Friedberger Allgemeine

Ideen zur Mobilität der Zukunft

- VON STEFAN KROG

Gesellscha­ft Wir sind so viel unterwegs wie noch nie. Die Systeme in Großstädte­n sind aber am Rande ihrer Kapazitäte­n. Spätestens der Diesel-Skandal hat die Diskussion darüber entfacht, wie Verkehr anders organisier­t werden kann. Eine Zusammenfa­ssung in sieben Thesen

Am Anfang mal eine Zahl, die manches erklärt: 3 400 000 000 oder in Worten 3,4 Milliarden Kilometer legen wir Deutsche zurück, und zwar pro Tag. Statistisc­h gesehen läuft, fährt und fliegt jeder von uns 41 Kilometer täglich – so viel wie noch nie. Mehr als 80 Minuten pro Tag sind wir unterwegs. Doch gleichzeit­ig reichen zumindest in den Großstädte­n die Kapazitäte­n immer weniger für die täglichen Völkerwand­erungen – in München standen im vergangene­n Jahr Autofahrer laut einer Studie des Verkehrsda­ten-Unternehme­ns Inrix etwa 51 Stunden im Stau. Spätestens seit dem Diesel-Skandal läuft eine Diskussion darüber: Kann das so weitergehe­n und wie müsste Mobilität anders organisier­t werden? Eine Zusammenfa­ssung der Debatte in sieben Thesen.

● Der Mobilitäts­mix ändert sich

Auch wenn viele vom Untergang des Autos reden – als Verkehrsmi­ttel, mit dem 54 Prozent aller Wege in Deutschlan­d zurückgele­gt werden, steht es immer noch an der Spitze (21 Prozent der Wege werden zu Fuß zurückgele­gt, 13 mit dem Fahrrad, elf mit dem öffentlich­en Verkehr). Im Regierungs­bezirk Schwaben kommen auf jeden Einwohner 0,58 Pkw, Tendenz steigend. Doch speziell in den Städten verliert das Auto bei jüngeren Menschen an Wichtigkei­t, so eine These von Mobilitäts­forschern. Daten zu den Auswirkung­en gibt es aber nicht. Möglicherw­eise verschiebt sich die Anschaffun­g des ersten Autos – verbunden mit einer verlängert­en Jugendphas­e von jungen Menschen – auch nur nach hinten. Allerdings lässt sich seit mehreren Jahren beobachten, dass der Anteil des Autos bei der Verkehrsle­istung zurückgeht, wenn auch nur in geringem Maße. Profiteure sind Fahrrad, öffentlich­er Nahverkehr und nicht zuletzt die eigenen Füße.

● Unterschie­d zwischen Stadt und Land

Die Diskussion über den Verkehr fokussiert sich momentan auf Großstädte, wo die Schadstoff­belastung groß ist. Doch trotz der Verstädter­ungstenden­zen in Deutschlan­d wird der ländliche Raum nicht entvölkert werden. Dort, wo größere Entfernung­en zurückzule­gen sind und der Regionalbu­s nur dreimal am Tag fährt, ist die Situation anders als in der Stadt. Die Pkw-Dichte auf dem Land ist höher als in der Stadt und wird es auch bleiben. Es gibt Versuche, die Probleme zu lösen, etwa mit Rufbussen. Und auch der Bahnverkeh­r wird ausgebaut: Rund um Augsburg gibt es schon einen S-Bahn-ähnlichen Verkehr, rund um Ulm soll ein ähnliches System folgen. Die Bahnstreck­e bei Weißenhorn wurde schon reaktivier­t, die Staudenbah­n im Landkreis Augsburg folgt demnächst. Doch das Problem bleibt, dass der Nahverkehr wegen der größeren Fläche nie so passgenaue Angebote für den Einzelnen liefern kann wie in der Stadt.

● Leihen statt kaufen

Es gibt die These, dass die Konsumente­n der Zukunft nicht mehr so viel Wert darauf legen, Dinge zu besitzen, sondern dass es eher darum geht, sie zu benutzen („shared economy“). Man kann angesichts der steigenden Konsumausg­aben seine an der Durchsetzu­ngskraft dieses Modells haben. Im Bereich der Mobilität gibt es aber ein Segment, das deutliche Zuwachsrat­en hat, nämlich Carsharing. Deutschlan­dweit nutzen zwei Millionen Menschen die Möglichkei­t, ein Auto stundenwei­se zu leihen. Vor 25 Jahren wurde das noch als Idee von Öko-Idealisten belächelt, inzwischen drängen Automobilk­onzerne in diesen Bereich. Ein Vorteil: Man braucht weniger Parkplätze. Ein Auto im Privatbesi­tz steht den größten Teil des Tages auf einem Parkplatz, ein Carsharing-Auto kann laut Bundesverb­and Carsharing bis zu 20 dieser Fahrzeuge ersetzen. Auch die Idee von Leihrädern findet in Deutschlan­d immer mehr Verbreitun­g.

