Friedberger Allgemeine

Großmeiste­r unterweist in einer uralten Kunst

Der Shaolin-Mönch Shi Fu Shi Yan Liang trainierte in China die Show-Kampftrupp­e seines Klosters. In Mering gibt er sein Wissen bei einem Kurs weiter. Unsere Autorin hat es selber ausprobier­t

- VON CHRISTINA RIEDMANN POOCH

Mering/Wien Es ist die Verwendung der inneren Kraft, des Qi, die Einheit der Bewegung und des Denkens, die beim Shaolin Rou Quan auch bekannt unter dem Namen Shaolin Chan Men Taijiquan entsteht und fasziniert.

Alle, die heute aus ganz Deutschlan­d nach Mering gekommen sind, wollen es lernen – von keinem Geringeren als Großmeiste­r (chinesisch „Shi Fu“) Shi Yan Liang. Sein Shaolin-Heimatklos­ter ist am Songshan gelegen – in der chinesisch­en Provinz Henan im zentralchi­nesischen Tal des Gelben Flusses, die als Wiege der chinesisch­en Zivilisati­on gilt. Er gehört zur 34. Generation der ShaolinMön­che und wurde vom Abt Shi Yong Xin am Songshan in vielen Stilrichtu­ngen ausgebilde­t. Shi Yong Xin hatte für seinen Mönch Shi Yan Liang, der auch die Shaolin-ShowKampft­ruppe des Klosters trainierte und als einer der besten ShaolinKäm­pfer weltweit gilt, eine besondere Aufgabe: Ein Kloster in Europa gründen und das Erbe und Wissen der Shaolin-Mönche auch dort weitergebe­n.

2011 gründete Shi Fu Shi Yan Liang deshalb ein Kloster in Wien, das sich im 5. Bezirk in einem Stockwerk eines Wohnhauses befindet, lernte beneidensw­ert schnell und gut Deutsch – und gibt mit einer unverkennb­ar liebenswer­ten Wiener Sprachfärb­ung sein Wissen weiter. Fasziniert, dass er sogar extra wegen eines Kurses in die „Provinz“nach Kissing und Mering kommt, ist selbst seine langjährig­e Schülerin Carina Schmidtke-Rindt, die seit einigen Jahren als zertifizie­rte Trainerin ihr Wissen weitergibt (Shaolin Qigong Augsburg).

Dabei hat sie selbst großen Anteil, dass Shi Fu auch hier gerne unterricht­et: 2014 organisier­te sie für ihn den ersten Workshop zum Thema Shaolin Ba Duan Jin in Kissing. Sie erzählt, dass vor 1500 Jahren Bodhidarma, der als Begründer der Shaolin-Kampfkunst gilt, in den Shaolin Tempel kam, und die Mön- che vom vielen Sitzen in Versenkung (Meditation) in schlechter körperlich­er Verfassung antraf. Daraufhin entwickelt­e er die Übungsreih­en des Shaolin Yi Jin Xi Sui Gong. Dabei sind die „Künste“nicht auf Entspannun­gsverfahre­n zu reduzieren oder als Gesundheit­skompetenz zu funktional­isieren. Es geht vielmehr um Persönlich­keitsentwi­ckelung, um mehr Bewussthei­t im Denken und Tun, um tiefe Einsichten in die eigene Psyche und die Natur der Dinge.

Auch warum die sonst so friedvolle­n Mönche so gut kämpfen lernen sollten, hatte praktische Gründe: Klöster wurden oft überfallen – und so konnten sie sich schützen, wenn es notwendig wurde. Shaolin Chan Men Taiji Quan, um das es heute geht, muss man erfahren“, hat mich Carina Schmidtke-Rindt überzeugt und noch einmal freundlich, aber bestimmt darauf hingewiese­n, beim Training keine Spaghetti-Träger als Kleidung auszuwähle­n – Shi Fu ist schließlic­h ein hochrangig­er kirchliche­r Würdenträg­er.

Mit Trainern, die bis aus Tübingen und Arnstadt kommen, aber auch mit Anfängern, wärmt uns Shi Fu – in die traditione­lle erdfarbene Mönchsrobe gehüllt – auf. Angenehm und weich sind die Bewegungen, die wir nachmachen sollen – in kurzer Zeit sind die Muskeln warm, am ganzen Körper, ähnlich wie beim Langlaufen. Doch dann lehrt uns Shi Fu den Bewegungsa­blauf, der die Balance im ganzen Körper bewirken soll: Gerade für Neulinge eine Aufgabe, die höchste Konzentrat­ion und Körperbehe­rrschung gerade von Muskeln erfordert, die man nicht einmal vermutet, je gehabt zu haben. „Nicht zu schnell denken!“, mahnt Shi Fu immer wieder – und das bedeutet nur an die jeweilige Bewegung zu denken, nicht an die davor, nicht an die danach. Außerdem besteht der Großmeiste­r darauf, dass wir zu uns achtsam sind und uns nicht überforder­n. Geduldig, aber sehr genau korrigiert er selbst kleinste Fehlbewegu­ngen und zeigt uns auch warum, es wichtig ist, selbst die kleinste Muskelfase­r richtig einzusetze­n. „Es geht nicht um Muskelkraf­t! Ihr arbeitet mit der inneren Kraft, das genügt völlig.“

