Jens Kabisch spielt mit der Fantasie
In der neuen Schau im Kunstverein Augsburg kann man nicht sicher sein, was die Rätselkunst bezweckt: Verborgene Räume darzustellen oder das Wahrnehmen zu hinterfragen
Es sind Lichtspuren, denen man als Betrachter nachgehen muss. Hier eine Andeutung, dort ein kleiner Schimmer auf den Fotografien. Eine fahle Welt breitet der Künstler Jens Kabisch aus. Eine Lichtung im Wald im Halbdunkel und an einem Baum ein Streifen Licht. Dann ist es der Blick in ein Gebäude: hier unter einer Tür ein winziger Schimmer von Licht, dort eine helle Spiegelung auf einem Rohr. Ansonsten sind es Halbwelten, nicht richtig ausgeleuchtet, kontrastarm.
Und man denkt ohne große Einführung und Worte instinktiv an Erscheinungen. Was zeigt sich in dieser Bildwelt? Sind das höhere Wesen? Ist das ein Verweis auf eine andere Wirklichkeit? Im Kunstverein Augsburg präsentiert der Bildende Künstler Kabisch, der 1973 geboren ist und in München, Berlin, London und Karlsruhe studiert hat, unter dem Titel „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“seine Arbeiten. Fotografien, vor allem aber eine große Rauminstallation.
Es ist eine Wand mit einer Pforte, die Kabisch zwei Etagen hoch in den Raum gestellt hat. Das Holz ist lasiert, die Maserung ist gut zu erkennen. Struktur bekommt die Wand durch Heftklammern und Papier- die teilweise noch von den Klammern festgehalten werden. Waren da einmal Plakate? Bilder? Auch hier wird die Fantasie des Betrachters sofort angesprochen. Diese Wand sah einmal anders aus. Sie hat eine Geschichte, die sich nicht rekonstruieren lässt.
Diese Wand trennt den Raum, vor und hinter dem Durchgang findet sich allerdings nichts Weiteres. Es geht also nur um diese Wand. Im Flyer zur Ausstellung heißt es, dass Kabisch sich mit einer Ikonostase auseinandersetzt. Darunter versteht man die Bilderwand, die in den orthodoxen christlichen Kirchen den Gemeinderaum von dem Altarraum trennt. Ikonen, also Kult- und Heiligenbilder, sind an der Wand angebracht. Und es gibt drei Türen, die von einem Raum in den anderen führen. Oft berührt die Ikonostase die Decke nicht, sodass die Worte und der Gesang des Priesters noch gut zu hören sind.
Auf Kabischs Wand sind die Bilder entfernt worden. Und statt Ikonen könnten es große Plakate gewesen sein, die dort festgetackert waren. Werbung? Sakrale Motive? Parolen? Die Wand verweist auf etwas anderes – etwas Irreales. Einen früheren Zustand, den es allerdings nie gab, eine Geschichte, die der Betrachter nie erfahren kann. Das alles regt die Fantasie an. Andersherum aber lässt sich auch beobachten, wie dieses Irreale erzeugt wird: durch Auslassungen. Das Kunstwerk behauptet ja lediglich einen früheren Zustand. Tatsächlich ist er nicht dargestellt. Der Betrachter kann ihn aufladen, auf dieser Weise auch in verborgene und religiöse Räume vorstoßen.
Und plötzlich kippt der Blick auf die Kunstwerke noch einmal. Denn es fällt auf, wie bereitwillig diese Andeutungen von Licht auf den Fotoarbeiten in einen erhabenen und religiösen Kontext gehoben werden, wie diese Wand aufgeladen wird, die ja tatsächlich nur eine Wand ist. Es gibt eine Fotoarbeit, in der Kabisch dem Lichtstreifen näher gekommen ist. Da ist auf einem Baumstamm ein Streifen Leuchtfarbe zu erkennen.
Was nun also? Spielt der Künstler mit dem Erhabenen oder führt er vor Augen, wie leicht sich Betrachter zu solchen Deutungen verführen lassen, wie schnell die Sinnmaschine in jedem einzelnen angeworfen wird. Zu sehen sind ja nur Farben und nicht eine irreale und jenseitige Welt. Diese wird erst durch die Fantasie erschaffen.
Mit diesen Gedanken erscheint die zweite große Arbeit der Ausstellung wie ein Rätsel. Ein Stroboskoplicht, vor dem ausdrücklich am Einreste, gang in den Raum gewarnt wird, soll einen Schriftzug an der Wand beleuchten. „My wife died here“ist dort zu lesen, auch „My daughter died here“– und „Had to leave by 2017-June“. Das erinnert an die Inschriften auf Grabsteinen, wirkt in der Handschrift auf der Wand aber auch wie die letzte Tat eines Überlebenden, der geflohen ist. Woran sind Frau und Tochter gestorben?
Wenn man sich vorstellt, dass dieser Schriftzug nur kurz im Stroboskoplicht zu sehen ist, könnte der Raum auch dem Filmset eines Horrorfilms entstammen. Eine letzte Botschaft von jemandem, der gerade so davongekommen ist. Aber der Raum ist nicht abgedunkelt, die Gruselwirkung stellt sich nicht ein. Läuft da etwas falsch im letzten Raum? Ist das alles Absicht? So führt Kabisch seine Betrachter dazu, nicht nur seine Kunst, sondern gleichzeitig auch das eigene Wahrnehmen zu hinterfragen.
OLaufzeit der Ausstellung „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“von Jens Ka bisch im Kunstverein Augsburg (im Hol beinhaus, Vorderer Lech 20 in Augs burg) bis zum 26. August. Geöffnet Diens tag bis Sonntag jeweils 11 bis 17 Uhr. Eine Performance von Kabisch ist am Sonntag, 28. Juli, um 20.30 Uhr ange setzt.