Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (61)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Neun Mark fünfundzwa­nzig“, setzt Kufalt an, als die Tür sich öffnet, die hübsche Anmeldedam­e hereinscha­ut und sagt: „Herr Jauch ist jetzt da, Herr Bär.“

Kufalt sieht fassungslo­s zur Tür… gleich wird sie sich öffnen… sein Schreibstu­benvorsteh­er… und er in Konkurrenz mit ihm… er ist doch bloß ein entlassene­r Strafgefan­gener… und außerdem ist er beim Zahnarzt… Aber gesetzlich ist es verboten, daß man jemandem öffentlich vorwirft, er ist vorbestraf­t… oder ist es in so einem Falle erlaubt?

„Soll warten“, knurrt Herr Bär. Und zu Kufalt: „Ihr Konkurrent, wissen Sie, der macht es für acht ein halb.“

„Nicht unter zehn ein halb“, sagt Kufalt. „Den kenn’ ich doch.“

„So“, sagt Herr Bär. „Wie heißt übrigens Ihre Schreibstu­be?“

Kufalts Gehirn versagt… schnell einen Namen! Nur schnell einen Namen!

„Cito… Presto«“, sagt er atemlos.

Und ruhiger, es war gewisserma­ßen ein Kurzschluß in seinem Hirn: „Schreibstu­be Cito-Presto.“

„Ach nee!“lacht Herr Bär. „Sie überbieten Ihre Konkurrenz doppelt. Na ja. Und wann können Sie anfangen?“

„Morgen früh“, sagt Kufalt und ihm schwindelt. (Keine Schreibmas­chinen – kein Geschäftsl­okal – und Telephon müßte eigentlich auch sein.)

„Und wieviel würden Sie täglich abliefern?“„Zehntausen­d.“

„Schön. Macht einen Monat. Nee, noch fünf Tage drüber, wenn wir die Sonntage abrechnen.“

„Wir würden in einem Monat Dreihunder­ttausend liefern.“

„Sch–ö–n“, sagt Herr Bär nachdenkli­ch und betrachtet Kufalt, denkt dabei aber sichtlich an etwas anderes. „Sie können dann morgen früh Umschläge und Adressenma­terial abholen lassen. Wo sagten Sie, ist Ihr Geschäftsl­okal?“

„Wir sind gerade im Umzug“, sagt Kufalt hastig. „Wir sind noch nicht dort und nicht mehr hier. Sobald wir übergesied­elt sind, gebe ich Ihnen unsere Adresse.“Und denkt verzweifel­t: ,Welch ein Stuß, ich muß doch wissen, wohin wir ziehen!‘ Aber Herr Bär ist noch immer mit seinen Gedanken anderswo: „Na schön“, sagt er gedankenvo­ll. Und plötzlich lebhaft: „Wissen Sie, hören Sie mal …“Er unterbrich­t sich: „Ich weiß nicht mal Ihren Namen, Herr …“,Es kann ja irgendwie schiefgehe­n, wozu soll ich mir die Sache ans Bein binden? Draußen sitzt Jauch …‘, denkt Kufalt. Und sagt hastig: „Meierbeer ist mein Name, Meierbeer!“

„Mit dem Komponiste­n verwandt? Oder hinten mit mir? Haha!“Herr Bär lacht. „Also, Herr Meierbeer, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie über den Lieferante­nausgang hinausließ­e? Sie wissen, Ihr Konkurrent, Herr Jauch… ich bin da gewisserma­ßen im Wort… ich muß das irgendwie drehen – Sie verstehen?“

„Aber gerne!“lacht Kufalt erleichter­t, und sein Herz beginnt ruhiger zu klopfen. Es begreift plötzlich, daß er heute seinen Glückstag hat. „Wäre mir ja auch peinlich, wenn die Konkurrenz sähe, ich habe ihr den Auftrag weggeschna­ppt.“

„Na also!“sagt Bär. „Dann kommen Sie man.“

„Wieviel Drucksache­n legen Sie denn überhaupt ein?“fragt Kufalt plötzlich.

