Friedberger Allgemeine

Wo vor allem Gemeinscha­ft zählt

Nach seinem Abschluss zog es K!ar.Texter Florian Beck nach Südamerika. Für acht Monate bereiste er den Kontinent, lernte die Länder und seine Einwohner kennen. Was ihn besonders beeindruck­t hat

- VON FLORIAN BECK

Aichach/Südamerika Statt „Was war noch mal eine Aposiopese?“stellten sich mir zur Abizeit Fragen wie: „Wohin nur zwischen Feuerland und Karibik?“

Ich musste aus meinem eintönigen Aichacher Alltag fliehen. Keine Lust mehr auf Schule, Studium, Arbeit, Eltern. Meine Vorstellun­g des Lebens in Südamerika sah damals etwa so aus: Durchtanzt­e Nächte, traumhafte Landschaft­en, offene Menschen. Kein Wunder, dass ich mich ohne groß zu überlegen für eine Reise auf den Kontinent entschied. Kurz nach dem Abi flog ein naiver Junge allein nach Buenos Aires, die Hauptstadt Argentinie­ns. Überwältig­t vom riesigen Stadtunget­üm und dem zunächst kaum entwirrbar­en Spanisch der Einwohner ging es nach wenigen Tagen ins Landesinne­re. In Córdoba, der Stadt Argentinie­ns, machte ich drei Monate lang das im Medizinstu­dium vorgeschri­ebene Pflegeprak­tikum. Im Studentenw­ohnheim lebte ich mit Mexikanern – die eine Vorliebe für Gummibärch­en mit Chili hatten –, Argentinie­rn, Kolumbiane­rn und Deutschen zusammen.

Jede Woche gab es Grillparty­s auf der Dachterras­se und Mate-Treffen in den vielen Parks. Mate ist Argentinie­ns Nationalge­tränk, wird aus ausgehöhlt­en Kürbissen und immer und überall getrunken. Beim Salsatanze­n entstanden wunderbare neue Freundscha­ften. Im Krankenhau­s durfte ich bei einer Beinamputa­tion assistiere­n, meistens war ich jedoch Mädchen für alles.

Córdoba ist, wie Argentinie­n eben so ist: bezaubernd und hässlich, reich und arm, sicher und an der nächsten Straßeneck­e wieder rechtsfrei­er Raum. Einer meiner Freunde geriet am helllichte­n Tag in eine Schießerei. Dazu sind die Menschen sehr politisch. Fast täglich waren ganze Straßenzüg­e wegen Demonstrat­ionen gesperrt. Die Stadt ist ein riesiges Wirrwarr aus Gegensätze­n und einer Bevölkerun­g, die sich immer irgendwie durchwurst­elt. Mit Schätzen, die man nur entdecken kann, wenn man dort gewohnt hat.

Nach dieser ereignisre­ichen Zeit fuhr ich mit ein paar Freunden nach Chile. Noch nie war ich so überwältig­t von Natur: 6000 Meter hohe Bergketten, blühende Wüsten, ewige einsame Strände mit meterhohen Pazifikwel­len und Pinguinen. Dann ging es weiter nach Bolivien mit seinen menschenle­eren Salzwüsten und Vulkankett­en. Zeitweise reiste ich allein. Eine Unterkunft suchte ich meistens über die Plattform Couchsurfi­ng im Internet. Dort bieten Menschen fremden Gästen koszweitgr­ößten tenlos ihre Couch an, um dort zu übernachte­n. Die Tage, die ich doch in einem Hostel unterkam, waren dagegen sehr einsam. Weil die Kontakte mit den Zimmernach­barn nur sehr kurzfristi­g waren. Und die meisten Bekanntsch­aften einfach nur das blieben.

Mit meinen Couchsurfi­ng-Gastgebern habe ich hingegen heute noch Kontakt. Dank ihnen habe ich das richtige Leben Südamerika­s kennengele­rnt: das einer Bäckerin in Sucre (Bolivien), einer alleinerzi­ehenden Mutter mit drei Jobs in Buenos Aires (Argentinie­n) und eines Angestellt­en mit Deutschlan­d-Tattoo und Papagei in Rosario (Argentinie­n). Beeindruck­end waren auch die beiden Monate, die ich gemeinsam mit einem Freund aus Argentinie­n reiste. Wir arbeiteten und feierten Weihnachte­n und Silvester auf dem Bauernhof seiner Eltern im tropischen Nordosten. Unter Palmen und mit sehr viel argentinis­chem Rindfleisc­h. Den Fasching verbrachte­n wir bei Freunden im kleinen Städtchen Pedralva in Brasilien. Von allen war das der für mich beeindruck­endste Ort. So warmherzig wurde ich noch nirgendwo aufgenomme­n, eine derart bilderbuch­artige Jugendkult­ur und so tiefe Freundscha­ften hatte ich noch nie erlebt. Der „Carnaval do Rock“war komplett anders als der Griesbecke­rzeller Fasching. Alkohol spielte kaum eine Rolle, trotzdem waren alle dabei, glücklich, tanzten. Trotz relativer Armut – es reicht zum Leben, für gute Beziehunge­n, Wissbegier­de, Nächstenli­ebe und Offenheit.

Das alles steckte in acht Monaten Südamerika. Ich durfte so viel lernen, leben und sehen, dass es mich eines Tages wieder dorthin zurückzieh­en wird. Ich empfehle jedem, auch den Schritt ins Unbekannte zu wagen.

 ?? Fotos: Florian Beck ?? Eine Straßensze­ne in Córdoba, Argentinie­n. Ein bisschen anders sieht es allerdings in der Realität aus. Für das Bild wurde mit ei nem sogenannte­n Miniaturef­fekt gearbeitet.
Fotos: Florian Beck Eine Straßensze­ne in Córdoba, Argentinie­n. Ein bisschen anders sieht es allerdings in der Realität aus. Für das Bild wurde mit ei nem sogenannte­n Miniaturef­fekt gearbeitet.
 ??  ?? Im Vordergrun­d eine Tasse Mate, ein beliebtes Teegetränk in Bolivien. Im Hinter grund der Berg Cerro Rico, in dem Silber abgebaut wird.
Im Vordergrun­d eine Tasse Mate, ein beliebtes Teegetränk in Bolivien. Im Hinter grund der Berg Cerro Rico, in dem Silber abgebaut wird.
 ??  ?? K!ar.Text Reporter Florian Beck auf 4500 Metern Höhe in der trockenste­n Wüste der Welt, der Atacama in Chile.
K!ar.Text Reporter Florian Beck auf 4500 Metern Höhe in der trockenste­n Wüste der Welt, der Atacama in Chile.

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