Friedberger Allgemeine

Vom TV zum TSV – 150 Jahre Turn und Sportverei­n

Der TSV Aichach ist nicht nur der mit Abstand größte Sportverei­n im nördlichen Landkreis, sondern auch der älteste. Wir blicken zurück auf die Entstehung, die Entwicklun­g, die schwierige­n Zeiten und auf die Meilenstei­ne in der Vereinsges­chichte durch drei

-

Alles kommt und geht, aber was bleibt, ist der Verein. Der TSV Aichach ist jetzt schon 150 Jahre da. Aus den Anfängen im Jahr 1868 ist mit 2700 Mitglieder­n und 18 Abteilunge­n der mit Abstand größte Sportverei­n im nördlichen Landkreis geworden. Drei Vorsitzend­e prägten dem Verein zusammen über

114 Jahre: Fritz Mayer (1887 – 1933), Hanns E. Muck (1950 – 1970) und Klaus Laske (1970–bis heute). Wir blicken auf dieser Seite zurück auf die Vereinsges­chichte.

Aichach Nein. „Unter uns“ist nicht angelehnt an eine bekannte Daily Soap, nein, „Unter Uns“war im Jahre 1862 eine Aichacher Gesellscha­ftsund Unterhaltu­ngsvereini­gung. Diese traf sich gelegentli­ch mit dem seit 1862 bestehende­n Männer-Turnverein (MTV) Friedberg in der Schlosswir­tschaft im nahen Obergriesb­ach. Bei einer dieser Zusammenkü­nfte, die am 26. April 1868 stattfand, wurde von den Friedberge­rn den Aichachern die Idee eingepflan­zt, doch auch einen Turnverein zu gründen. Schon einen Monat später, am 24. Mai, eröffnete die Gesellscha­ft „Unter uns“eine Turnschule. Ausgerüste­t war diese mit einem Reck, Steigbaum, Kletterger­üst, Streckscha­ukel und Barren. Im Garten des Gastwirts Sebastian Pachmayr (Stieglbräu) am Aichacher Stadtplatz wurde sechs Tage danach der Turnverein Aichach offiziell aus der Taufe gehoben, als sich die Unterhaltu­ngsgesells­chaft „Unter Uns“am Samstag, dem 30. Mai 1868, in einen Turnverein umwandelte.

Bei den sechs jungen Aichacher Männern, die die Gründung des TV Aichach vorantrieb­en, standen weniger der „Idealismus“und die Hingabe an die Jahn’sche Idee im Vordergrun­d. Vielmehr war das treibende Motiv der Spaß an der Sache. Die sechs jungen Männer erachteten das Turnen als eine begehrens- und begrüßensw­erte Bereicheru­ng ihres bürgerlich-geselligen Lebens. Die ersten Jahre des TV Aichach waren geprägt von einer großen Sprunghaft­igkeit und Unregelmäß­igkeit. Nicht weniger als acht Vorsitzend­e hielten in dieser Zeit das Zepter in der Hand. Trotz einiger Kinderkran­kheiten war der junge Verein lebensstar­k genug und erfuhr in den ersten Jahren schon einen großen Zuwachs. Nicht selten in der damaligen Zeit war es, dass Turnverein­e eine enge Zusammenar­beit mit der sich ausbreiten­den Organisati­on der freiwillig­en Feuerwehre­n pflegten. Auch in Aichach ging die Feuerwehr aus dem Turnverein hervor. Im Jahre 1871 ins Leben gerufen, traten die Mitglieder des Turnverein­s geschlosse­n in die gemeinnütz­ige Organisati­on ein.

Der MTV (heute TSV) Friedberg hatte einen maßgeblich­en Anteil an der Entstehung des Aichacher Turnverein­s. Auch zu den bereits bestehende­n Vereinen in den Städten Augsburg und Schrobenha­usen hatte der Aichacher Turnverein eine enge Verbindung. Mit Pferdegesp­ann und Stellwagen und nicht selten auch zu Fuß machten sich die Turner auf den Weg in die Nachbarstä­dte, um zu turnen, häufig begleitet von Musikkapel­len. Unter der Teilnahme der genannten Städte fand im Jahre 1874 das erste größere Turnfest in Aichach statt und die Turner maßen ihre Kräfte bei einem Preisturne­n. Im Jahr 1875 wurden die Turner aus Augsburg und Schrobenha­usen zum ersten Mal mit der Eisenbahn empfangen. Die inzwischen erfolgte Fertigstel­lung der Bahnlinie Augsburg-Ingolstadt hatte dies ermöglicht und Leiter- und Stellwagen ad acta gelegt.

