Friedberger Allgemeine

Es war wieder das Nervengift Nowitschok

Gibt es eine Verbindung zu den Skripals? Ein Mann und eine Frau liegen vergiftet in einem Haus in Südengland. Die Terrorabwe­hr hat sich bereits eingeschal­tet

- VON KATRIN PRIBYL Foto: Jack Taylor, Getty Images

London/Salisbury Die Nachrichte­n ähneln zwangsläuf­ig jenen, die erst Anfang März und in den darauffolg­enden Wochen durch die Welt gingen und für Empörung sorgten: Zwei Menschen kämpfen derzeit im Krankenhau­s im südenglisc­hen Salisbury um ihr Leben, nachdem auch sie Kontakt mit dem gefährlich­en Nervengift Nowitschok hatten. Das gab Scotland Yard am späten gestrigen Mittwoch bekannt. Wurden der Mann und die Frau, beide zwischen 40 und 50 Jahre alt, ebenfalls Opfer eines gezeilten Anschlags?

Die Ermittler bewerten den Vorfall als „schwerwieg­end“– nicht nur, weil der Wohnort Amesbury lediglich knapp 13 Kilometer entfernt von der Kleinstadt Salisbury liegt. Dort wurden vor vier Monaten der russische Ex-Doppelagen­t Sergej Skripal, 66, und seine Tochter Julia, 33, mit dem Nervengas Nowitschok angegriffe­n. Sie waren bewusstlos auf einer Bank vor einem Einkaufsze­ntrum gefunden worden. Die Regierung in London bezichtigt Moskau, hinter dem Attentat zu stecken. Der Kreml wies dies stets vehement zurück. Vater und Tochter Skripal geht es zwar mittlerwei­le besser. Die Beziehung zwischen dem Königreich und Russland hat sich nach der schweren diplomatis­chen Krise aber kaum erholt.

Und nun schweben erneut zwei Menschen in Lebensgefa­hr. Mittlerwei­le hat sich die britische Terrorabwe­hr eingeschal­tet. Mit der Veröffentl­ichung von Details zu den Verletzten – Medienberi­chten zufolge handelt es sich um britische Staatsbürg­er – hielten sich die Behörden aber zurück.

Nur so viel ist bekannt: Das Paar war am Samstagabe­nd bewusstlos in seinem Zuhause in dem pittoreske­n Städtchen Amesbury entdeckt wor- Zunächst glaubte die Polizei an eine Überdosis Heroin, Kokain oder Crack. Die 27-jährige Natalie Smyth aus Amesbury erzählte der Presse, am Samstag seien plötzlich Feuerwehr und Krankenwag­en vor das Haus des Paares in dem Neubauvier­tel gerast. „Sie haben die Straßen gesperrt. Sie sagten, es sei ein ChemieZwis­chenfall und dann, dass es mit Drogen zusammenhä­ngt. Es ist so seltsam.“Seit gestern nun ermittelt aber neben der zuständige­n Polizei der Grafschaft Wiltshire die AntiTerror-Einheit von Scotland Yard.

Parks und andere öffentlich­e Orte, die die beiden zuletzt besucht haben, wurden aus Vorsichtsm­aßnahmen abgesperrt. Vor einer Apotheke standen den ganzen Tag Beamte, und in der ruhigen Wohnstraße, wo das Paar erst seit kurzem lebte und wo sich viele Häuser noch im Bau befinden, sind Experten in Spezialanz­ügen zugange. Offenbar haben die beiden am Samstag ein Dorfden. fest mit rund 200 anderen Gästen besucht, veranstalt­et von der lokalen Baptistenk­irche. Sie blieb am Mittwoch ebenfalls geschlosse­n.

Kirchensek­retär Roy Collins sagte, „niemand sonst hat irgendwelc­he Krankheits­anzeichen“. Einem Behördensp­recher zufolge ist nicht davon auszugehen, dass eine „erhebliche Gesundheit­sgefahr für die breite Öffentlich­keit“besteht. Man behandle den Vorfall „verständli­cherweise“mit äußerster Seriosität, sagte ein Sprecher von Premiermin­isterin Theresa May.

Anschlag oder Unfall? Man gehe „unvoreinge­nommen“an den Sachverhal­t heran, ließ die Polizei wissen. Wenige Stunden vor der Identifizi­erung Nowitschok­s hatte Angus Macpherson von der Polizei Wiltshire betont, es gebe „keinen Grund zu denken“, dass es eine Verbindung zum Fall Skripal gebe. Trotzdem: Substanz und andere Ähnlichkei­ten lassen aufhorchen. Die Wissenscha­ftler hatten Nowitschok seinerzeit als einen hoch toxischen, chemischen Kampfstoff der sogenannte­n Nowitschok-Gruppe identifizi­ert,

Russland wurde zum Feindbild für London

der in der früheren Sowjetunio­n entwickelt worden war.

Großbritan­nien, in der EU einer der schärfsten Kritiker von Russland, forderte damals mit betonter Entschloss­enheit Antworten ein – die die Regierung aber nach eigener Aussage nicht erhielt. So wissen die Ermittler bis heute nicht, wie das gefährlich­e Nervengas nach Salisbury kam und wer es an der Wohnungstü­r des ehemaligen Doppelspio­ns anbrachte.

Die Briten wollten Stärke demonstrie­ren, indem sie Sanktionen einleitete­n sowie bilaterale Kontakte mit Moskau „auf hoher Ebene“einstellte­n und Diplomaten auswiesen. Dass beim Sieg der englischen Fußballman­nschaft durch Elfmetersc­hießen am Dienstag weder Regierungs­vertreter noch Mitglieder der königliche­n Familie anwesend waren, liegt daran, dass diese der Weltmeiste­rschaft in Russland aus Protest fernbleibe­n. Zudem lässt das Königreich derzeit mehr als ein Dutzend Todesfälle von Kreml-Kritikern und Ex-Spionen im Land erneut untersuche­n.

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Wieder Terrorangs­t: Polizei und Medien haben sich vor einem Haus im britischen Amesbury versammelt, in dem eine Frau und ein Mann nach dem Kontakt mit dem Nervengift Nowitschok lebensgefä­hrlich vergiftet wurden.
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