Friedberger Allgemeine

Kleiner wohnen

In vielen Gegenden der Region wird Wohnraum knapp und immer teurer. Sind „Mikro-Wohnungen“die Antwort darauf? Oder winzige Häuser mit zwölf Quadratmet­er Fläche? Welche ungewöhnli­chen Projekte es jetzt schon gibt

- VON SONJA KRELL

„Man darf sich nicht vorkommen wie in einer Legebatter­ie.“ „Ich war permanent unzufriede­n. In diesem Haus komme ich total runter.“

Kaufering/Utting

Peter Kerler muss erst einmal ausholen. Erklären, wie er zu dem kam, was er seine „zündende Idee“nennt. Und ein Wohnkonzep­t der Zukunft. Zumindest hier, in Kaufering, zumindest an diesem Standort. Also deutet Peter Kerler auf den Bahnhof hinter sich, auf die wenigen Meter, die die neue Wohnanlage von den Bahngleise­n trennt. „Mit dem Zug sind Sie in 35 Minuten am Münchner Hauptbahnh­of, in 37 Minuten in Augsburg“, erklärt er und zählt weiter auf: vier Minuten mit dem Auto zur A96-Auffahrt Richtung München oder Lindau, ebenso schnell kommt man zur B17, die nach Augsburg oder Füssen führt. Zu Hilti, dem größten Arbeitgebe­r am Ort, schafft man es in ein paar Minuten zu Fuß. Wer so zentral wohnen will – Pendler, Manager, Berufseins­teiger, Studenten oder Singles –, der kommt auch mit wenig Wohnraum aus, ist der Bauträger überzeugt.

Aber dann nur mickrige 21 Quadratmet­er? Wer will denn so leben?

Kerler, Jeans, schwarzes T-Shirt, Flip-Flops, steht am Bauzaun. Unten in der Baugrube reiht der Kran eine Betonschal­ung an die nächste. Radlader fahren zwischen Betonstütz­en hin und her. Noch braucht es etwas Fantasie, um sich vorzustell­en, was dort entsteht: zwei Baukörper, angeordnet jeweils in L-Form, mit insgesamt 60 MikroWohnu­ngen. Hübsche Apartments, die meisten davon gerade mal 3,50 Meter breit und 6,50 Meter lang, im Obergescho­ss macht das knapp 21 Quadratmet­er, im Erdgeschos­s dank Terrasse noch dreieinhal­b mehr. Also eine bessere Studentenb­ude? Kerler schüttelt entschiede­n den Kopf. „Damit hat das rein gar nichts zu tun.“In den Mikro-Wohnungen soll es eine hochwertig­e Einbauküch­e geben, ein stilvolles Bad, einen gemütliche­n Wohn- und Schlafbere­ich. „Unser Ziel heißt Wohnkultur auf wenigen Quadratmet­ern.“

Nun ist Kerler ein Geschäftsm­ann. Einer, der weiß, wie er seine Projekte anpreisen muss. Der davon schwärmt, dass alle Wohnungen nach Süden und Westen ausgericht­et sind, dazu hochwertig möbliert und mit Tiefgarage­nstellplat­z. „Solche Wohnungen“, sagt er, „gibt es bisher nicht.“

Kein Wunder, kommt das MicroLivin­g-Konzept doch aus den Metropolen der Welt – dort, wo man sich nicht mehr als ein paar Quadratmet­er leisten kann. Aber brauchen wir solche Mini-Apartments auch bei uns, zumindest da, wo Wohnraum knapper und teurer wird? Müssen wir lernen, uns mit weniger zu begnügen?

Bisher jedenfalls sieht es nicht danach aus. Denn im Schnitt beanspruch­en die Menschen immer mehr Platz. Lebte der Durchschni­ttsbayer 1990 noch auf 37,4 Quadratmet­ern, waren es zuletzt bereits 47,8. Das Bundesinst­itut für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung (BBSR) in Bonn geht davon aus, dass es im Jahr 2030 bereits mehr als 50 Quadratmet­er sein werden.

Wie aber passt das zusammen – die Statistik einerseits und die Debatte um fehlende Wohnungen und Flächenver­brauch anderersei­ts? Beim BBSR spricht man von zwei unterschie­dlichen Entwicklun­gen. Da sind die Älteren, die häufig viel Platz haben, allein im großen Haus leben, das einst für die ganze Familie gebaut wurde. Und da sind die Jüngeren, die es in die teuren Städte zieht, wo ihnen immer weniger Quadratmet­er bleiben. Hinzu kommt: Es gibt immer mehr SingleHaus­halte. Nun ist Kaufering eine Marktgemei­nde und Landsberg keine Großstadt. Und doch spürt man die Folgen des Münchner Immobilien­booms längst auch hier. Jedes Jahr wächst Landsberg um 300 Bürger. Menschen, die in der derzeit 29 300-Einwohner-Stadt eine Bleibe benötigen. Gerade kleine Wohnungen sind gesucht. Doch davon gibt es viel zu wenig.

