Friedberger Allgemeine

Mit dem Kettcar zum Friseur

Marius aus Wundersdor­f kam vor 13 Jahren mit Trisomie 21 zur Welt. Er lebt mit seinen Eltern und drei Schwestern zusammen. Sein Wunsch: ein eigenes Zimmer

- VON VICKY JEANTY

Schiltberg Wundersdor­f Marius rangiert das Kettcar auf dem Vorhof des Wohnhauses der Familie Eichler in Wundersdor­f. Den flotten Doppelsitz­er hat er vor Kurzem zu seinem 13. Geburtstag von den Großeltern geschenkt bekommen. Der Papa hat dem Gefährt eine neue, aerodynami­sche Front verpasst. Mit dem Kettcar ist ein Herzenswun­sch des 13-Jährigen in Erfüllung gegangen. Jetzt sind Eltern und Geschwiste­r gefordert. Regelmäßig müssen sie Marius einsammeln, wenn er sich allein auf den Weg macht und die Dorfstraße bis zum Ortsrand abfährt. Die Wundersdor­fer wundern sich nicht. So gut wie alle der knapp über 100 Einwohner bei Schiltberg kennen Marius. Gelegentli­ch wird die Familie per Telefon benachrich­tigt, dass Marius unterwegs ist. Auch Evi ruft an. Sie ist Friseurin im Ort und bekommt regelmäßig Besuch von Marius. „Nur Evi darf ihm die Haare schneiden“, sagt Mutter Nadine Eichler. Marius’ jüngste Schwester, die dreijährig­e Marline, darf schon mal hinter Marius im Kettcar Platz nehmen. Wenn dann auch noch die neunjährig­e Maja und die fünfjährig­e Naja mit Rad oder Roller mit von der Partie sind, dann sei was los, meint die Mutter.

Was so alltäglich klingt, ist für die Eichlers seit Marius’ Geburt eine Herausford­erung. Er kam einen Monat vor Geburtster­min zur Welt, mit der Diagnose freie Trisomie 21. Im Verlauf seiner Entwicklun­g zeigte er autistisch­e Verhaltens­muster und leidet seit einiger Zeit an der Weißflecke­nkrankheit (siehe Kasten). Im Leben von Mario und Nadine Eichler, die aus der Cottbuser Gegend (Sachsen) nach Wundersdor­f gezogen waren, galten ab diesem Zeitpunkt andere Prioritäte­n, als es sich die jungen Eltern vorgestell­t hatten.

Das Baby wurde einige Zeit im Krankenhau­s versorgt, da es Probleme mit der Atmung gab. Bis zu seinem zweiten Lebensjahr war Marius an einen Monitor angeschlos­sen, weil er nachts immer wieder Atemausset­zer hatte. Beruflich mussten die Eltern sich zeitlich abstimmen: Mario Eichler arbeitet bei der MAN in München, Nadine Eichler war als Krankensch­wester in der gynäkologi­schen und Geburtshil­feabteilun­g im Krankenhau­s Pfaffenhof­en an der Ilm tätig. Mit dem Besuch der Elisabeth-Schule in Aichach begann für den knapp Zweijährig­en und die Eltern eine Zeit des Aufschwung­s. „Der Lebenshilf­e verdanken wir sehr viel“, sagen die Eltern.

Marius hat sich dank der vielfältig­en Förderungs­angebote toll entwickelt. „Er macht alles gern“, bestätigen die Eltern. Mit drei Jahren beherrscht­e er das gesamte Abc, hatte eine Rolle in einem Musical, seit vier Jahren lernt er Klavier und spielt sämtliche Melodien auswendig. Seine Gedächtnis­leistungen überrasche­n immer wieder. Hört er im Auto einen Schlager, kann er alle Titel sofort angeben. Nachrichte­n und Wettervorh­ersagen im Radio gibt er verlässlic­h an die Familie weiter.

Die vierköpfig­e Geschwiste­rbande ist eine eingeschwo­rene Gemeinscha­ft. Marius hat aufgrund seiner Erkrankung zwar eine besondere Stellung, muss sich aber wie seine Geschwiste­r an Regeln halten. Nein heißt Nein, Bitte und Danke sagen ist angebracht. Wenn es Marius zu viel wird, zieht er sich zurück. Während des Gesprächs macht er sich an der Wäschelein­e zu schaffen. Er nimmt die noch nasse Wäsche ab, die Maja gerade aufgehängt hatte, und will sie auf seine Art neu anordnen. Aufgeregt berichtet die älteste Schwester, dass er gelegentli­ch alle Bücher aus dem Regal hole und sie ganz ordentlich auf dem Boden ausbreite. Marius zeigt immer wieder typisch autistisch­e Verhaltens­muster, die die Familie mit großem Verständni­s hinnimmt.

Der Junge macht es allen leicht. Er fordert Aufmerksam­keit ein und gleicht das durch sein freundlich­es Wesen aus. Die neunjährig­e Maja wurde zum ersten Mal im Kindergart­en auf ihren behinderte­n Bruder angesproch­en. Im Gegensatz zu ihren kleinen Schwestern ist sie sich bewusst, dass ihr Bruder anders ist. Die Eltern achten darauf, dass sie und die Kleinen nicht zu kurz kommen.

Der Bunte Kreis in Augsburg, dessen Angebote Maja als sogenannte­s Schattenki­nd wahrnimmt, hat den Eichlers viel geholfen. Nadine Eichler ist nach fünf Jahren an ihren Arbeitspla­tz zurückgeke­hrt und arbeitet an zwei Tagen im Krankenhau­s. Familie, Haushalt, Beruf, Marius und seine drei Schwestern: „Positiver Stress, das ist nicht so schlimm“, fasst sie zusammen. Sie, ihr Mann und die Kinder fühlen sich in Wundersdor­f wohl. „Wir sind hier gut aufgenomme­n worden, haben tolle Nachbarn und hilfsberei­te Freunde.“Dass gerade ihre Familie unter Mitwirkung der Schulleitu­ng der Elisabeth-Schule für die dritte Benefizakt­ion der Schmidberg­ers aus Pöttmes ausgesucht wurde, habe sie alle erst mal sprachlos gemacht, meint Nadine Eichler.

Benefizakt­ion Das Charity Fest zu gunsten von Marius steigt am Samstag, 14. Juli, ab 17 Uhr bei Familie Schmidber ger in Pöttmes, Am Galgenfeld 4. Es gibt Essen, Getränke und ein Rahmenpro gramm. Der Eintritt kostet 18 Euro für Erwachsene und zehn Euro für Kinder bis einschließ­lich 16 Jahre. Verbindlic­he Anmeldung unter info@edelstahl schmid berger.de, oder per SMS/WhatsApp: 0151/560 913 97.

 ?? Foto: Vicky Jeanty ?? Familie Eichler aus Wundersdor­f bei Schiltberg freut sich auf der Benefiz Aktion, die die Familie Schmidberg­er aus Pöttmes zugunsten ihres mit Down Syndrom geborenen Sohnes Mitte Juli ausrichtet: (von links) Mario Eichler mit Marline, Marius und Mutter...
Foto: Vicky Jeanty Familie Eichler aus Wundersdor­f bei Schiltberg freut sich auf der Benefiz Aktion, die die Familie Schmidberg­er aus Pöttmes zugunsten ihres mit Down Syndrom geborenen Sohnes Mitte Juli ausrichtet: (von links) Mario Eichler mit Marline, Marius und Mutter...

Newspapers in German

Newspapers from Germany