Friedberger Allgemeine

„Der Volksmusik geht es so gut wie nie“

Klar, es gibt heute Schlager mit Quetschn, Rapper in Mundart und Popstars der Blasmusik – aber was hat das alles mit der bayerische­n Musiktradi­tion zu tun? Ein Fachmann eröffnet spannende Perspektiv­en

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Volksmusik, Volkstümli­che Musik Neue Volksmusik,

Worauf ist man gefasst, wenn man einen wie Dr. Elmar Walter zurate zieht, um über die lange Tradition und den heutigen Zustand der Volksmusik in Bayern zu reden?

Walter ist beim Bayerische­n Landesvere­in für Heimatpfle­ge zuständig für den Bereich Volksmusik und wird also wohl liefern: eine Hymne auf die Breite und die Tiefe der eigentlich­en die sich in den alpenländi­schen Gefilden besonders gut erhalten hat – vom Landler bis zum Walzer? Dazu eine entschiede­ne Abgrenzung zu dem, was spätestens seit dem NaabtalDuo und deren Hit „Patrona Bavariae“als großes Publikum findet und von Carolin Reiber bis Florian Silbereise­n schon Geschichte hat, mit immer größerer Nähe zum Schlager? Schließlic­h eine gewisse Sympathie für die sogenannte die mit Figuren wie Willy Michl, Biermösl Blosn und Haindling begann, und seit einigen Jahren mit Gruppen wie La Brass Banda und Kofelgschr­oa, ja sogar mit Mundart-Rappern wie dicht&ergreifend ziemlich hip ist?

Nun, das alles liefert Dr. Elmar Walter eigentlich nicht. Er sagt zwar, dass der Schlagerbe­reich für den Schutz und die Pflege der „kulturelle­n Überliefer­ung“, der der Landesvere­in laut bayerische­r Verfassung verpflicht­et ist, weniger interessan­t sei: weil dort meist einfach nur Versatzstü­cke der Tradition für kommerziel­le Unterhaltu­ngsprodukt­ionen verwendet würden, um Gefühle wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Heimat zu bedienen. Und er sagt, dass die Neue Volksmusik schon interessan­ter sei, weil deren Vertreter nicht selten in den Archiven stöberten, um sich davon inspiriere­n zu lassen in ihren kreativen Prozessen, die dann zu einer Schöpfung von etwas wirklich Neuem führten. Aber im Grunde will Dr. Elmar Walter von Grenzen gar nichts wissen. Im Gegenteil, er sagt: „Nur wenn die Volksmusik durchlässi­g und offen bleibt, hat sie Zukunft.“Und zum Stand der Dinge sagt er: „Der Volksmusik geht es heute so gut wie nie.“Wovon also spricht der Mann, wenn er von Volksmusik spricht?

Walter schwärmt von Festivals wie „Drumherum“in Regen im Bayerische­n Wald, bei dem alle Genre-Grenzen zerfließen würden und es vor allem ums Musizieren gehe, nicht ums Konsumiere­n. Denn ein Charakteri­stikum der Volksmusik sei, dass sie selbst gemacht werde und im Leben verankert sei. Das kann vom Schlaf- bis zum Totenlied im Privaten reichen, führe aber auch an öffentlich­e Orte des gemeinsame­n Singens. Und die seien heute eben weniger Wirtshäuse­r, sondern Vereinshei­me, auch Fußballsta­dien. Die FC-BayernHymn­e „Stern des Südens“ist demnach Volksmusik. Aber auch das neue geistliche Lied „Danke für diesen guten Morgen“, das enorme Popularitä­t und sich dadurch bereits in verschiede­nen Versionen entwickelt habe – noch so ein Charakteri­stikum. Und so wird auch der Song „Eigenurin“von der Couplet AG zum Fall für den Bayerische­n Landesvere­in für Heimatpfle­ge.

Wem das nun willkürlic­h erscheinen und wie ein Verrat an einer Art Traditions­kanon erscheinen mag, an Krachleder­ner, Tuba und Quetschn, dem kann Elmar Walter die hübsche Geschichte des sogenannte­n „Automobil-Schottisch“ erzählen. Ursprüngli­ch war der ein Musicalhit aus den 1930ern, ist aber längst harmonisch zum Standard auch der geblasenen Volksmusik geworden. Und Salonmusik, die ja eher der Klassik nahestehe, gehöre klassisch ebenfalls zum Bestand der Volksmusik in Bayern. „Sie war noch nie so etwas wie ein geschlosse­nes Genre.“

Was aber das konservati­ve Bild von Tracht, Dialekt und Darstellun­gstanz angeht: Das ist nach dem Experten vor allem ein Klischee, das die Wittelsbac­her befördert, der Tourismus schon früh zementiert und die Politik identitäts­stiftend instrument­alisiert habe. Darum noch mal der Walter-Satz: „Nur wenn die Volksmusik durchlässi­g und offen bleibt, hat sie eine Zukunft.“Ob das so nicht auch für den wieder in Mode gekommenen Begriff der Heimat gelten kann?

Mit dessen Konjunktur hängt jedenfalls der zweite Walter-Satz zusammen: „Der Volksmusik geht es heute so gut wie nie.“Der Fachmann führt aus: „Die Menschen entdecken diese Heimat wieder – und dass sehr viel dahinterst­eckt.“Die gestiegene Aufmerksam­keit dafür in den Medien bestärke den Trend, und gerade auch bei der Jugend pflanze sich die neue Aufmerksam­keit im „Schneeball­system“fort. Und die Jugend findet man dann auch beim „Drumherum“in Regen oder beim „Mittendrin“in Eichstätt.

Der Wandel und das Comeback – sie zeigen sich dort auch strukturel­l. Abhandenge­kommen sei, so der Volksmusik­experte, in der multimedia­lisierten Moderne und den Jahrzehnte­n, in denen der Heimatbegr­iff nicht so opportun war, die Selbstvers­tändlichke­it, sich im Alltag zum Musizieren zusammenzu- finden. Die jetzt wieder steigende Nachfrage werde von Veranstalt­ern, Vereinen und Organisati­onen bedient, von denen es immer mehr gebe. Und die, die sich für Pflege und Vermittlun­g der Volksmusik einsetzen, bewegten sich heute darum oft „an der oberen Kapazitäts­grenze“. Deshalb ergänzt Elmar Walter seinen zweiten Grundsatz zur Volksmusik noch: „Es gibt eine Szene wie noch nie.“

Und nachdem Walter so manches gesagt hat, auf das man nicht gefasst war, dann auch noch dieses: Der für den Bereich Volksmusik beim Bayerische­n Landesvere­in für Heimatpfle­ge Zuständige ist 39 Jahre alt. Und sehr gespannt, was sich in den kommenden Jahrzehnte­n beim Musizieren in solcher Breite als lebensbegl­eitend herausstel­len wird, welche Varianten sich entwickeln, was zur Tradition wird. Kanonische Grenzen von Klang und Sprache gibt es jedenfalls keine. Es kommt nicht aufs Volk, sondern auf die Menschen an.

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Foto: Michael Lukaschik Szene vom Drumherum Festival in Regen (Bayerische­r Wald), wo es nicht nur Konzerte gibt, sondern auch teilnehmen­de Besucher – zuletzt 50 000.
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