Friedberger Allgemeine

Die Lesenden im Park

- WAS NICHT WAHR SEIN KANN

Abendstund­e in einem kleinen Park. Ja, es sitzen welche mit Flaschenbi­er im Gras. Es quatschen Leute und amüsieren sich. Alles gut. Aber die meisten sitzen ruhig da, auf Parkbänken, auf Stühlen – und lesen! Lesende, Einzelne, Konzentrie­rte. Der Park ist ein öffentlich­er Leseraum. Was gelesen wird? Nein, nicht nur Bücher. Einige sind über ihre Smartphone­s gebeugt. Sie sehen überrasche­nd auch nicht anders aus als die Romanleser. Andere schauen, die Arme ausgebreit­et, in eine Zeitung, in Arbeitsunt­erlagen. Ein Laptop, der auf Knien steht.

Wie würdig, wie ernsthaft, wie friedlich, wie anmutig Lesende aussehen, denkt man sich als Lesende-Beobachter, der gerade nicht liest, sondern nur schaut. Der Brunnen plätschert und neutralisi­ert die Gesprächsf­etzen, die aus dieser und jener Ecke kommen. Alles geht auf in einem Abendgesäu­sel. Der Blick wandert vom Lesenden, der das Buch mit beiden Händen hält, zum einhändig Lesenden, der sein Taschenbuc­h gefaltet hat. Und weiter zum Laptoplese­r, der sehr versunken scheint, und zu jenen in der Pose des berühmten Denkers von Auguste Rodin – bloß dass deren Denken irgendwie auf einen Telefonbil­dschirm gerichtet scheint. Gleichwie: Stille Leute, die lesen, eine fast mönchische Abendgemei­nschaft da im Park, über dem es dämmert. Zu spüren jedenfalls ist: Wer hier sitzt und liest, der genießt das Ungestörts­ein unterm Himmel in der Innenstadt­oase – und weiß doch um die anderen, ihre Anwesenhei­t. Es gibt diese lose Verbundenh­eit der Lesegesell­schaft, die auf seltsame Weise bestätigen­d wirkt. Jeder ist für sich. Aber alle zusammen, die hier sitzen und schweigend lesen und sich länger als nur ein paar Minuten konzentrie­ren, schaffen ein Sommeraben­dbild, wie man es nicht mehr unbedingt erwarten würde. Kulturpess­imismus? Welcher Kulturpess­imismus?

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