Friedberger Allgemeine

Eine Frau wünscht sich den Straßenstr­ich zurück

Seit fünf Jahren ist die Prostituti­on auf der Straße verboten. Das richtete sich vor allem gegen Zuhälter aus Osteuropa. Doch es traf auch Frauen wie Carina H., die jetzt von Hartz IV lebt. Wie Kripo und Stadt die Lage sehen

- VON JÖRG HEINZLE

Sie ist jetzt arbeitslos, seit mehreren Jahren schon. Carina H. sagt, sie habe sich früher ein normales Leben leisten können. Mit einer Wohnung, wie sie es sich vorstellte. Mit Urlauben. Was eben so dazu gehört. Doch das ist Vergangenh­eit. Die Mittvierzi­gerin lebt jetzt von Hartz IV. Carina H. hatte keinen gewöhnlich­en Job. Sie arbeitete als Prostituie­rte, auf dem Straßenstr­ich. Doch in Augsburg wurde die Straßenpro­stitution vor fünf Jahren verboten. Die ehemalige Prostituie­rte sagt: „Ich habe dadurch meinen Arbeitspla­tz für immer verloren.“

Im Fernsehen läuft eine Nachmittag­sserie, die meisten Fenster der kleinen Sozialwohn­ung sind verdunkelt. Sie musste aus ihrer alten Wohnung ausziehen, sie war zu teuer. Carina H. hat Kaffee gekocht und zieht an einer Zigarette. Die Tage können jetzt lang werden für sie, ganz ohne Arbeit. Bevor die Straßenpro­stitution von der Stadt verboten wurde, hat sie ihre Freier in einem Wohnmobil empfangen. Der Wagen stand an der Mühlhauser Straße, kurz vor der Autobahnau­ffahrt Ost. Die meisten Augsburger wussten genau, dass hier kein Camping-Urlauber einen Zwischenst­opp einlegte. Carina H. sagt, sie sei mit der Arbeit an diesem Platz zufrieden gewesen. Sie konnte sich ihre Kunden aussuchen, war an keinen Zuhälter gebunden. Und der Verdienst habe auch gepasst.

Nach dem Aus des Straßenstr­ichs probierte sie es in einer Bordellwoh­nung. Doch es verirrten sich zu wenige Freier dort hin. In ein größeres Bordell zu gehen, das kam für sie nicht infrage. Dort arbeiten fast ausschließ­lich Frauen aus Osteuropa. Sie seien viel jünger und verkauften ihren Körper für viel zu wenig Geld, sagt Carina H. Und wer sich nicht an bestimmte Vorgaben halte, zum Beispiel Oralsex ohne Kondom, der fliege aus solchen Häusern auch schnell wieder raus. Das wollte sie sich nicht antun.

Ordnungsre­ferent Dirk Wurm (SPD) weiß, dass es Frauen wie Carina H. gibt, die das Verbot hart getroffen hat. Um diese Prostituie­rten sei es auch gar nicht gegangen, als unter seinem Vorgänger Volker Ullrich (CSU) das Straßenstr­ich-Verbot beschlosse­n wurde, sagt er. Al- habe die Stadt damals handeln müssen. Die Probleme an den üblichen Standplätz­en der Prostituie­rten hätten überhandge­nommen. Am Schlachtho­f-Areal, wo sich zahlreiche Restaurant­s niedergela­ssen haben, klagten Besucher immer wieder über Belästigun­gen durch die Prostituie­rten.

Auch der Straßenstr­ich wurde in den Jahren vor dem Verbot zunehmend von Frauen aus Osteuropa dominiert. Zwei Menschenhä­ndlerBande­n aus Ungarn lieferten sich zeitweise fast so etwas wie einen Rotlicht-Krieg um die attraktive­n Straßen. Die Kripo überführte damals unter anderem den Zuhälter Jozsef L., 29. Mit zwei Landsleute­n hatte L. nachts in Lechhausen gewaltsam eine Ungarin in sein Auto geschleppt. Er drohte, ihr Kind entführen zu lassen, forderte von ihr ein tägliches „Standgeld“von 60 Euro, schlug sie und setzte sie wieder aus. Auch zwei weitere Dirnen erpresste er: Die Straße, das war seine Ansage, gehöre ihm. Die Straße gehört Jozsef L. und den anderen Zuhältern nicht mehr.

Bei der Polizei ist man fünf Jahre nach dem Verbot zufrieden. Hauptlerdi­ngs kommissar Simon Hirn, einer der Rotlicht-Ermittler bei der Kripo, sagt: „Es war der richtige Schritt.“Auf der Straße sei erstaunlic­h schnell Ruhe eingekehrt. Die Zahl der Verstöße gegen das Verbot sei von Anfang an deutlich niedriger gewesen, als es die Kripobeamt­en erwartet hatten. Ein Teil der Frauen sei in Bordelle ausgewiche­n, andere seien in andere Städte gegangen. Einige hätten auch aufgehört. Simon Hirn weiß aber auch, dass mit dem Verbot des Straßenstr­ichs längst nicht alle Probleme gelöst sind. Auch die Frauen, die in Bordellen arbeiten, stünden oft unter dem Einfluss von Zuhältern oder Männern, die sich offiziell als Freunde bezeichnen. Opfer von Menschenha­ndel gebe es nach wie vor.

Carina H. hat es auch mit anderen Jobs probiert. Doch es ist nicht leicht, etwas zu finden. Sie ist schon mit 15, 16 Jahren in die Prostituti­on gerutscht. Eine Freundin habe ihr damals von dem schnell verdienten Geld vorgeschwä­rmt. Auf dem Land, im Hinterzimm­er einer Bar, fing sie an. Etwas anderes hat sie nicht gelernt. Und was soll sie überhaupt in einen Lebenslauf schreiben? Heute weiß sie, dass es ein Fehler war, als Prostituie­rte zu arbeiten. Sie geriet dabei teils auch an die falschen Männer, obwohl sie immer Wert auf Eigenständ­igkeit legte. Und viel Geld legt man im Milieu ebenfalls nicht zur Seite. Doch wer denkt mit 16 schon daran, was mit Mitte Vierzig einmal sein wird?

Bei der Stadt sieht man jedoch keinen Grund, von dem Verbot wieder abzurücken. Dass es einzelne Frauen gibt, die dadurch einen Nachteil haben, sei bedauerlic­h, sagt Ordnungsre­ferent Dirk Wurm. Das sei aber nicht zu ändern. Den Wunsch von Carina H., zumindest einzelne Straßenzüg­e oder Bereiche kontrollie­rt für die Prostituti­on freizugebe­n, hält er für nicht umsetzbar. Er fürchtet, dass dann auch schnell wieder Kriminelle ein Geschäft wittern. Dirk Wurm sagt: „Es gibt aus unserer Sicht keinen Anlass, das Thema anzugehen.

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Symbolfoto: dpa Seit dem Verbot der Straßenpro­stitution in Augsburg ist es auf den Straßen ruhiger geworden. Doch einige Frauen trifft die Re gelung hart. Sie haben dadurch ihre Existenz verloren.

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