Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (74)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. © P

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Wie?“fragt Kufalt und ist hellwach, „was weißt du denn von Gnutzmann?“

„Zwanzig Eier“, sagt Beerboom. „Ich tue es nicht und ich tue es nicht“, sagt Kufalt. „Nicht nur, weil Zwanzig eine Masse Geld sind, sondern gerade weil du dann Dummheiten machst, und ich hänge drin.“

„Ich mache vielleicht auch so Dummheiten“, sagt Beerboom.

„Aber dann können sie mich nicht kappen. Bitte, Beerboom, tu mir den Gefallen, erzähl, was die geredet haben!“

„Sie brauchen doch unter Kollegen nicht so zu sein“, sagt auch Liese. „Willi hilft Ihnen doch auch.“

,Willi‘, denkt Kufalt frohlocken­d.

„Schöne Hilfe, wenn mich einer in die Klappsmühl­e bringt. Schöner Kollege so was. Nee, ich sage nichts.“

„Dann läßt du es eben!“sagt Kufalt wütend.

Und überlegt halblaut: „Und wenn sie’s auch wissen, sie können

uns gar nichts wollen! Konkurrenz, da gibt es kein Gesetz dagegen, und auch der Herr Bär ist nicht so. Wenn wir ihn sehr bitten, läßt er uns die Arbeit auch, wenn wir vorbestraf­t sind.“

„Da ist schon Friedrichs­berg“, sagt Liese. Sie sind das längste Stück durch Anlagen gegangen, Gebüsch, schöne Rasenfläch­en, Rosenbeete. Ein Wässerchen.

Sie ist still und sanft, die Nacht, auf allen Bänken sitzen Pärchen. Und es ist ein Flüstern zwischen den Zweigen, ein Geräusch, ein Gesumm, mit klarglänze­nden Tropfen von Fruchtbark­eit weht es durch die Luft…

Aber drüben liegt niedrig und dunkel das Portalgebä­ude der Irrenansta­lt Friedrichs­berg. Kein Licht.

„Die schlafen ja alle“, sagt Beerboom und bleibt stehen. „Also gib mir wenigstens fünf Mark.“

„In einer Irrenansta­lt ist immer eine Nachtwache, genau wie im Kittchen. Komm schon“, sagt Kufalt.

„Und drin ist’s auch genau wie im Kittchen“, sagt Beerboom höhnisch. „Fräulein, schenken Sie mir drei Mark. Geben Sie mir zwei Mark, geben Sie mir wenigstens eine Mark.“Aber Kufalt wird plötzlich wütend: „Dämlicher Hund, du, immer anderen Malesche machen! Mir den ganzen Abend verkorksen. Kommst du mit oder kommst du nicht mit?!“

Er faßt ihn am Arm und zerrt ihn gegen das Portal.

„Doch nicht so!“warnt Liese erschrocke­n. „Doch nicht so!“

Aber Beerboom ist plötzlich ganz friedferti­g, er lacht sogar: „Halt mich lieber nicht fest, Willi, wenn ich wirklich mal haue, dann liegst du da…“Er hat sich losgemacht, er steht mit dem Rücken zum Portal von Friedrichs­berg, er sieht in die Anlagen mit den Bänken.

„Da sitzen sie“, sagt er, „die knutschen sich ab und werden satt, aber unsereiner…“Er macht eine Bewegung auf Kufalt zu: „Wird denn der satt, Fräulein? Er gibt immer so an, aber wird er denn satt?“

„Red keinen Unsinn“, sagt Kufalt. „Kommst du oder kommst du nicht? Wir gehen sonst nach Haus.“

„Natürlich komm’ ich“, sagt Beerboom plötzlich weinerlich. „Was soll ich denn machen? Wo ihr mir kein Geld gebt!“

Aber er steht wieder still. Nur, daß er diesmal nicht in den Park sieht, auch nicht in die Gesichter der beiden. Sondern er sucht. Seine Hände fahren an seinem Körper herum, sie fühlen vorsichtig, und sie bringen hervor – Liese schreit leise auf – sie bringen hervor ein Messer, ein offenes Rasiermess­er.

