„Für Extremfälle sind wir nicht gewappnet“
Naturkatastrophen, Epidemien, Terroranschläge: Als Präsidentin des Roten Kreuzes muss die frühere CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt mit dem Schlimmsten rechnen. Lässt sie deshalb Zelte und Betten bunkern?
Gerda Hasselfeldt kommt mit dem Rad. Zur Hanns-Seidel-Stiftung in München, deren Klubraum sie als Treffpunkt vorgeschlagen hat, braucht sie von zu Hause aus nur ein paar Minuten. Bis zur Bundestagswahl war die 67-Jährige als Vorsitzende der CSU-Landesgruppe die vielleicht mächtigste Frau in der Union nach der Kanzlerin und im Zweitberuf auch eine Art Pendeldiplomatin zwischen den Paralleluniversen von Horst Seehofer und Angela Merkel. Heute ist sie Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes. Bietet das Rote Kreuz jetzt Deutschkurse und Integrationsseminare an? Hasselfeldt: Zur Integration gehören ja nicht nur Sprachkurse. Ich war gerade erst in Oldenburg, wo Mitarbeiter des Roten Kreuzes und viele Ehrenamtliche eine Migrationsberatungsstelle und ein Begegnungszentrum betreiben. Dort gibt es Gesprächskreise für Alleinerziehende, viele Begegnungen zwischen den Kulturen – und eine syrische Lehrerin bringt syrischen Kindern die arabische Schrift bei, damit die Kinder auch ihren Großeltern zu Hause schreiben können. Hasselfeldt: Wir gehen davon aus, dass dafür anfänglich etwa 100 Millionen Euro nötig sind.
Das heißt, im Moment ist Deutschland auf eine Naturkatastrophe oder einen großen Terroranschlag nicht ausreichend vorbereitet?
Hasselfeldt: Einige Länder haben noch Material gebunkert, aber eben nicht alle und nicht genug. Ich möchte keine großen Schreckensszenarien entwerfen – für Extremfälle allerdings sind wir noch nicht ausreichend gewappnet. Außerdem gibt es inzwischen ganz neue Risiken, zum Beispiel das eines Cyberangriffs auf Krankenhäuser oder
Stromversorger. gegriffen und bedroht werden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat wegen fehlender Sicherheitsgarantien der Konfliktparteien einen Teil seiner Mitarbeiter abgezogen. Für das Rote Kreuz bedeutet dies derzeit eine Beschränkung auf lebensrettende Nothilfemaßnahmen in der Gesundheitsversorgung. Hier darf die Welt nicht einfach zusehen, und deswegen bin ich auch für jede einzelne Spende dankbar, damit wir den Menschen dort helfen können.
Heißt das, dass die Deutschen zu wenig spenden?
Hasselfeldt: Nein, unser Spendenaufkommen ist zuletzt sogar leicht gestiegen. Allerdings werden Spenden häufig zweckgebunden vergeben und von uns natürlich auch zweckgebunden verwendet, wenn die Medien beispielsweise über ein schweres Erdbeben oder eine andere Katastrophe berichten. Der Jemen allerdings gehört zu den Konfliktregionen, von denen kaum jemand Notiz nimmt. jeder Einzelne mehr Zeit für seine Patienten hat.
Jens Spahn, der Gesundheitsminister, hat 13 000 neue Stellen in der Pflege versprochen. Wo sollen diese Pfleger eigentlich herkommen? Aus Polen? Aus Asien? Bis die geplanten Reformen wirken, werden Jahre vergehen. Hasselfeldt: Kurzfristig wird es sicher nicht ohne ausländische Pflegekräfte gehen. Wir beim Roten Kreuz sind in der glücklichen Lage, dass wir sehr viele Pflegerinnen und Pfleger selbst ausbilden. Trotzdem müssen auch wir uns anstrengen, dass diese Leute dann auch bei uns bleiben oder nach einer Familienpause wieder zurückkommen.
War es ein Fehler, die Wehrpflicht und mit ihr den Zivildienst abzuschaffen? Hasselfeldt: Wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen, deshalb plädiere ich für einen Ausbau der Plätze in den Freiwilligendiensten vom Freiwilligen Sozialen Jahr bis zum Bundesfreiwilligendienst. Alleine beim Roten Kreuz haben wir für jeden Platz in den Freiwilligendiensten zwei- bis dreimal so viele Interessenten. Mit rund 12 000 Plätzen sind wir der größte Anbieter im Freiwilligen Sozialen Jahr. Insgesamt engagieren sich jährlich etwa 15 000 vorwiegend junge Menschen in den DRK-Freiwilligendiensten. Die Erfahrung lehrt, dass diese Tätigkeit der Einstieg in einen sozialen Beruf oder in ein ehrenamtliches Engagement sein kann. Schließlich brauchen wir beides: mehr Pflegekräfte und mehr Ehrenamtliche. Gerda Hasselfeldt hat die große Poli tik schon von klein auf kennenge lernt. Ihr Vater Alois Rainer, ein Gast wirt aus dem Niederbayerischen, saß im Landtag und später im Bun destag. Tochter Gerda studierte Volkswirtschaft, ging dann zur Bun desagentur für Arbeit und schließ lich selbst in die Politik. 1987 rückte sie für CSU Chef und Ministerprä sident Franz Josef Strauß in den Bun destag nach, wurde Bau und Ge sundheitsministerin, Vizepräsidentin des Bundestages und schließlich Vorsitzende der CSU Landesgruppe. Die zweifache Mutter ist in zweiter Ehe mit dem ehemaligen Abgeordne ten Wolfgang Zeitlmann verheira tet. Ihr Bruder Alois sitzt noch im Bundestag und führt die Familien tradition damit fort. (rwa)