Ein Lehrling, der Schulleiter wurde
Gerhard Kestner verlässt nach 13 Jahren als Leiter die Beruflichen Schulen Wittelsbacher Land. Ein halbes Jahrhundert lang stand er im Beruf – und startete dabei selbst mit einer Lehre als Werkzeugmacher
Aichach Friedberg Im Sekretariat steht ein Teller mit Cookies. „American Style“, sagt Gerhard Kestner. Gebacken hat er sie selbst, der Schulleiter der Beruflichen Schulen Wittelsbacher Land. Das ist er nicht mehr lang. Zum 1. August geht Kestner in den Ruhestand – nach 13 Jahren als Schulleiter im Landkreis und nach 50 Jahren im Berufsleben. Als seine Nachfolgerin vorgesehen ist Cornelia Nieberle-Schreiegg, bisherige stellvertretende Schulleiterin an der Berufsschule Kaufbeuren. Bang ist Kestner nicht vor diesem Schritt. Denn für ihn gab’s immer schon ein Leben außerhalb der Schule. Backen ist nur eines seiner vielen Hobbys, für die er sich künftig mehr Zeit nehmen möchte. Da sind auch das Reisen und das Tanzen. Da sind die drei Enkelkinder. Als Schöffe hat er sich beworben. Und so ein bisschen unterrichten, das darf auch weiterhin sein: An der Bayerischen Verwaltungsschule gibt er künftig hin und wieder Kurse.
Der Oberstudiendirektor für Metalltechnik und Mathematik ist ein vielseitig interessierter Mensch. Das wissen auch seine Kollegen an den Beruflichen Schulen. Als er 60 wurde, haben die anderen Lehrer ihm, dem USA-Fan, einen eigenen Hollywood-Stern gestaltet. Das Bild hängt an der Wand in seinem Büro in Aichach, direkt hinter dem Schreibtisch. Schräg gegenüber der Amerikafahne. Das Geschenk bedeutet ihm viel.
Und wenn doch Wehmut dabei ist bei diesem Abschied, der ansteht, dann deshalb: „Wegen der Menschen, die ich verliere.“Die Zusammenarbeit im Kollegium und in der Schulverwaltung sei so gut gewesen, dass sie ihn auch übers jahrelange Pendeln hinweggetröstet habe. Kestner wohnt mit seiner Frau in Lauingen im Landkreis Dillingen, zwei Stunden täglich verbringt er im Auto. „Trotzdem hatte ich nie den Gedanken, zu wechseln.“Auch von den Schülern habe er viel positive Rückmeldung erfahren. „Ich kann ganz beruhigt zurückblicken auf meine Zeit in der Schule“, sagt er. Nun loszulassen, fällt ihm deshalb auch nicht schwer.
Gerhard Kestner ist ein Mensch, der weiß, was er will. Der seine Ziele verfolgt. Das war schon in jungen Jahren so. Erst war ihm völlig klar, dass eine weiterführende Schule für ihn nicht infrage komme. Entgegen dem Wunsch seiner Eltern, die ihn lieber aufs Gymnasium geschickt hätten, schloss er die damals noch achtstufige Volksschule ab und machte ab 1968 eine Lehre als Werkzeugmacher. In seiner Zeit als Berufsschüler hatte er dann aber einen Lehrer, der ihn so beeindruckte, dass er zum Vorbild wurde. Kestner wollte nun auch Lehrer werden, um „junge Menschen auf den Weg zu bringen“. Für ihn das Beste am Beruf, bis zuletzt.
Also besuchte er damals die Berufsaufbauschule und anschließend die neue Berufsoberschule in Augsburg. Aus dem Lehrling wurde der Abiturient und schließlich der Akademiker: Kestner studierte Metalltechnik und Mathematik an der Technischen Universität München. „Da waren meine Eltern überrascht“, sagt er und schmunzelt.
Nach seiner Referendarszeit kam Gerhard Kestner an die Berufsschule in Donauwörth. 18 Jahre war er insgesamt dort – hat in der Zeit aber auch drei Jahre in der Justizvollzugsanstalt Niederschönenfeld unterrichtet, drei Jahre an der Fachoberschule Donauwörth. Ein Jahr lang war er an die Regierung von Schwaben abgeordnet und weitere drei Jahre ans Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München.
Ein weiteres Jahr lang war er zudem Stellvertreter des Schulleiters an der Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Neugablonz. Es schlossen sich sechs Jahre als stellvertretender Schulleiter in Lauingen an, bis er 2005 als Schulleiter an die Beruflichen Schulen ins Wittelsbacher Land wechselte.
Viel zu tun gab es dort für ihn in den vergangenen Jahren. Eine Herausforderung war die Umstrukturierung der beiden Standorte Aichach und Friedberg in den Jahren 2008 und 2009. 2011 kam mit der Wirtschaftsschule in Pöttmes ein weiterer Standort dazu.
Eine große Aufgabe war aber auch die Integration der Flüchtlinge ab 2014: Bis zu neun spezielle Klassen gab es zeitweilig mit 180 Schülern aus anderen Ländern – im kommenden Schuljahr sind es nur noch drei. Immer noch ein Thema sei zudem die Digitalisierung im Unterricht, so Kestner. Hier sei die Berufsschule aber schon recht weit. Überhaupt sieht er die Schule gut für die Zukunft aufgestellt. Der Stellenwert beruflicher Schulen sei in den vergangenen Jahren gewachsen, die Zeiten des „Akademisierungswahns“vorbei. Deutschland habe im internationalen Vergleich die geringste Jugendarbeitslosigkeit – und das auch dank eines dualen Ausbildungssystems, das weltweit anerkannt sei und das Staaten wie China nun sogar kopieren wollen. „Ich bin also zuversichtlich“, sagt der 64-Jährige, wenn man ihn nach der Entwicklung im beruflichen Schulwesen fragt. Er ist ja auch selbst ein Kind dieses Schulwesens. Von den vielen Möglichkeiten und Chancen, die es bietet, hat er schon früh profitiert. Als Auszubildender, der später Schulleiter wurde.