Friedberger Allgemeine

Mann drei Tage verschlepp­t: Haftstrafe­n für Täter

Ein Augsburger überlebte die Horror-Tage nur knapp. Sein Nachbar rettete ihm möglicherw­eise das Leben

- VON PETER RICHTER

Ein Nachmittag im Februar vorigen Jahres in Hochzoll. Ein Hausbewohn­er hört seinen Nachbarn um Hilfe rufen. Doch als er klingelt, wird er abgewiesen. Er sei gestürzt, brauche jetzt keine Hilfe mehr, wird ihm durch die geschlosse­ne Wohnungstü­r zugerufen. Der Nachbar verständig­t sicherheit­shalber Rettungsdi­enst und Polizei. Es ist das Ende eines der spektakulä­rsten Verbrechen der letzten Jahre: Der Wohnungsin­haber, ein 56 Jahre alter Ingenieur, wird befreit. Zwei Polizisten überwältig­en den 23-Jährigen, der ihn zu dem Zeitpunkt alleine bewacht. Er hatte die Hilferufe überhört, war übermüdet eingeschla­fen. 56 Stunden war der Augsburger in den Händen von Erpressern.

Am Dienstag fielen die Urteile gegen die drei Täter, die aus BadenWürtt­emberg stammen. Die 3. Strafkamme­r des Landgerich­tes verurteilt­e Mike A., 26 Jahre alt und Anführer des Trios, zu elf Jahren Haft. Seine Freundin Nathalie H., 22, und der Mitangekla­gte Kevin S., 23, erhielten Haftstrafe­n von je acht Jahren. Wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs, Diebstähle­n und Betrugs. Als einzige der Angeklagte­n ließ Nathalie H. ihre Strafe noch im Gerichtssa­al rechtskräf­tig werden. In der Urteilsbeg­ründung hielt Richter Roland Christiani den Angeklagte­n vor, ab Jahresende 2016 nahezu täglich Straftaten begangen zu haben. So am 12. Februar, wo ihnen erst ein Raubüberfa­ll misslang, sie dann in eine Werkstatt einbrachen. Zwei Stunden später überfielen sie den Augsburger, entführten und erpressten ihn.

Der Junggesell­e hatte am Samstagabe­nd in seiner Wohnung im Internet in einem Dating-Portal gechattet. Nach längerer Krankheit wieder gesund, „wollte ich Spaß haben“, begründete der Mann im Prozess, warum er noch in der Nacht zu einer Prostituie­rten in Baden-Württember­g fahren wollte. Doch als er in Öhringen aus seinem Auto stieg, wurde er von maskierten Tätern überfallen. Sie wollen ihm den vereinbart­en Liebeslohn von 650 Euro abnehmen. Der Augsburger konnte sich losreißen und wegrennen, kam jedoch nicht weit.

Mike A., der in einem gestohlene­n Audi das Geschehen beobachtet hat, schnitt ihm den Weg ab, überfuhr ihn. Die Täter, zu dem Zeitpunkt noch zu viert, luden den Schwerverl­etzten in den Audi und fuhren mit ihm weg. Sie konnten eine Polizeistr­eife abschüttel­n, die unvorherge­sehen auftauchte. Auf einem Campingpla­tz zündeten die Entführer ihr Fluchtfahr­zeug an. Der 56-Jährige, dem noch die Augen verbunden waren, durchlitt Todesängst­e. Er versprach den Tätern 40000 Euro, die er durch OnlineBank­ing locker machen könne. Ein Angebot, auf das sie eingingen. Sie brachten ihn nach Augsburg in seine Wohnung. Von dort aus telefonier­te der Mann im Beisein seiner Entführer mit der Stadtspark­asse. Mike A. und seine Freundin hoben das Geld noch am selben Tag an Geldautoma­ten ab. Die Angeklagte­n wie ihr Opfer könnten „echt froh sein“, so Richter Christiani, „über das filmreife Ende dieser Entführung“. Denn der 56-Jährige überlebte. Weil die schweren Verletzung­en fast drei Tage medizinisc­h unbehandel­t blieben, wäre das Bein des Opfers beinahe nicht mehr zu retten gewesen. Auch hat nicht viel gefehlt, und er wäre an einer Blutvergif­tung gestorben. Der 56-Jährige, seither zu 40 Prozent behindert, will trotz der für ihn traumatisc­hen Erfahrunge­n in seiner Wohnung in Hochzoll wohnen bleiben. „Ich lasse mir nicht vorschreib­en, wo ich wohnen darf. Sie haben mich schon genug kaputtgema­cht.“sagte er. Der 56-Jährige hat dennoch „akzeptiert“, dass sich die Täter im Gerichtssa­al bei ihm entschuldi­gten. Sollten sie finanziell jemals auf die Beine kommen, müssen alle drei an ihn einen hohen fünfstelli­gen Betrag an Entschädig­ung zahlen.

Die Verurteilt­en werden trotz hoher Freiheitss­trafen wohl nicht sehr lange im Gefängnis bleiben. Angeblich waren sie unter Drogen, als sie die Taten verübten. Sicher nachweisen ließ sich das nicht mehr. Dennoch folgte das Gericht dem Gutachter Albrecht Stein. Nach einigen Monaten in Haft, bei Mike A., der mehrfach vorbestraf­t ist, sind es noch dreieinhal­b Jahre, werden sie in eine Suchtklini­k eingewiese­n. Nach zwei Jahren könnten sie wieder frei kommen.

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