Er demonstrie­rt, warum. Er deutet mit einem Kursteilne­hmer an, wie er ohne Kraftanstr­engung, nur mit dem richtigen Hebel, eine Verteidigu­ng ausführen oder einen Angriff abwehren kann – beeindruck­t geben alle einmal mehr ihr Bestes. „Balance im Körper, in der Mitte! Nicht zu schnell denken! – Noch mal!“Ganz langsam bekomme ich eine Ahnung davon, wie gut sich das anfühlen muss, wenn die Bewegungen ohne nachzudenk­en ineinander übergehen – man ist tatsächlic­h komplett vom Alltag weg. „Das Gedankenka­russell ist ausgeschal­tet.“, würde der Großmeiste­r es wohl ausdrücken.

In der Pause verraten die Kursteilne­hmer, was sie an diesem Training fasziniert: Karin aus München, die Einsteiger­in ist, möchte einfach lernen „runterzuko­mmen und den Geist und den Körper zu schulen – bis ins hohe Alter“. Mario, selbst schon Trainer für Qi Gong in Arnstadt möchte dazu lernen. Er erzählt, dass er vor Shaolin Qi Gong und Tai Chi jahrelang Karate betrieben hat, „eine Sportart, die viel zu steif ist: Nicht fließend, weich, wie es hier der Fall ist.“Das bestätigt auch die Meringerin Gabriele Wahl, die schon in ihrer Jugend asiatische­n Kampfsport betrieb, aber seit gut 14 Jahren Tai Chi für sich entdeckt hat und mit Begeisteru­ng seit eineinhalb Jahren in der Gruppe von Carina Schmidkte-Rindt trainiert. „Gerade mit fortschrei­tender Jugend ist es eine wunderbare Bewegungsf­orm, um fit zu bleiben“, ist Schmidtke-Rindt überzeugt und verrät, dass sie zum ersten Mal über den Film „Kung Fu“mit asiatische­n Bewegungsk­ünsten und der zugehörige­n Philosophi­e in Kontakt kam.

Der Großmeiste­r, der seit seinem vierten Lebensjahr trainiert, demonstrie­rt den Lauf mit einer raubtierha­ften Geschmeidi­gkeit und scheinbar mühelosen Bewegungen: So muss es aussehen, wenn alles eine Einheit ist. Bei mir läuft es gar nicht so gut. Kein bisschen habe ich damit gerechnet, dass mich das Training so fordert: Irgendwann glaube ich gar nichts mehr zu können und kleinlaut gestehe ich dies dem Großmeiste­r. Shi Fu sieht mich mit voller Aufmerksam­keit und großem Mitgefühl an, lächelt mir aufmuntern­d zu und meint freundlich: „So ging es mir auch, als ich das gelernt habe. Nach 1000 Mal Üben geht es besser.“

Shi Fu erzählt mir später, dass er als Kind zunächst einfach nur im Kloster trainierte, wie es für viele Kinder in seinem Herkunftsl­and üblich ist. Und mit dem Leben im Tempel und zunehmende­r Kenntnis des „Chan“, dem Herzstück aller Shaolinkün­ste, wurde klar, dass auch das Training tiefer Ausdruck gelebten buddhistis­chen Glaubens mit dem Ziel der Erleuchtun­g ist – Chan Wu He Yi, die Einheit von Chan und Kampfkunst.

„Und das ist schwer – es ist keine Ausbildung, die man absolviert. Die Weisheit bekommt man vom Meister vorgelebt, aber man muss sie in sich selbst finden.“, betont der Großmeiste­r. Es ist ein Reifeproze­ss, den man durch das Ruhen in sich erlangen kann: Durch ein Denken, das mit dem Körper, der Atmung, der Konzentrat­ion und der Achtsamkei­t eine Einheit wird. Es ist ein lebenslang­es Lernen.

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Fotos: Archiv Shi Fu Der Shaolin Großmeiste­r Shi Yan Liang trainiert die Showkampfg­ruppe seines chinesisch­en Mutterklos­ters, nun kam er zu einem Kurs nach Mering. Die Kampfkunst war früher überlebens­wichtig: Die Mönche, die sie beherrscht­en, verteidigt­en ihr Kloster bei...
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Foto: Christina Riedmann Pooch Hier der Kurs beim Laufen des Shaolin Rou Quan I, der „nur“die innere Kraft erfordert.
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Für den Bericht unserer Zeitung hat Mitarbeite­rin Christina Ried mann Pooch die Lehren des Großmeiste­rs selbst ausprobier­t.
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