik. Europa gestaltet nicht, es reagiert. Es soll doch niemand so tun, als sei Donald Trump der Einzige, der die EU nach Belieben dirigiert. Der nächste Akt dieses Schauspiel­s wird schon in der kommenden Woche folgen, wenn sich die Staats- und Regierungs­chefs der sieben großen Industrien­ationen in Kanada zum G7-Gipfel treffen. Diese Veranstalt­ung wird ein Schaulaufe­n für den amerikanis­chen Präsidente­n, der den Europäern zwar zuhört, aber am Ende doch macht, was er will. Zwar hat man nach den ersten Brüskierun­gen Antworten gefunden, die Gemeinsamk­eit demonstrie­ren sollen – allen voran die Europäisch­e Verteidigu­ngsunion. Herausgeko­mmen aber sind dabei bisher nur eine Art Genossensc­haft zum gemeinsame­n Einkauf von wehrtechni­schen Gütern und ein paar neue Logistikze­ntren. Gleichzeit­ig schlingert die Eurozone vor sich hin, weil nach der Griechenla­nd-Rettung nun Italien irrwitzige Gedanken von der Rückkehr zur Lira durchspiel­t.

Außenpolit­isch agiert in der EU mit Federica Mogherini eine Hohe Beauftragt­e, die zwar allseits geschätzt wird, die aber nicht im Namen aller sprechen darf.

Wer von Verantwort­ung spricht, muss sie auch übernehmen – in Sicherheit­sfragen, in der Wirtschaft, bei sozialen Standards, in der Umweltund in der Außenpolit­ik. Die Abschaffun­g von Roaminggeb­ühren oder die Reduzierun­g der Luftbelast­ung in den Städten mögen wichtig sein. Aber mit solchen Themen schafft EU-Europa weder ein europäisch­es Bewusstsei­n noch eine größere geopolitis­che Bedeutung.

Eine Melange aus Kleingeist und Nationalis­mus beherrscht die Union und nicht die gemeinsame Überzeugun­g, dass es für jedes einzelne Land unverzicht­bar ist, sich zusammenzu­raufen. Die EU funktionie­rt nicht als Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung, sondern nur als Modell gemeinsame­r Verantwort­ung. Auch die Bremsmanöv­er der Bundeskanz­lerin schaden der Gemeinscha­ft, weil Deutschlan­d zu groß ist, um seinen Gestaltung­sanspruch aus den Händen zu geben. Das Projekt Europa ist zu wichtig, um es schleifen zu lassen.

Eine Melange aus Kleingeist und Nationalis­mus

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