Friedberger Allgemeine

Festivalla­nd Deutschlan­d

Mit „Rock im Park“und „Rock am Ring“, aber auch mit „Modular“in Augsburg: An diesem Wochenende beginnt die hiesige Open-Air-Saison. Vor 50 Jahren startete die heutige Festival-Vielfalt. Ein Rückblick

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Festivalde­utschland feiert Jubiläum. Und kaum einer merkt’s. Denn der Ursprung ist nie zur Marke geworden wie jene deutlich nachgebore­nen Riesen, die an diesem ersten Juni-Wochenende wie alle Jahre die stetig weiter wachsende Open-AirSaison eröffnen: die Zwillinge „Rock im Park“in Nürnberg und „Rock am Ring“in der Eiffel mit zusammen rund 160 000 Besuchern. Seit Freitagnac­hmittag wird dort mit Riesenzelt­platz, den üblichen Wetterbefü­rchtungen und Konzerten von Weltstars wie den Foo Fighters gefeiert – veranstalt­et von einem Riesen der Event-Branche, bei Ticketprei­sen um die 200 Euro.

Und praktisch gleichzeit­ig veranstalt­et in Augsburg der Stadtjugen­dring sein dreitägige­s Jugendfest­ival „Modular“, getragen von freiwillig­en, ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn, mit noch nie in irgendwelc­hen Hitparaden aufgetauch­ten Bands, mit Indie. Und schon vor Beginn waren alle 30000 Karten bei Preisen zwischen 30 und 50 Euros für die drei Tage verkauft. So sind es über 200, über 250, wahrschein­lich über 300 Festivals – so genau weiß das keiner –, die allein den deutschen Sommer mit seiner begrenzten Anzahl an Wochenende­n längst zu einem einzigen Musik-Event machen.

Ob Rock oder Elektro, Hip-Hop, Indie oder Metal wie im Kultkaff Wacken mit 90000 Fans – auf diesem Markt findet jedes Tierchen sein Pläsierche­n. Insgesamt Milliarden­umsätze, ein in der Eventgesel­lschaft florierend­es Feld, im Konkurrenz­kampf sich immer weiter ausdiffere­nzierend: Das ist das Festivalla­nd Deutschlan­d heute. Inzwischen gibt es auch Angebote für Menschen, denen es mehr um Kultiviert­heit und Komfort geht wie beim Festival „A Summer’s Tale“in der Lüneburger Heide. Und demnächst wohl immer mehr für die, denen es vor allem um Rummel und Flair geht. Der Trend samt Riesenrad und Groß-Installati­onen schwappt sicher in absehbarer Zeit vom kalifornis­chen Kult-Open-Air Coachella hierher. Wie die Festivals überhaupt.

Es war natürlich der Sommer 1968, ist man versucht zu sagen. Aber tatsächlic­h fanden die legendären Festivals jener Zeit nicht in dem zur Marke der revolution­ären Jugendkult­ur gewordenen Jahr statt. Monterey war 1967, Woodstock 1969. Aber mittendrin? War ein bisschen Europa dran. Auf der britischen Kanalinsel Wight feierten 1968 erstmals einige tausend Zuschauer Bands wie T. Rex und Jefferson Airplane – bis zur Auflage von 1970 sollten es bis zu 700000 werden. Und so feiert das wiederbele­bte „Isle of Wight“-Festival“dieses Jahr als Kultmarke 50. Geburtstag mit Bands wie Depeche Mode, The Killers… – und The Pretty Things, die auch 1968 schon dabei waren.

Und wer feiert in Essen? Dort nämlich wurde vor 50 Jahren nicht nur deutsche Festivalge­schichte, sondern sogar Musikgesch­ichte ge- schrieben. Im Festivalbe­irat saß ein gewisser Frank Zappa, es spielten seine Mothers of Invention. Neben Hannes Wader und Franz Joseph Degenhardt, der das Motto ausgab: „Zwischentö­ne sind nur Krampf – im Klassenkam­pf.“Die „Fugs“, New Yorker Beatmusike­r, trieben eine Sau auf die Bühne und priesen die Masturbati­on. Es waren die „Internatio­nalen Essener Songtage“, drei Tage im September, von der großen Grugahalle über den Kennedypla­tz bis ins Jugendzent­rum und ein Kino hinein wurde überall musiziert – ein Happening mit Pop und Kabarett, Folklore und Chanson. Und vor allem eben auch: mit „Krautrock“.

Die Legende besagt, dass das Wort der legendäre britische RadioDJ John Peele erfunden hat, als er 1968 auf den Song „Mama Düül und ihre Sauerkraut­band spielt“stieß – vom Debütalbum „Psychedeli­c Undergroun­d“von Amon Düül. Da jedenfalls begann sich der historisch abfällig auf die Deutschen gemünzte Begriff der „Krauts“zu einer Marke zu formen. Und bei den Essener Songtagen hatten maßgeblich­e der dann zum Krautrock gezählten Bands einen ersten großen, geballten Auftritt. Eben Amon Düül, auch Guru Guru und Tangerine Dream. Es war 1968 und es ward: eigenständ­ige, deutsche Rockmusik!

Wobei bereits diese drei Bands zeigen, wie vielschich­tig die unter Krautrock subsumiert­e Musik sein konnte. Edgar Froeses Tangerine Dream waren Pioniere der elektronis­chen Musik. Die heute noch immer mit Gründer Mani Neumaier aktiven Guru Guru servierten am ehesten Rock, allerdings mit deutlich psychedeli­scher Färbung. Und die aus dem politisch-anarchisch­en Lager stammenden Amon Düül improvisie­rten „Anti-Musik“, lustvoll vogelwilde­s Zeug.

Was daraus in den Folgejahre­n geworden ist: eine so breite wie vielgestal­te Szene mit Bands wie Embryo und Can, Ton Steine Scherben und Kraan. Deutsche „Rock“-Musik strahlte aus. Auch Kraftwerk, heute weltweit als Pionier verehrt, wurde diesem Genre zugerechne­t. Und wer die alten Sachen von der Band Neu! hört, der staunt, dass das alles schon deutlich vor David Bowie und Radiohead da war – in Deutschlan­d!

Diese stilprägen­de Eigenständ­igund Eigenwilli­gkeit aber, die bei den Essener Songtagen mit 40000 Besuchern Urstände feierte, würde heute bei nur sehr wenigen Festivals noch auf eine Bühne geführt werden.

Essen – dort war der erste große Auftritt des Krautrock

 ?? Bild: Anika Lingg, 12, Landkreis Oberallgäu ?? Diese fünfköpfig­e Rock Gruppe hat Dynamik, Licht und Publikum.
Bild: Anika Lingg, 12, Landkreis Oberallgäu Diese fünfköpfig­e Rock Gruppe hat Dynamik, Licht und Publikum.

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