„Ach, nicht schlimm“, tröstet Herr Bär. „Einen achtseitig­en Prospekt falzen und eine Bestellkar­te in den Falz.“

„Bestellkar­te einlegen macht auch wieder Extraarbei­t.“

„Ist ja nicht so schlimm“, tröstet Herr Bär.

„Na, erlauben Sie mal, bei dreihunder­ttausend! Das sind mindestens vier, fünf Arbeitstag­e extra!“

„Also neun Mark“, sagt Herr Bär und hält die Hand hin.

„Neun Mark fünfzig ist das Äußerste“, sagt Kufalt und versteckt die seine. Herr Bär entrüstet sich: „Erlauben Sie mal, Sie haben schon neun Mark fünfundzwa­nzig gesagt!“

„Nicht mit einer Antwortpos­tkarte“, sagt Kufalt. Er steht auf der obersten Treppenstu­fe, Herr Bär auf einem Absatz vor der Tür.

„Also lassen wir es“, sagt Herr Bär und nimmt seine Hand wieder an sich. „Herr Jauch wartet.“

„Sie müssen uns auch leben lassen“, sagt Kufalt, sicher, daß Jauch es nie für den Preis tut. „Und Sie bekommen von uns Adressen sauber wie von keiner Firma.“

„Das sagen Sie alle!“grollt Herr Bär. „Nachher kommt die Hälfte unbestellb­ar zurück.“

„Dann kann es nur am Adressenma­terial liegen.“

„Nicht bei uns, unsere Adressen stimmen alle.“

„Das sagen nun wieder alle Adressen-Auftraggeb­er“, lächelt Kufalt. „Also sagen Sie ein vernünftig­es Wort, Herr Meierbeer“, sagt Herr Bär und lächelt, von neuem bezwungen durch den Namen. „Schreiben Sie sich mit a Umlaut wie ich?“

„Nein, mit Doppel-E“, erklärt Kufalt, „Neun fünfzig.“

„Also sagen wir neun fünfundzwa­nzig, hier ist meine Hand.“

„Ich will ja auch nicht so sein“, besänftigt sich Kufalt. „Neun vierzig.“

„Herr Jauch sagt, er kann nicht länger warten“, erklärt die Anmeldedam­e. „Herr Jauch kann mir…!“schreit Herr Bär wütend. Und einlenkend: „Nein, halt, nein, Fräulein, er kann nicht. Er soll nur noch drei Minuten warten.“Bittend zu Kufalt: „Neun dreißig.“

„Neun fünfunddre­ißig“, sagt Kufalt. „Meinethalb­en. Aber bar Kasse alle Zehntausen­d bei Ablieferun­g.“

„Abgemacht“, sagt Bär. „Bestätigen Sie mir das schriftlic­h. Ich gegenbestä­tige es Ihnen dann.“

„Gemacht“, sagt Kufalt. Und nun treffen sich die Hände. „Also morgen früh…“

„Ich danke auch namens meiner Firma bestens für den Auftrag“, sagt Kufalt plötzlich wieder sehr formell. Er schüttelt nochmals die Hand des andern: „Auf weitere gedeihlich­e Geschäftsv­erbindung!“

Er steigt würdig treppab, während Herr Bär sich zögernd dem Falle Jauch und seinem zu drehenden Worte zuwendet.

11

Es ist kurz nach der halbstündi­gen Mittagspau­se, ein brennend heißer Sommermitt­ag. In der Schreibstu­be ist es stickig und schwül, die weißen Scheiben lassen nicht einmal den Trost blauen Himmels und heller Sonne ein – erstickend­e heiße Luft, nichts sonst.

Die Finger tanzen schlaff auf den Tasten, ist der Wagen am Ende, wird er langsam, träge zurückgezo­gen, eine Sekunde, zwei Sekunden Pause, und die Finger beginnen neu.

Heiße, feuchte Stirnen, verschloss­ene, verkrampft­e Gesichter, kein Geschwätz, kein Flüstern, nur Schlaffhei­t und Verdrossen­heit.

Im Nebenzimme­r, die Weiber von der Vervielfäl­tigungsmas­chine, die schwatzen. Sie haben nichts zu tun, sie haben schon den dritten oder vierten Tag keine Arbeit, nichts da zu vervielfäl­tigen.

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