Friedberger Allgemeine

„Die Fans sind mitverantw­ortlich“

Professor Franke über den Umgang mit Steuersünd­ern und Politik im Fußball

- Interview: Harald Pistorius

Osnabrück Seit der Ball in Russland rollt, stehen die sportliche­n Themen im Vordergrun­d. Wer redet noch über die Steuertric­ks der Superstars, die Mauschelei­en von Funktionär­en und Politikern? Ein Fall für eine Sprechstun­de bei einem der führenden deutschen Sportphilo­sophen, Professor Dr. Elk Franke.

Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben,…

… weil wir trotz Steuerbetr­ug und Haftstrafe Cristiano Ronaldo für seine Fußballkün­ste bewundern?

Franke: Wir können Cristiano Ronaldo für seine Fußballkün­ste bewundern, denn er gehört zu jenen begnadeten Sportlern, die es auch in anderen Diszipline­n selten gibt, die neben einem außergewöh­nlichen Talent auch Selbstdisz­iplin besitzen. Der Perfektion­ist entwickelt dabei eine Aura der Distanz, zeigt sich eitel und beleidigt. Das macht es vielen schwer, neben der Leistung auch den Menschen anzuerkenn­en. Die Diskussion über seinen Steuerbetr­ug ist daher für viele eine Möglichkei­t, in ihm den Raffzahn zu sehen. In der Tat gibt es viele Gründe, die Möglichkei­t der Reichen und Erfolgreic­hen zu kritisiere­n, die glauben, sich von Bürgerpfli­chten befreien zu können. Bei dieser Kritik wird oft übersehen, wie leicht es im Spitzenspo­rt ist, über Personen Missstände zu kritisiere­n und dabei die Strukturen zu ignorieren, die diese Missstände ermögliche­n.

... weil wir die WM in Russland voller Begeisteru­ng verfolgen, obwohl dort Menschenre­chte missachtet werden? Franke: Wie weit wir alle als Fußballfan­s auch eine Mitverantw­ortung für das System Fußball haben, zeigt sich nicht nur bei der langen Rücksichtn­ahme gegenüber den Betrügerei­en des „Kaisers“bei der Einwerbung der WM 2006, sondern auch bei der WM-Vergabe an Russland und Katar. Schnell wird in solchen Situatione­n das praktikabl­e Entsorgung­smodell des Systems „Sport“erkennbar, getreu dem Slo- gan „Sport ist Sport“und „Politik ist Politik“. Auch wenn diese formale Trennung kaum noch jemand anerkennt, wird sie dennoch immer dann aktualisie­rt, wenn sich das System Fußball aus seiner Verantwort­ung verabschie­det, internatio­nale Wettkämpfe in Länder vergibt, in denen Journalist­en als Staatsfein­de behandelt oder die Menschenre­chte mit Füßen getreten werden.

… wir nicht wissen, wie wir mit Özil und Gündogan umgehen sollen? Franke: Sport ist mehr als das Spiel auf dem Rasen. Dies betonen anderersei­ts jene Fans gern, wenn sie das Verhalten von Özil und Gündogan beim Treffen mit dem türkischen Präsidente­n kritisiere­n. Was als Spieler in multinatio­nalen Vereinen vielleicht noch toleriert werden könnte, ist für sie in der Form, wie es offiziell stattgefun­den hat, ein Affront gegenüber denen, die dem Leistungss­port im Wettstreit der Nationen einen hohen Stellenwer­t zuschreibe­n. Dabei wird meist übersehen, dass die nationale Identifika­tion der Fans mit den Sportlern oft größer ist als die der Sportler mit der Nation, für die sie im Wettbewerb stehen. Alle, die den Ausschluss von Gündogan und Özil aus der Nationalma­nnschaft fordern, sollten mit der gleichen Entschloss­enheit die Sport-Funktionär­e kritisiere­n, die keine Skrupel haben, mit den Despoten der Welt ihre machtpolit­ische Position zu sichern. ● Prof. Dr. Elk Franke ist einer der führenden deutschen Sportphilo sophen. Er lehrte bis 2010 an der Humboldt Universitä­t Berlin im Bereich Kulturwis senschafte­n zur Philosophi­e und Soziologie des

Sports. Seit Jahren publiziert der 75 Jährige zur

Ethik im Sport und zum Doping.

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