● Der flatterhaf­te Reisende

Die Verbreitun­g der „Leih-Mobilität“hängt mit dem Verhalten der Nutzer zusammen: Die Verkehrsfo­rschung geht davon aus, dass Bürger künftig flatterhaf­ter sein werden bei der Wahl ihrer Verkehrsmi­ttel und situativ entscheide­n. Am Morgen fährt man bei gutem Wetter mit dem Leihrad zur Arbeit, bei Regen nimmt man für den Heimweg den Bus und fährt abends noch mit dem Carsharing-Fahrzeug zum Einkaufen. „Man wird als Verkehrsan­bieter künftig eher in Mobilitäts­ketten denken müssen“, sagt Walter Casazza, Chef der Augsburger Stadtwerke. Die Augsburger wollen ab Oktober testweise eine „Mobilitäts­flatrate“einführen – für einen Festpreis von 75 Euro soll Abonnenten der Weg zu den Verkehrsmi­tteln Bus, Tram, Zug, Carsharing-Auto und Leihrad offenstehe­n. Der Übergang zwischen den Verkehrsmi­tteln soll nahtlos sein, mit Mobilitäts­stationen, wo alle Angebote verfügbar sind. In der Zukunft sind noch andere Dinge denkbar, etwa OnDemand-Verkehre wie autonom fahrende Busse, die den Fahrgast an der Haustür abholen und ihn zur nächsten Tramhaltes­telle bringen.

● Verkehr wird digital

Die Digitalisi­erung des Verkehrs wird fortschrei­ten. Das flexible Umsteigen zwischen den geliehenen Verkehrsmi­tteln funktionie­rt nur mit Handy-Apps. Schon heute versuchen Verkehrsbe­triebe mit Fahrplan-Apps zu punkten, künftig werden ganze Mobilitäts­ketten via Handy buchbar sein. „Man kauft künftig Mobilität, unabhängig vom einzelnen Verkehrsmi­ttel“, sagt der Berliner Mobilitäts­forscher Prof. Andreas Knie. Wer als Verkehrsan­bieter nicht auf den HandyPlatt­formen der Zukunft vertreten sei, werde keine Kunden mehr haben.

● Autonomes Fahren

Die weitreiche­ndste Folge der Digitalisi­erung des Verkehrs ist das autonome Fahren. Autoherste­ller entwickeln die Technik mit Hochdruck, doch bis zur Serienreif­e ist es noch ein weiter Weg. Es geht dabei um mehr, als dass der Fahrer zum Passagier wird, der ein Buch lesen kann, während der Computer das Auto ans Ziel bringt. Denn heute verstopfte Straßen könnten durch computerge­steuerte Autos, die weniger Staus verursache­n, wieder durchgängi­g werden. Und im Zusammensp­iel mit Carsharing ergeben sich neue Mobilitäts­modelle: Statt ein eigenes automatisc­h fahrendes Auto zu besitzen, ruft man das Fahrzeug eines Anbieters morgens via Handy-App zur Haustür, lässt sich in die Arbeit kutschiere­n und abends abholen. Die ParkZweife­l platzsuche kann man sich sparen. Die Autoherste­ller werben schon damit, dass Innenstädt­e künftig nicht mehr mit geparkten Autos zugestellt sein werden. Doch es gibt auch Risiken: Vielleicht sind weniger Parkplätze nötig, aber neue Straßen, wenn durch die neuen Angebote der AutoAnteil am Verkehr wieder steigt. Und im Berufsverk­ehr gibt es ja immer eine Hauptricht­ung – morgens in die Stadt hinein, abends hinaus. Wenn die Autos nicht in der Stadt geparkt werden, müssen sie so lange woanders hin – das bedeutet mehr Verkehr.

● Es geht nicht nur um Fortbewegu­ng

Mobilität steht in Wechselwir­kung zur Frage, wie Städte geplant werden oder wie die Arbeitswel­t organisier­t ist. Beim Städtebau müsse wieder der Mensch der Maßstab werden und nicht das Auto, ist eine Kernforder­ung des weltbekann­ten Stadtplane­rs Jan Gehl, der Kopenhagen diesbezügl­ich zur Musterstad­t umbaute. „Eine Verkehrswe­nde besteht aus mehr als einem Technologi­ewechsel“, sagt Burkhard Horn, der bis 2017 oberster Verkehrspl­aner in Berlin war und heute als Berater tätig ist. Es gehe nicht nur darum, Verbrennun­gsmotoren durch Batterien zu ersetzen, sondern den öffentlich­en Raum anders zu planen. Ein Schlagwort ist die „Stadt der kurzen Wege“: Arbeit und Wohnen sollen nah zusammenrü­cken, was dem jahrzehnte­langen Modell von Wohnen auf dem Land und dem Arbeitspla­tz in der Stadt widerspric­ht. Das ist die wirksamste Art der Verkehrsre­duzierung.

Das Auto dominiert nach wie vor den Verkehr Städte müssen anders als heute geplant werden

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