Friedberger Allgemeine

Einsamkeit – die unterschät­zte Gefahr in unserer Gesellscha­ft

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● Gesundheit­srisiko Einsamkeit ist die Todesursac­he Nummer eins“, sagt Manfred Spitzer, Leiter der Psychi atrischen Universitä­tsklinik in Ulm und zugleich einer der renommiert­esten Gehirnfors­cher in Deutschlan­d. Er beruft sich dabei auf verschiede­ne Stu dien. Wie ist das möglich? „Das mag zunächst seltsam erscheinen, wird aber dadurch verständli­ch, dass Einsam keit Stress erzeugt“, erläutert Spitzer. Stress wiederum sei ein Risikofakt­or für eine ganze Reihe häufiger Krankhei ten: etwa Demenz oder Herz Kreis lauf Erkrankung­en. Einsame Menschen haben daher ein höheres Sterberisi­ko als Personen, die sich sozial eingebun den fühlen. Forscher der US ameri kanischen Brigham Young University behaupten, dass Einsamkeit so schädlich sei wie Rauchen oder Fett sucht.

● Faktoren Immer mehr Menschen lei den an Einsamkeit. Die Zahl der Sin gle Haushalte hat in den vergan genen 15 Jahren um drei Millio nen zugenommen. Gleichzeit­ig ver bringen wir immer mehr Zeit am Fernseher, Compu ter und Smartphone. „Me dien sind wört lich ,die Vermitteln­den‘, das bedeutet das genaue Gegenteil von Unmittel barkeit, durch die Sozialkont­akte aus gezeichnet sind“, sagt Spitzer.

● Betroffene Vor allem ältere Men schen leiden häufig an Einsamkeit. Eine Studie der Psychologi­e Professori­n Maike Luhmann von der Ruhr Uni versität Bochum zeigt, dass es in Deutschlan­d jedem Fünften über 85 Jahren so geht. Betroffen sind besonders Frauen, aus zwei Gründen: Zum ei nen werden Frauen statistisc­h gesehen in der Regel älter als Männer. Zum anderen sind sie regelmäßig jünger als ihre Ehemänner. Daraus ergibt sich, dass Frauen etwa acht Jahre als Witwe verbringen.

● Hilfe Es ist nicht leicht, einem Freund oder Nachbar zu helfen, der akut un ter Einsamkeit leidet. Schulterkl­opfen oder Sprüche wie „Dann geh halt un ter Leute!“bringen nichts, schließt Spit zer aus seiner Erfahrung als Psychia ter. Das sei, als sage man einem Roll stuhlfahre­r, er solle aufstehen. Spit zer rät stattdesse­n zum Gang in die Na tur. „Studien zeigen, dass der Auf enthalt in der Natur aus uns freundli chere, offenere und sogar hilfsberei tere Menschen macht. Man kann also durch einen Waldspazie­rgang Ein samkeit bekämpfen!“In Großbritan­nien gibt es inzwischen eine Ministerin ge gen Einsamkeit. Dort hatte ein Report des Roten Kreuzes enthüllt, dass sich von 66 Millionen Briten neun Millionen oft oder immer einsam fühlen. Ob die Politik auch hierzuland­e stärker gegen Einsamkeit vorgehen sollte, ist um stritten. Denn es handelt sich hier um ein subjektive­s Erleben. Nicht jeder Mensch, der alleine lebt, ist zugleich einsam. (alexr)

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Manfred Spitzer

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