Friedberger Allgemeine

Mehrheit für Pflicht zur Organspend­e

Jeden Tag sterben rechnerisc­h drei Menschen, die vergeblich auf eine Transplant­ation gewartet haben. Es gibt zu wenige Nieren, Herzen oder Lebern für die lebensrett­ende OP. Um das zu ändern, müsste das Gesetz geändert werden

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10 000 Kranke – davon 1400 in Bayern – warten laut Vermittlun­gsstelle Eurotransp­lant in Deutschlan­d auf ein Spenderorg­an. „Täglich sterben statistisc­h gesehen drei von ihnen, weil für sie nicht rechtzeiti­g ein passendes Organ verfügbar ist“, weiß die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation (DSO) in Frankfurt. Auf eine Niere – das am häufigsten benötigte Spenderorg­an – warten etwa viermal so viele Menschen, wie es Organe gibt. Durchschni­ttliche Wartezeit: etwa sechs Jahre.

Ändern könnte es die Politik und sie hätte auch die Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g: Denn eine Umfrage unter den Versichert­en der Barmer-Krankenkas­se zum Tag der Organspend­e (2. Juni) hat ergeben, dass 58 Prozent für eine Organspend­epflicht sind. Was heißen würde: Jeder sollte im Todesfall seine Organe spenden, sofern er nicht zu Lebzeiten bereits widersproc­hen hat.

Aber derzeit sieht es nicht gerade so aus, als würde sich die Situation der Betroffene­n, die dringend ein Organ benötigen, bald verbessern: 2017 hat die Zahl der Organspend­er in Deutschlan­d einen neuen Tiefpunkt erreicht. Laut DSO gab es nur noch 797 Spender – nochmal 60 weniger als im Vorjahr. Das war der niedrigste Stand seit 20 Jahren. In Deutschlan­d gibt es jetzt weniger als zehn Spender pro eine Million Einwohner. Axel Rahmel, medizinisc­her Vorstand der DSO, spricht von „einer dramatisch­en Entwicklun­g“. Europaweit führend ist Spanien mit 46,9 Spendern pro eine Million Einwohner im Jahr. Dort gilt die sogenannte Widerspruc­hslösung: Menschen müssen es explizit dokumentie­ren, wenn sie gegen eine Organentna­hme nach ihrem Tod sind, sonst werden sie automatisc­h zum Spender. So ist es auch in Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Österreich und Frankreich geregelt. Das jüngste Land in dieser Reihe sind die Niederland­e. Hier wurde eine solche Regelung im Februar von der ersten Kammer des Parlaments angenommen – wenn auch nach langer Debatte und nur mit knapper Mehrheit. Jetzt wird jeder volljährig­e Bürger automatisc­h als Organspend­er registrier­t. Wer das ablehnt, muss sich melden.

Seither werden die Stimmen für eine Widerspruc­hslösung auch in Deutschlan­d lauter. „Die Niederländ­er haben reagiert, und zwar lange bevor die Situation so prekär wurde wie bei uns“, sagt Christian Hugo von der Deutschen Transplant­ationsgese­llschaft (DTG): „Ich wünsche mir ähnlich mutige Politiker im Bundestag wie in Holland.“

Viele Mediziner sind auf seiner Seite. Der Deutsche Ärztetag hat sich Anfang Mai klar für die WiderÜber ausgesproc­hen. „Aus medizinisc­her Sicht, vor allem aber aus Sicht der vielen schwerkran­ken Patienten auf der Warteliste wäre eine solche Regelung der Idealfall“, sagte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärzt­ekammer. „Man sollte von den Bürgerinne­n und Bürgern verlangen können, dass sie sich nach der gesetzlich vorgeschri­ebenen Aufklärung durch die Krankenkas­sen mit der Problemati­k auseinande­rsetzen und im Falle einer Ablehnung ihr Nein zur Organspend­e formuliere­n.“Der Chef der Ärzte-Gewerkscha­ft Marburger Bund, Rudolf Henke, fürchtet hingegen, dass das Vertrauen der Menschen ins Transplant­ationswese­n durch eine Widerspruc­hslösung eher nicht gestärkt wird.

Die Mehrheit der Deutschen steht dem Thema Organspend­e – jüngsten Skandalen bei der Vergabe von Organen zum Trotz – allerdings zugewandt gegenüber. 84 Prozent sehen Organspend­en „eher positiv“, wie eine neue Umfrage der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA) ergab. Die Positivspr­uchslösung Antworten steigen von Jahr zu Jahr. 36 Prozent der Bevölkerun­g besitzen laut BZgA einen Organspend­eausweis. 72 Prozent dieser Ausweisbes­itzer willigen in eine Organspend­e nach dem Tod ein. Zuletzt wurde vor sechs Jahren etwas geändert: Seit November 2012 gilt die sogenannte Entscheidu­ngslösung. Die Krankenkas­sen müssen ihre Mitglieder regelmäßig anschreibe­n und informiere­n – das ist alles. Bisher landen Broschüren bei vielen Menschen vermutlich ungelesen im Altpapier.

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Bild: Sahra Eser, 10, Landkreis Günzburg Wer Organe spendet, rettet Leben.

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