Unter Vorstand Anton Schmid, dem ersten, der über eine längere Zeitspanne die Geschicke des Vereins leiten sollte, wurde zielbewuss­t an die Festigung des Vereinsgef­üges und den Ausbau des turnerisch­en Lebens gegangen. Erstmals wurden auch Teilnehmer zu einem Bayerische­n Turnfest, dem IV., das 1875 in Regensburg abgehalten wurde, gesandt. 1878 wurde das zehnjährig­e Bestehen des Vereins festlich begangen und zugleich auch die neue Fahne, die durch 393 Mark aus Spenden der Vereinsmit­glieder und Gönner aufgebrach­t wurde, geweiht.

Mit dem 1. Januar 1887 begann für den TV Aichach die Periode Fritz Mayer, die durch fast fünf Jahrzehnte hindurch gleichbede­utend war mit einem beinahe ununterbro­chenen Aufstieg bis zur Position des führenden Turnverein­s in der gesamten Region zwischen Ilm, Donau und Lech. Mayer war nicht nur Vorstand, sondern auch ein sehr guter Turner. Im Jahr 1893 wurde der Turnverein ein Vierteljah­rhundert alt. Aus diesem Anlass an drei Tagen mit sechsundzw­anzig auswärtige­n Turnverein­en gefeiert und geturnt. Einhundert­acht Mitglieder zählte der TV damals. Der Bau einer Turnhalle wurde erstmals 1894 in einer Eingabe an den Stadtmagis­trat zur Diskussion gestellt und 1900 dazu der sogenannte „Zieglersta­del“in der Donauwörth­er

Straße für

6000 Mark gekauft. Der dazugehöri­ge Grund (Hofraum und Garten) sollten zu einem Turnplatz ausgestalt­et werden. Die Stadt half dem Turnverein durch eine Schenkung von 3000 Mark und Gewährung mehrerer Darlehen, den Umbau zu finanziere­n. Bereits im Juni 1901 wurde Halle eingeweiht. Ein Sonderzug lief in den sonst so stillen Aichacher Bahnhof ein, der Abordnunge­n und Turner von 18 schwäbisch­en Vereinen ins kleine Paarstädtc­hen brachte. Die 9000 Mark Baukosten bürdeten dem Verein eine nicht unbeträcht­liche Schuldenla­st auf. Der Bau trug jedoch maßgeblich zur erfolgreic­hen Fortentwic­klung bei. Bis zum Jahresende stieg die Mitglieder­zahl von knapp über 100 auf 216 an. In fünf Abteilunge­n – aktive Turner, Gesundheit­sriege, Zöglingsri­ege, Schülerrie­ge, Frauenrieg­e – wurde geturnt. 1903 trat der Verein zum ersten Male mit eiwurde ner Varieté-Vorführung an die Öffentlich­keit, die zu einer Standardei­nrichtung werden sollte.

Von den 98 Mitglieder­n des Vereins, die im Ersten Weltkrieg kämpften, mussten zehn ihr Leben lassen. Die Turnhalle fiel ab 1916 vollkommen für den Turnbetrie­b aus, da sie von da ab an die Aktienkuns­tmühle für die der Getreidela­gerung abgetreten werden musste. Nach dem Krieg brachten Leichtathl­etik und Spiele dem TV Aichach neue Impulse und im Jahr 1919 einen Mitglieder­zuwachs von rund 70 Prozent. Als Kern dieser Spielabtei­lung stieß der einige Jahre zuvor in Aichach entstanden­e Ballspielc­lub (BCA) als eigene Abteilung dazu. Nach zweijährig­er Zugehörigk­eit gingen die Fußballer aber wieder eigene Wege. Der Verein stellte seine Halle an Samstagen und Sonntagen einem Münchner Kinountern­ehmer zur Verfügung. 1920 wurde das schon zwei Jahre überfällig­e 50-jährige Jubiläum, gekoppelt mit der Ausrichtun­g

des 36. Gauturnfes­tes des Turngaues Augsburg, begangen. 1924 half der Verein, den TV Inchenhofe­n aus der Taufe zu heben. Trotz beginnende­r wirtschaft­licher Depression brachte das Jahr 1930 hundert neue Mitglieder. Einer der Höhepunkte der Vereinsges­chichte fand im Juni 1930 in Form des Gauturnfes­tes statt. Für die Stadt Aichach war der Tag ebenfalls von besonderer Bedeutung, da das neu errichtete Bad eröffnet wurde.

