Mann drei Tage verschleppt: Haftstrafen für Täter
Ein Augsburger überlebte die Horror-Tage nur knapp. Sein Nachbar rettete ihm möglicherweise das Leben
Ein Nachmittag im Februar vorigen Jahres in Hochzoll. Ein Hausbewohner hört seinen Nachbarn um Hilfe rufen. Doch als er klingelt, wird er abgewiesen. Er sei gestürzt, brauche jetzt keine Hilfe mehr, wird ihm durch die geschlossene Wohnungstür zugerufen. Der Nachbar verständigt sicherheitshalber Rettungsdienst und Polizei. Es ist das Ende eines der spektakulärsten Verbrechen der letzten Jahre: Der Wohnungsinhaber, ein 56 Jahre alter Ingenieur, wird befreit. Zwei Polizisten überwältigen den 23-Jährigen, der ihn zu dem Zeitpunkt alleine bewacht. Er hatte die Hilferufe überhört, war übermüdet eingeschlafen. 56 Stunden war der Augsburger in den Händen von Erpressern.
Am Dienstag fielen die Urteile gegen die drei Täter, die aus BadenWürttemberg stammen. Die 3. Strafkammer des Landgerichtes verurteilte Mike A., 26 Jahre alt und Anführer des Trios, zu elf Jahren Haft. Seine Freundin Nathalie H., 22, und der Mitangeklagte Kevin S., 23, erhielten Haftstrafen von je acht Jahren. Wegen erpresserischen Menschenraubs, Diebstählen und Betrugs. Als einzige der Angeklagten ließ Nathalie H. ihre Strafe noch im Gerichtssaal rechtskräftig werden. In der Urteilsbegründung hielt Richter Roland Christiani den Angeklagten vor, ab Jahresende 2016 nahezu täglich Straftaten begangen zu haben. So am 12. Februar, wo ihnen erst ein Raubüberfall misslang, sie dann in eine Werkstatt einbrachen. Zwei Stunden später überfielen sie den Augsburger, entführten und erpressten ihn.
Der Junggeselle hatte am Samstagabend in seiner Wohnung im Internet in einem Dating-Portal gechattet. Nach längerer Krankheit wieder gesund, „wollte ich Spaß haben“, begründete der Mann im Prozess, warum er noch in der Nacht zu einer Prostituierten in Baden-Württemberg fahren wollte. Doch als er in Öhringen aus seinem Auto stieg, wurde er von maskierten Tätern überfallen. Sie wollen ihm den vereinbarten Liebeslohn von 650 Euro abnehmen. Der Augsburger konnte sich losreißen und wegrennen, kam jedoch nicht weit.
Mike A., der in einem gestohlenen Audi das Geschehen beobachtet hat, schnitt ihm den Weg ab, überfuhr ihn. Die Täter, zu dem Zeitpunkt noch zu viert, luden den Schwerverletzten in den Audi und fuhren mit ihm weg. Sie konnten eine Polizeistreife abschütteln, die unvorhergesehen auftauchte. Auf einem Campingplatz zündeten die Entführer ihr Fluchtfahrzeug an. Der 56-Jährige, dem noch die Augen verbunden waren, durchlitt Todesängste. Er versprach den Tätern 40000 Euro, die er durch OnlineBanking locker machen könne. Ein Angebot, auf das sie eingingen. Sie brachten ihn nach Augsburg in seine Wohnung. Von dort aus telefonierte der Mann im Beisein seiner Entführer mit der Stadtsparkasse. Mike A. und seine Freundin hoben das Geld noch am selben Tag an Geldautomaten ab. Die Angeklagten wie ihr Opfer könnten „echt froh sein“, so Richter Christiani, „über das filmreife Ende dieser Entführung“. Denn der 56-Jährige überlebte. Weil die schweren Verletzungen fast drei Tage medizinisch unbehandelt blieben, wäre das Bein des Opfers beinahe nicht mehr zu retten gewesen. Auch hat nicht viel gefehlt, und er wäre an einer Blutvergiftung gestorben. Der 56-Jährige, seither zu 40 Prozent behindert, will trotz der für ihn traumatischen Erfahrungen in seiner Wohnung in Hochzoll wohnen bleiben. „Ich lasse mir nicht vorschreiben, wo ich wohnen darf. Sie haben mich schon genug kaputtgemacht.“sagte er. Der 56-Jährige hat dennoch „akzeptiert“, dass sich die Täter im Gerichtssaal bei ihm entschuldigten. Sollten sie finanziell jemals auf die Beine kommen, müssen alle drei an ihn einen hohen fünfstelligen Betrag an Entschädigung zahlen.
Die Verurteilten werden trotz hoher Freiheitsstrafen wohl nicht sehr lange im Gefängnis bleiben. Angeblich waren sie unter Drogen, als sie die Taten verübten. Sicher nachweisen ließ sich das nicht mehr. Dennoch folgte das Gericht dem Gutachter Albrecht Stein. Nach einigen Monaten in Haft, bei Mike A., der mehrfach vorbestraft ist, sind es noch dreieinhalb Jahre, werden sie in eine Suchtklinik eingewiesen. Nach zwei Jahren könnten sie wieder frei kommen.