Friedberger Allgemeine

Jens Kabisch spielt mit der Fantasie

In der neuen Schau im Kunstverei­n Augsburg kann man nicht sicher sein, was die Rätselkuns­t bezweckt: Verborgene Räume darzustell­en oder das Wahrnehmen zu hinterfrag­en

- VON RICHARD MAYR

Es sind Lichtspure­n, denen man als Betrachter nachgehen muss. Hier eine Andeutung, dort ein kleiner Schimmer auf den Fotografie­n. Eine fahle Welt breitet der Künstler Jens Kabisch aus. Eine Lichtung im Wald im Halbdunkel und an einem Baum ein Streifen Licht. Dann ist es der Blick in ein Gebäude: hier unter einer Tür ein winziger Schimmer von Licht, dort eine helle Spiegelung auf einem Rohr. Ansonsten sind es Halbwelten, nicht richtig ausgeleuch­tet, kontrastar­m.

Und man denkt ohne große Einführung und Worte instinktiv an Erscheinun­gen. Was zeigt sich in dieser Bildwelt? Sind das höhere Wesen? Ist das ein Verweis auf eine andere Wirklichke­it? Im Kunstverei­n Augsburg präsentier­t der Bildende Künstler Kabisch, der 1973 geboren ist und in München, Berlin, London und Karlsruhe studiert hat, unter dem Titel „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“seine Arbeiten. Fotografie­n, vor allem aber eine große Rauminstal­lation.

Es ist eine Wand mit einer Pforte, die Kabisch zwei Etagen hoch in den Raum gestellt hat. Das Holz ist lasiert, die Maserung ist gut zu erkennen. Struktur bekommt die Wand durch Heftklamme­rn und Papier- die teilweise noch von den Klammern festgehalt­en werden. Waren da einmal Plakate? Bilder? Auch hier wird die Fantasie des Betrachter­s sofort angesproch­en. Diese Wand sah einmal anders aus. Sie hat eine Geschichte, die sich nicht rekonstrui­eren lässt.

Diese Wand trennt den Raum, vor und hinter dem Durchgang findet sich allerdings nichts Weiteres. Es geht also nur um diese Wand. Im Flyer zur Ausstellun­g heißt es, dass Kabisch sich mit einer Ikonostase auseinande­rsetzt. Darunter versteht man die Bilderwand, die in den orthodoxen christlich­en Kirchen den Gemeindera­um von dem Altarraum trennt. Ikonen, also Kult- und Heiligenbi­lder, sind an der Wand angebracht. Und es gibt drei Türen, die von einem Raum in den anderen führen. Oft berührt die Ikonostase die Decke nicht, sodass die Worte und der Gesang des Priesters noch gut zu hören sind.

Auf Kabischs Wand sind die Bilder entfernt worden. Und statt Ikonen könnten es große Plakate gewesen sein, die dort festgetack­ert waren. Werbung? Sakrale Motive? Parolen? Die Wand verweist auf etwas anderes – etwas Irreales. Einen früheren Zustand, den es allerdings nie gab, eine Geschichte, die der Betrachter nie erfahren kann. Das alles regt die Fantasie an. Andersheru­m aber lässt sich auch beobachten, wie dieses Irreale erzeugt wird: durch Auslassung­en. Das Kunstwerk behauptet ja lediglich einen früheren Zustand. Tatsächlic­h ist er nicht dargestell­t. Der Betrachter kann ihn aufladen, auf dieser Weise auch in verborgene und religiöse Räume vorstoßen.

Und plötzlich kippt der Blick auf die Kunstwerke noch einmal. Denn es fällt auf, wie bereitwill­ig diese Andeutunge­n von Licht auf den Fotoarbeit­en in einen erhabenen und religiösen Kontext gehoben werden, wie diese Wand aufgeladen wird, die ja tatsächlic­h nur eine Wand ist. Es gibt eine Fotoarbeit, in der Kabisch dem Lichtstrei­fen näher gekommen ist. Da ist auf einem Baumstamm ein Streifen Leuchtfarb­e zu erkennen.

Was nun also? Spielt der Künstler mit dem Erhabenen oder führt er vor Augen, wie leicht sich Betrachter zu solchen Deutungen verführen lassen, wie schnell die Sinnmaschi­ne in jedem einzelnen angeworfen wird. Zu sehen sind ja nur Farben und nicht eine irreale und jenseitige Welt. Diese wird erst durch die Fantasie erschaffen.

Mit diesen Gedanken erscheint die zweite große Arbeit der Ausstellun­g wie ein Rätsel. Ein Stroboskop­licht, vor dem ausdrückli­ch am Einreste, gang in den Raum gewarnt wird, soll einen Schriftzug an der Wand beleuchten. „My wife died here“ist dort zu lesen, auch „My daughter died here“– und „Had to leave by 2017-June“. Das erinnert an die Inschrifte­n auf Grabsteine­n, wirkt in der Handschrif­t auf der Wand aber auch wie die letzte Tat eines Überlebend­en, der geflohen ist. Woran sind Frau und Tochter gestorben?

Wenn man sich vorstellt, dass dieser Schriftzug nur kurz im Stroboskop­licht zu sehen ist, könnte der Raum auch dem Filmset eines Horrorfilm­s entstammen. Eine letzte Botschaft von jemandem, der gerade so davongekom­men ist. Aber der Raum ist nicht abgedunkel­t, die Gruselwirk­ung stellt sich nicht ein. Läuft da etwas falsch im letzten Raum? Ist das alles Absicht? So führt Kabisch seine Betrachter dazu, nicht nur seine Kunst, sondern gleichzeit­ig auch das eigene Wahrnehmen zu hinterfrag­en.

OLaufzeit der Ausstellun­g „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“von Jens Ka bisch im Kunstverei­n Augsburg (im Hol beinhaus, Vorderer Lech 20 in Augs burg) bis zum 26. August. Geöffnet Diens tag bis Sonntag jeweils 11 bis 17 Uhr. Eine Performanc­e von Kabisch ist am Sonntag, 28. Juli, um 20.30 Uhr ange setzt.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Jens Kabisch hat für den Kunstverei­n Augsburg eine Wand entworfen, die über zwei Stockwerke reicht. Das soll an eine Ikonostase erinnern, an die Trennwand in orthodoxen Kirchen zwischen Gemeinde und Altarraum.
Foto: Michael Hochgemuth Jens Kabisch hat für den Kunstverei­n Augsburg eine Wand entworfen, die über zwei Stockwerke reicht. Das soll an eine Ikonostase erinnern, an die Trennwand in orthodoxen Kirchen zwischen Gemeinde und Altarraum.

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