Beerboom hält es in der Hand, er hält es etwas hoch, es klappt nicht zusammen, er hat es wohl irgendwie umwickelt, und… Und die beiden sehen ihn an, dieses alte, böse, trotzige Kindergesi­cht, das den Kuchen nicht bekommen soll, mit dem dunklen Haar, den buschigen Brauen…

„Weg damit“, sagt Beerboom plötzlich und wirft das Messer weit von sich in ein Gebüsch. Es blitzt auf, es ist wie ein silberner, heller Streif durch die Nacht. Dann hört man es fallen.

„Schlapp“, sagt Beerboom aufatmend. „Hab’ gedacht, ich könnte es. Aber selbst dafür haben sie mich fertiggema­cht. Also kommt.“Sie gehen schweigend gegen das Gebäude hin, Liese dicht eingehängt bei Kufalt. Er spürt, wie schwer sie ist, wie sie innerlich bebt vor Angst und Hingabe. Natürlich gibt es eine Nachtglock­e. Sie klingeln. Es bleibt dunkel. Sie klingeln noch einmal, es bleibt dunkel…

Aber Beerboom sagt nicht noch einmal, daß sie gehen wollen, daß er Geld haben möchte, er wartet ganz geduldig. Nach dem dritten Klingeln wird es hell, ein verschlafe­ner Wärter schlurft heran und spricht durch’s Türgitter: „Was ist denn?“

„Entschuldi­gen Sie bitte“, sagt Kufalt hastig. „Mein Schwager hier, der hat heute abend einen Tobsuchtsa­nfall bekommen. Alles hat er zerschlage­n und uns wollte er auch totschlage­n. Jetzt ist er ruhig, aber er hat so ein Gefühl, daß es wiederkomm­en kann – ob Sie ihn nicht auf eine Nacht behalten wollen? Bitte schön?“Der Wärter hinter der Tür ist ein langer, schlenkrig­er, blasser Mann, mit einem Kopf fast ohne Fleisch, Haut und Knochen – eigentlich sieht er aus, als könnte er ganz gut ein Kranker der Anstalt sein.

„Geben Sie ihm nichts mehr zu trinken“, sagt er nach kurzem Überlegen. „Lassen Sie ihn seinen Rausch ausschlafe­n.“

„Er hat nichts getrunken“, sagt Kufalt. „Er hat so getobt, ganz plötzlich.“

Beerboom steht immer schweigend dabei.

„Bei welchem Arzt war er denn in Behandlung?“fragt der Wärter argwöhnisc­h.

„Bei keinem noch“, erklärt Kufalt eifrig. „Ich erzähle Ihnen doch, es hat ganz plötzlich angefangen.“

„Das gibt es gar nicht“, sagt der Wärter. „Was ist denn der Herr?“„Jetzt – arbeitslos“, sagt Kufalt. „Guten Abend“, sagt Beerboom ganz ruhig und gelassen und beginnt zu gehen. Der Wärter sieht ihm nach, gespannt, durch die Gittertür.

„Lieber Herr“, sagt er zu Kufalt, „ich glaub’ ja, sie meinen’s gut mit dem Herrn, aber wenn Sie wüßten, wieviel Arbeitslos­e zu uns kommen und denken, sie kriegen Essen und ein gutes Bett, wenn sie den wilden Mann spielen… Was macht der denn da? Was sucht der denn da?“

„O Gott“, sagt Kufalt und fährt herum. „Wärter, kommen Sie schnell, helfen Sie, er sucht ein Messer, er hat’s vorhin weggeworfe­n…“

„Machen Sie doch schnell…“, schreit Liese. Zögernd sagt der: „Ich darf doch nicht aus dem Tor, ich bin doch Nachtwache…“

Und schließt schon. Die beiden andern laufen, Kufalt spricht, zu wem spricht er? „Er hat elf Jahre Zet gehabt oder wieviel, was weiß ich, er ist erst ein halbes Jahr raus… er ist wahnsinnig…“

Der dunkle Schatten vor ihnen läuft schon über einen Rasen, huscht um ein Gebüsch…

„Lauf doch schneller, Liese! Wo ist denn der Wärter?

» 75. Fortsetzun­g folgt

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