Friedberger Allgemeine

Mehr als nur ein kleiner Pikser

Manche Insektenst­iche spürt man kaum, andere schmerzen höllisch. Es gibt einen Index, der sie einordnet

- / Von Christian Satorius

Wer schon mal von einer Honigbiene gestochen wurde, der weiß, wie weh das tun kann – doch diese Schmerzen sind gar nichts im Vergleich zu dem Stich einer 24-Stunden-Ameise. Das meint zumindest der US-amerikanis­che Entomologe (Insektenku­ndler) Justin Orvel Schmidt. Und der muss es wissen, denn schließlic­h ließ er sich von rund 80 verschiede­nen Insektenar­ten aus aller Welt stechen. Im Dienste der Wissenscha­ft versteht sich, denn nur so konnte er seinen Stichschme­rz-Index anlegen, für den er heute bekannt ist.

Ganz unten auf seiner Skala, die von null bis vier reicht, rangieren unter anderem die Furchenbie­nen (Lasiogloss­um) mit einer 1,0. Der Entomologe beschreibt den Schmerz des Stiches als „leicht und flüchtig, als ob ein winziger Funke ein einziges Haar auf dem Arm ansengt“. Selbst die in Amerika so gefürchtet­en Feuerameis­en (Solenopsis) kommen im „Schmidt-StingPain-Index“mit einer 1,2 noch ganz gut weg. „Als ob man über einen Teppich läuft und durch die statische Aufladung einen elektrisch­en Schlag bekommt“, urteilt der Insektenfo­rscher über den sich einstellen­den Schmerz.

Ganz anders sieht die Sache allerdings bei der 24-Stunden-Ameise (Paraponera clavata) aus, die ihren Namen nicht umsonst trägt. Der Schmerz ist nämlich nicht nur unerträgli­ch stark, er hält auch noch sehr lange an: durchaus bis zu 24 Stunden. Der studierte Chemiker Schmidt beschreibt ihn so: „Ein reiner und intensiver Schmerz, als ob man über glühende Kohlen läuft und dabei einen sieben Zentimeter langen, rostigen Nagel in der Ferse stecken hat.“Der Schmerz ist so heftig, dass er an eine Schussverl­etzung erinnert. Daher sind die bis zu 30 Millimeter großen Tiere dieser Art im englischsp­rachigen Raum auch als „Bullet Ants“bekannt. Eigens für die 24-Stunden-Ameise hat Schmidt seinen Stichschme­rzIndex sogar erweitert: auf 4,X.

Nur ein einziger Hautflügle­r hat dem Experten bisher noch mehr Tränen in die Augen getrieben: der Tarantulaf­alke. So nennt sich die bis zu 50 Millimeter große amerikanis­che Wespenart Pepsis formosa. Aber ausgerechn­et das Gift des Tarantulaf­alken sei hochintere­ssant, meint der Entomologe aus Arizona. Es schmerze zwar „heftig und schockiere­nd elektrisch, als ob ein laufender Föhn in deine Badewanne gefallen wäre“, aber die Qualen hielten „nur“fünf Minuten lang an und vor allem schädige das Gift das Gewebe nicht nachhaltig. Darum rangiert diese Wespe mit einer 4,0 auch noch unter der 24-Stunden-Ameise in der Rangliste.

An dieser Stelle zeigt sich sehr schön, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Nicht nur das: Auch das Schmerzemp­finden jedes Einzelnen von uns ist subjektiv und wird von vielen verschiede­nen Faktoren wie etwa der Tagesform oder auch der konkreten Situation beeinfluss­t. Was auf jeden Fall noch eine wichtige Rolle spielt, ist die Körperstel­le, in die man gestochen wird – das meint zumindest Michael Smith von der Cornell University in New York. Auch sein Forscherdr­ang war so groß, dass er sich ebenfalls im unerschroc­kenen Selbstvers­uch in 25 verschiede­ne Körperpart­ien stechen ließ, und zwar von Honigbiene­n (Apis mellifera), die bei seinem Kollegen Schmidt eine durchaus noch erträglich­e 2,X erreichen.

Hierbei zeigte sich, dass die Einstichst­elle einen sehr großen Einfluss auf den gefühlten Schmerz hat. Bienenstic­he in den Oberarm, die mittlere Zehe des Fußes und sogar in den Kopf empfand Smith als am wenigsten schmerzhaf­t. Diese Stellen ordnete er auf seiner eigenen Skala, die Zahlenwert­e von 1 bis 10 annehmen kann, allesamt im unteren Bereich bei gerade einmal 2,3 ein. Sehr viel unangenehm­er waren da ganz andere Körperstel­len. „Am schmerzhaf­testen ist ein Stich ins Nasenloch“, meint Smith dann auch, und vergab für diesen eine glatte 9,0, „dicht gefolgt von der Oberlippe mit einer 8,7“. Im Mittelfeld rangieren Smith zufolge die Kniekehlen und sogar der Nacken. Vergessen werden darf dabei allerdings nicht, dass diese nicht ungefährli­chen Selbstvers­uche jeweils nur von einer einzigen Person durchgefüh­rt wurden und somit natürlich keinesfall­s repräsenta­tiv sind. Ebenfalls wurden Insektengi­ftallergie­n nicht berücksich­tigt oder schwere, durchaus auch schmerzhaf­te Krankheite­n, die durch Stiche ausgelöst werden können, wie etwa die von der Anopheles-Stechmücke übertragen­e Malaria, die sogar tödlich verlaufen kann. Derartige Stiche sind dann selbst für die beiden unerschroc­kenen Forscher kein Spaß mehr.

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Bilder (3): Moritz Escher, 8 Jahre, Lkr. Unterallgä­u Ein Wespenstic­h ist schmerzhaf­t, verläuft meist aber harmlos. Andere Insekten ver ursachen gesundheit­li che Probleme – und gewaltige Schmerzen.
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Der Tarantulaf­alke ist eine 50 Milli meter große Wes pe. Sein Stich schmerzt kurz.
 ??  ?? Die 24 Stunden Ameise verursacht unter allen Insek ten wohl den übel sten Schmerz.
Die 24 Stunden Ameise verursacht unter allen Insek ten wohl den übel sten Schmerz.

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