Oberbürger­meister Mathias Neuner kennt die Problemati­k nur zu gut. Zuletzt hat die Stadt eine Umfrage unter den Landsberge­rn durchgefüh­rt, erzählt der CSU-Politiker. Der einzige Kritikpunk­t war die Wohnraumve­rsorgung, mit der 80 bis 90 Prozent der Menschen unzufriede­n sind. Dass das Problem angepackt wird, sieht man an vielen Stellen der Stadt: Im Westen und im Osten sollen neue Wohnvierte­l entstehen, am Papierbach ein schickes Stadt-Quartier, das 1500 Menschen Platz bieten soll. An der Schongauer Straße werden kleine Wohnungen gebaut für einkommens­schwache Bürger – 25 oder 30 Quadratmet­er groß, dafür aber günstiger. Denn für eine 100-Quadratmet­er-Wohnung werden in Landsberg schon mal 1500 Euro fällig, sagt Neuner. „Wenn die Preise immer weiter steigen, dann muss man eben an den Quadratmet­ern sparen.“

Das gilt für das Bauprojekt von Peter Kerler im nahe gelegenen Kaufering – und so handhabt dies auch das Klinikum Landsberg. 60 Mikro-Wohnungen sollen dort in den nächsten drei Jahren entstehen – 20 bis 40 Quadratmet­er groß, gedacht für Pflegeschü­ler und Mitarbeite­r bis zu einer bestimmten Einkommens­grenze. Für das Klinikum ist es ein notwendige­r Schritt, wenn man als Arbeitgebe­r attraktiv bleiben will, sagt Vorstand Marco Woedl. Die stark gestiegene­n Mieten sorgten inzwischen dafür, „dass wir immer weniger Bewerber für den Standort begeistern können“. Auch andere Firmen haben die Erfahrung gemacht: Wer Fachkräfte anlocken will, muss mehr bieten als nur einen guten Arbeitspla­tz. Bezahlbare­n Wohnraum zum Beispiel.

In der Landsberge­r Altstadt sitzt Peter Kerler in seinem aufgeräumt­en Büro – ein Raum zur Straße hin, ein großer Eichentisc­h, vier Stühle, ein Bildschirm an der Wand. Mehr nicht. „Wenn man nur einen kleinen Raum hat“, sagt er und legt die Brille ab, „dann ist der erste Eindruck entscheide­nd.“Wie bei seinen Mikro-Wohnungen. Wenn man die Wohnungstü­r öffne und von Tellern in der Kochnische bis zum nicht gemachten Bett alles sehe – so wie es damals in der Studentenw­ohnung war – „das geht gar nicht“.

Wie aber löst man das Problem? Für solche Fälle gibt es Architektu­rpsycholog­en wie Klaus Kopp. Seine Aufgabe ist es, selbst in einem 21-Quadratmet­er-Zimmer eine Wohlfühlat­mosphäre zu schaffen. „Man darf sich nicht vorkommen wie in einer Legebatter­ie. Man sollte das Gefühl haben, als würde man in einem 35-Quadratmet­er-Apartment wohnen“, erklärt der Mann aus Ebersberg bei München.

Das Geheimnis liege darin, auch auf knapper Fläche Raumzonen zu schaffen – dass man beim Betreten der Wohnung etwa nur die kleine Garderobe sieht, dann in die Küche abbiegt und erst von dort aus in den Wohnraum blickt. Das Bad ragt schräg in den Raum, versteckt hinter einer runden Wand, abgeteilt durch eine Glas-Schiebetür. Es gibt eine große Fensterfro­nt, deckenhohe Einbauschr­änke und ein Bett, das sich zum Sofa umfunktion­ieren lässt.

Für knapp 135000 Euro soll die möblierte Wohnung verkauft werden, als Miete sind etwa 450 Euro angesetzt. Das hört sich nach viel Geld an für 21 Quadratmet­er.

Peter Kerler winkt ab. Die Wohnungen seien schließlic­h hochwertig ausgestatt­et und möbliert. Und die Nachfrage sei da. Der Vertrieb starte allerdings erst.

Kerler muss in diesen Tagen andere, drängender­e Fragen klären. Er zeigt Grundrisse, Skizzen von Klappbette­n, von hochmodern­en Bädern, grifflosen, modernen Küchen – Entwürfe, die Hersteller für die Mikro-Wohnungen gemacht haben. „Alle viel zu teuer“, sagt er und winkt ab. Seit einem halben Jahr tüftelt er an der Frage, wie sich die Wohnungen ideal einrichten lassen. „Das ist das schwierigs­te Thema.“

Es ist eine Frage, die Luise Loué 20 Kilometer weiter, in Utting am Ammersee, längst für sich beantworte­t hat. An diesem sonnigen Nachmittag radeln junge Frauen Richtung Naherholun­gsgebiet, vorbei an schmucken Einfamilie­nhäusern. Unten am See bräunen sich Sonnenhung­rige. Am Campingpla­tz reiht sich Wohnwagen an Wohnwagen. Dazwischen lebt Luise Loué auf zwölf Quadratmet­ern.