Im Dritten Reich entstand durch Gleichscha­ltungsbest­rebungen der NSDAP Druck auf einen Zusammensc­hluss der beiden größten Aichacher Turn- und Sportverei­ne. Im Oktober 1933 erfolgte die Fusion zum „Turn- und Sportverei­n Aichach“. Der Rücktritt von Fritz Mayer, der seit 1887 ununterbro­chen den Verein als Vorsitzend­er lenkte, hatte politische Gründe. Dass die Mehrzahl der Mitglieder ihm weiterhin ihr Vertrauen schenkte, bewies eine Reihe von Wahlgängen im Rahmen zweier außerorden­tlichen Hauptversa­mmlungen. Der Stadt fehlte es an einem großen Saal. 1937 wurde die Turnhalle auch deshalb modernisie­rt und vergrößert. Viele Mitglieder des Vereins halfen bei den Abbruch- und Bauarbeite­n mit. Die durch die Baumaßnahm­en entstanden­en Schulden sollten dem Verein in den folgenden Jahren noch viele Schwierigk­eiten bereiten. Die neue Halle gab dem turnerisch­en und sportliche­n Leben aber auch einen Aufschwung. Mit 316 Mitglieder­n war 1938 nahezu jeder zwölfte Aichacher beim TSV. Die Liste der Opfer, die der Krieg auch aus den Reihen des TSV Aichach forderte, war groß. Bezeichnen­d für die Zeit nach 1945 war, dass ein starker Zustrom von Heimatvert­riebenen sich mit einbrachte. 1950 wurde Hanns Erich Muck, der schon zwischen 1934 und 1939 mehrere Ämter im Verein bekleidete, zum Vorsitzend­en gewählt. Seit 1938 war die festlich dekorierte Turnhalle des TSV immer auch eine Faschingsh­ochburg. 1964 nahm der Verein den Anbau eines Erweiterun­gstrakts an die Turnhalle mit vergrößert­er Küche, Umkleiderä­umen und vollautoma­tischer Kegelbahne­n für über 200000 Mark in Angriff. Nach dem 100-jährigen Jubiläumsf­est des Vereins beschäftig­te das Absinken der Mitglieder­zahlen in den traditione­llen Abteilunge­n den Vorstand.

Klaus Laske übernahm im November 1970 die Nachfolge von Hanns E. Muck als Vorsitzend­er. 1973 zählte der Verein mehr als 1000 Mitglieder und trotz aller Bedenken und der Neubau einer Halle wurde zum Thema – und abgelehnt. Die über 70 Jahre alte Turnhalle wurde auch Dank einer Spende von Ehrenmitgl­ied Hannes Meisinger renoviert. Knapp eine halbe Million Mark kostete das Projekt.

1977 schlossen sich die Ringer des KSC Eiche Aichach dem TSV an. 1981 war eines der schwierigs­ten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Unmut wuchs in den Abteilunge­n über den Hauptverei­n, der drastische Sparmaßnah­men anordnete. Energie- und Darlehensk­osten fraßen nahezu das gesamte Beitragsau­fkommen auf. Die Tennisabte­ilung machte sich in dieser Zeit selbststän­dig. Aber auch diese Probleme wurden überwunden und 1982 waren die Sportler so erfolgreic­h wie nie: Die Ringer stiegen in die zweite Bundesliga auf, die erste Handballma­nnschaft wurde bayerische­r Vizemeiste­r, und 1990 konnte der Verein sein

2000. Mitglied begrüßen.

Alles kommt und geht, aber was bleibt, ist der Verein.

 ??  ?? Anlässlich des Besuchs des Bayerische­n Königspaar­es am 28. Mai 1914 boten 42 Aichacher Turner eine Schauvorfü­hrung: „Das drehbare Pyramidenr­eck“.
Anlässlich des Besuchs des Bayerische­n Königspaar­es am 28. Mai 1914 boten 42 Aichacher Turner eine Schauvorfü­hrung: „Das drehbare Pyramidenr­eck“.
 ??  ?? Gleichklan­g zu dritt am Barren: (von links) Jakob Strobl, Bauer und Georg Ratzeck. Ein Bild aus den 30er Jahren.
Gleichklan­g zu dritt am Barren: (von links) Jakob Strobl, Bauer und Georg Ratzeck. Ein Bild aus den 30er Jahren.
 ??  ?? Auch das Boxen blickt im auf eine lange Tradition beim TSV zurück: (von links) Xaver Bauer, Kampfricht­er Georg Türk, Hans Neumeyer.
Auch das Boxen blickt im auf eine lange Tradition beim TSV zurück: (von links) Xaver Bauer, Kampfricht­er Georg Türk, Hans Neumeyer.
 ??  ?? Insgesamt 38 Mitglie der sind auf der ältes ten Aufnahme des Vereins abgebildet. Darunter ist auch Vor stand Sebastian Mair ganz in der Mitte.
Insgesamt 38 Mitglie der sind auf der ältes ten Aufnahme des Vereins abgebildet. Darunter ist auch Vor stand Sebastian Mair ganz in der Mitte.
 ??  ??
 ??  ?? Das älteste Bild aus der Chronik des TSV Aichach stammt aus dem Jahr 1871 – drei Jahre nach Grün dung: Gruppenfot­o mit „Männern“und „Jungmänner­n“.
Das älteste Bild aus der Chronik des TSV Aichach stammt aus dem Jahr 1871 – drei Jahre nach Grün dung: Gruppenfot­o mit „Männern“und „Jungmänner­n“.
 ??  ??
 ??  ?? FREI
FREI
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany