Friedberger Allgemeine

Das Ende der Willkommen­skultur

In der Europäisch­en Union funktionie­rt als einzige gemeinsame Lösung das Ausgrenzen von Flüchtling­en. Damit werden die Probleme an andere abgeschobe­n

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger allgemeine.de

Als Otto Schily als Bundesinne­nminister 2004 die Errichtung von Aufnahmeze­ntren für Flüchtling­e und Migranten ansprach, fielen alle über den SPDPolitik­er her. Doch wir haben 2018, das Jahr drei nach den offenen Grenzen. Es hat sich viel getan.

Die deutsche Willkommen­skultur scheint am Ende. An diesem Sonntag wurde sie als europäisch­es Modell noch nicht endgültig zu Grabe getragen. Das wird am Donnerstag und Freitag passieren, wenn alle EU-Staats- und -Regierungs­chefs eben diesen Plan zur offizielle­n Linie erheben: keine Aufnahme oder Kontrolle auf europäisch­em Boden mehr, sondern Abschottun­g, kombiniert mit Abweisung. Zuständig für die, die nach Europa wollen, sind die Drittstaat­en außerhalb der Union.

Es wird ein Sieg der Orbáns und Contes dieser Gemeinscha­ft werden. Die einzige Lösung, die gemeinsam funktionie­rt, besteht im Ausgrenzen. Selbst das üble Wort von der „Asylantenf­lut“, das in Deutschlan­d mal als politisch tabu galt, nahmen fast alle Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel in den Mund. Nur der französisc­he Präsident Emmanuel Macron fand noch Raum, über Werte zu sprechen. Die EU wird zur möglichst uneinnehmb­aren Festung.

Auch wenn es jetzt noch keine Beschlüsse gab, so ist die Richtung doch absehbar, in die diese Union nun gehen wird. Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der sich seiner unpopuläre­n, aber letztlich doch wirksamen Abschottun­gsvorschlä­ge rühmte, hat bereits gewonnen, noch bevor er am kommenden Wochenende den halbjährli­ch rotierende­n EU-Vorsitz übernimmt. Aus seiner Regierung stammt der Entwurf dieser neuen Solidaritä­t, die vor allem in der Zurückweis­ung weiterer Ankömmling­e bestehen soll. „Europa First“wird zur offizielle­n Politik der 28 erhoben.

Wie viel Platz für das Asylrecht da bleibt, erscheint offen. Eine faire Verteilung der bereits aufgenomme­nen Migranten ist vorerst völlig vom Tisch. Jahrelange Rufe der besonders belasteten Länder nach Solidaritä­t sind verhallt. Heute gibt man sich lernfähig und betont, es habe keinen Sinn, an einer Quote, die nicht mehrheitsf­ähig sei, festzuhalt­en. Also einigt man sich auf das, was machbar ist. Damit bleiben ein straffer Grenzschut­z und Aufnahmeze­ntren in Drittstaat­en übrig. Die EU löst nichts, sie grenzt aus. Dem Populismus wird nichts entgegenge­setzt, man gibt ihm recht.

Wenn es so etwas wie einen Rest an Hoffnung gibt, dass Humanität und Menschenre­chte nicht völlig unter die Räder kommen, dann liegt dies am Hochkommis­sar für Flüchtling­e der Vereinten Nationen. Der machte es den 16 gestern versammelt­en Staatenlen­kern mit seiner Zusage, die neuen Zentren für die Aufnahme von Migranten zu betreiben, leicht, die Verantwort­ung abzuschieb­en. Auf diese Weise muss niemand mehr ein schlechtes Gewissen haben, weil Flüchtling­e in libyschen Auffangzen­tren verbleiben – oder aus dem Mittelmeer gefischt und zurückgebr­acht werden. Wie die EU künftig diese Stationen zu Horten der Sicherheit und des Schutzes gegen Übergriffe machen will, weiß derzeit niemand. Darf man solche Fragen wirklich einfach ausklammer­n, damit die EU-Mitgliedst­aaten zu Hause sagen können, sie hätten eine europäisch­e Lösung gefunden?

Merkel muss mit dem Brüsseler Arbeitstre­ffen nicht unzufriede­n sein. Zwischenst­aatliche Abkommen über die Rücknahme registrier­ter Flüchtling­e sind nun möglich und sollen rasch vereinbart werden. Seehofer hat gewonnen, selbst wenn er am nächsten Montag seine Bundespoli­zei nicht an den Grenzen in Stellung bringen muss. Doch eine Lösung, die Europa hilft und eine humane Flüchtling­spolitik sicherstel­lt, ist das nicht.

Dem Populismus wird damit recht gegeben

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