Seit März wohnt die Künstlerin mit ihrem kleinen Sohn in einem Tiny House – einem winzigen Holzhaus, montiert auf einem Autoanhäng­er, 2,40 Meter breit, 4,15 Meter lang, vorne und hinten Fenster. Drinnen: eine Kochnische mit Herdplatte und kleinem Spülbecken, platziert auf Rollen, damit man sie zur Not auch wegschiebe­n kann. Ein schmaler Essbereich mit zwei Barhockern, ein kleines Sofa, drei Sitzhocker, in denen die 41-Jährige Kleidung verstaut, und oben ein Bett, in das man über eine Leiter klettert. Holzvertäf­elte Wände in Zartgrün und Dunkelgrau, gestaltet von einer Innenarchi­tektin. Das Haus, erzählt sie, haben Studenten in Berlin gebaut, die Fenster sponserte eine Firma aus Kaufbeuren, nur den Anhänger musste sie bezahlen. Und was hat das nun alles gekostet? Loué zuckt nur mit den Schultern.

Sie ist das gewohnt – die Fragen, wie man so leben kann, auf so wenig Raum, ohne Bad, fließend Wasser oder einen Kühlschran­k. Dabei sind die winzigen Häuser auf dem Vormarsch. Sogar Tchibo verkauft sie seit neuestem – das günstigste Modell zehn Quadratmet­er klein, inklusive Mini-Veranda und Anhänger für 40 000 Euro.

Loué, die Künstlerin, die ein Museum betreibt und in ihrem Tiny House zu Lesungen und Konzerten lädt, sitzt auf dem Holzstuhl vor ihrem Haus, streicht ihrem vierjährig­en Sohn über den Kopf und sagt: „Das ist total entlastend hier.“Weil doch alles da sei: das Bad am Waschhaus gegenüber, ein Kübel mit Wasser, in dem sie die Getränke kühlt, Strom. Geputzt ist ihr Mini-Haus in einer halben Stunde. In ihrer Wohnung brauchte sie dafür Stunden. „Ich war permanent unzufriede­n. Jetzt, in diesem Haus, komme ich total runter.“

Und auch sonst krempelt Loué ihr Leben um: Sie will Ballast abwerfen, einfacher leben – weniger Müll verursache­n, weniger kaufen, weniger brauchen. Auf Tauschbörs­en hat sie ihre Kleider gegen neue eingetausc­ht, ihre Lebensmitt­el holt sie am Markt oder bekommt sie von jenen, die sie wegwerfen würden. Minimalist­isch zu leben, das macht glückliche­r, lautet ein Credo der Bewegung.

Ob das Tiny House für Luise Loué ein Abenteuer für einen Sommer bleibt? Eine Episode auf zwölf Quadratmet­ern? „Das kann ich nicht sagen, das ist zu früh“, meint Loué. Ihre Wohnung mit 80 Quadratmet­ern jedenfalls hat sie nicht gekündigt. Vielleicht macht sie auch eine größere Reise. Das Tiny House könnte sie ja mitnehmen.

Klaus Kopp, Architektu­rpsycholog­e

Luise Loué, Künstlerin und Besitzerin eines „Tiny House“

 ?? Fotos: Sonja Krell (4), Dagmar Kübler ?? Wer braucht schon viel Platz? Luise Loué nicht. Die Künstlerin lebt mit ihrem Sohn auf zwölf Quadratmet­ern. Ihr Holzhaus steht auf einem Anhänger und bietet Platz für eine kleine Küche, ein Sofa und, oben, für eine Schlafnisc­he. Ihr Sohn Lukas hat das...
Fotos: Sonja Krell (4), Dagmar Kübler Wer braucht schon viel Platz? Luise Loué nicht. Die Künstlerin lebt mit ihrem Sohn auf zwölf Quadratmet­ern. Ihr Holzhaus steht auf einem Anhänger und bietet Platz für eine kleine Küche, ein Sofa und, oben, für eine Schlafnisc­he. Ihr Sohn Lukas hat das...
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ?? Grafik: Inventus.blue ?? Bad, Küche, Wohnen und Schlafen – und das auf nicht ganz 21 Quadratmet­ern: So se hen die Mikro Wohnungen aus, die in Kaufering entstehen.
Grafik: Inventus.blue Bad, Küche, Wohnen und Schlafen – und das auf nicht ganz 21 Quadratmet­ern: So se hen die Mikro Wohnungen aus, die in Kaufering entstehen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany