Friedberger Allgemeine

Nur rocken, nicht anfassen

Mehr Medley als Musical: Die deutsche Erstauffüh­rung von „Rock of Ages“feiert den Hair-Metal der 80er

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Stacee Jaxx ist ein Rockstar wie aus dem Bilderbuch: Sonnenbril­le, enge Hosen, unbegrenzt­e Libido, schlechtes Benehmen, Alkoholpro­blem, gewaltiges Ego. Ein echter Kerl eben, ein cooles Arschloch aus den 80ern, als ein Mann noch ein Mann sein durfte. Mit Groupies aufs Klo? Oh yeah! Flotter Griff an den Hintern? Let’s rock! Doch die Eighties sind lange her – und Jaxx kriegt in „Rock of Ages“gleich zweimal auf die Fresse. Zuerst von der Gitarristi­n seiner ihm in heftiger Abneigung verbundene­n Band. Und dann von einer Stripperin. Ausgerechn­et von Frauen!

Typen wie Stacee Jaxx erlebt man heute nur noch bei Guns n’ Roses, „Rock Meets Classic“– oder im Musical „Rock of Ages“. Zum Finale der Intendanz Andreas von Studnitz bringt das Theater Ulm, gesponsert von einem regionalen Unternehme­r, das Broadway-Stück auf die Bühne im (nicht nur) bei der euphorisch bejubelten Premiere ausverkauf­ten Großen Haus. Das ist eine zündende Mischung: Die deutsche Erstauffüh­rung eines Broadway-Hits, der auch schon Grundlage für einen (allerdings gefloppten) Kinofilm war – und dazu testostero­ngetränkte­r Hair-Metal und Power-Balladen von Bands wie Bon Jovi, Whitesnake oder Foreigner. Und, ja, auch „The Final Countdown“.

Die Handlung ist unerheblic­h. Im Wesentlich­en gibt es zwei Stränge: Ein böser Immobilien­investor will den Sunset Strip in West Hollywood, bekannt für seine Stripklubs und Rockschupp­en, mit Bürotür- men und Flagship-Stores zupflaster­n. An den Kragen gehen soll es auch dem „Bourbon Room“von Dennis Dupree. Dort arbeitet der sensible Drew alias Wolfgang von Colt, der von einer Karriere als Rockstar träumt. Er verliebt sich in die frisch in die Stadt gezogene Sherrie, die Schauspiel­erin werden möchte. Doch die junge Liebe hat es nicht leicht: Drew ist zu schüchtern, Superstar Stacee Jaxx kommt Sher- rie zu nah – und die Träume des Traumpaare­s scheinen zu platzen. Aber egal: „I Wanna Rock!“.

„Rock of Ages“ist eher Fetenrock-Medley als Musical, für jede Lebenslage gibt es den passenden Song. Der Sunset Strip soll verschwind­en? „We Built This City On Rock ’n’ Roll“. Sherrie sucht nach der wahren Liebe? „I Wanna Know What Love Is“. Liebe gescheiter­t? „Here I Go Again“. Gut 30 Rockhits pflastern die gut zwei Stunden Spielzeit, amtlich abgeliefer­t von der Ariane Müller Band und der aus Ulmer Umgebung stammenden Supergitar­ristin Yasi Hofer. Das Ensemble besteht überwiegen­d aus angeheuert­en Musical-Darsteller­n, aber auch ein paar Mitglieder­n des Schauspiel­ensembles – und Intendant Andreas von Studnitz. Der gibt, mit viel Selbstiron­ie, Klubbesitz­er Dennis, einen Wiedergäng­er von Rock-Gespenst Alice Cooper. Ein ziemlich mieser Sänger, was den Spaß nicht schmälert. Zumal die anderen Darsteller ihren Gesangsjob gut machen, allen voran Sascha Lien (Drew) mit Jon-Bon-Jovi-Reibeisen-Schmelz. Stark auch Thomas Borchert (Stacee Jaxx) und der Ulmer Musical-Dauerbrenn­er Henrik Wager als Erzähler und engster Mitarbeite­r des Klubchefs.

„Rock of Ages“, angesiedel­t Ende der 80er, rockt vom ersten bis zum letzten Riff. Auch optisch: Regisseur Arthur Castro, der in Ulm auch schon „Hair“inszeniert­e, und seine Ausstatter­in Britta Lammers setzen ganz auf Jeansjacke­n, Spandexhos­en, blonde Mähnen, Leopardenm­uster, Leuchtschr­ift, übertriebe­ne Posen. Die Tänzer (Choreograf­ie: Damien Nazabal) wechseln zwischen Headbangen, Luftgitarr­e und Hüftschwun­g-Aerobic. Und das Publikum rockt und klatscht mit.

Dieses „Kick Ass Musical“ist ein perfekt präsentier­tes Rock-Animations­programm, große Mainstream­Unterhaltu­ng mit Disney-HappyEnd. Sensible Themen werden einfach weggebangt. Die Abreibung für Supermacho Jaxx ist leider nur eine Episode – und der zarte Moment, in dem sich Klubbesitz­er Dennis und Mitarbeite­r Donnie ihre Liebe gestehen („Can’t Fight This Feeling“), wird zum platten HomoKlamau­k. „MeToo“oder sexuelle Vielfalt? Come on! Es sind die 80er, und es ist nur Rock ’n’ Roll. Aber man ahnt schon, warum diese Welt untergegan­gen ist.

OTermine Wieder am 9., 13., 14., 17., 22. und 29. Juni sowie am 4., 6., 8., 10., 11., 14., 15., 20. und 21. Juli.

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Foto: Jean Marc Turmes Rockstar – nur in seinen Träumen: Der junge Drew Boley (Sascha Lien), umschwärmt von Groupies mit wilden Mähnen. „Rock of Ages“hat nicht nur die Musik der 80er, sondern auch den Look.

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