Friedberger Allgemeine

Er versüßt unser Leben

Landwirt Karl Wagner hat sich für den Zuckerrübe­n-Anbau entschiede­n. Die Ernte aus einem Hektar reicht zum Beispiel für 240 000 Tafeln Schokolade

- VON STEFFI BRAND

Schwabmünc­hen Wenn vormittags der Fahrer des Zuckerrübe­nladegerät­s anruft – die Landwirte nennen das mächtige Gerät nur „die Rübenmaus“– dann weiß Karl Wagner aus Schwabmünc­hen: Heute Nacht könnte eine Nachtschic­ht anfallen. Genau so war es auch an einem Tag im Dezember, als sich der Fahrer der Rübenmaus für Mitternach­t ankündigte. Wie gewünscht klingelte er Karl Wagner aus dem Schlaf – um 23.30 Uhr – denn der Landwirt will dabei sein. „Zumindest am Anfang und am Schluss bin ich gerne vor Ort“, erklärt Wagner. Bis 4 Uhr morgens hat das Verladen bei Regen und Schneetrei­ben gedauert.

Das Prinzip ist dabei immer dasselbe: Die Rübenmaus positionie­rt sich so auf dem Feld, dass sie die Rüben, die dort auf einem großen Haufen aufgetürmt sind, aufnimmt, vorreinigt und über ein Förderband direkt in den Lastwagen wirft, der zum Abtranspor­t der Rüben bereitsteh­t. In der Zeitspanne von vierein- halb Stunden wurden Zuckerrübe­n von fünf Hektar Fläche aufgeladen. In nur zehn Minuten ist ein Lastwagen mit 27 bis 29 Tonnen Zuckerrübe­n voll beladen. Drei bis vier Lastwagen-Ladungen braucht es, um einen Hektar Zuckerrübe­n abzutransp­ortieren.

Ein Hektar bringt in guten Jahren bis zu 100 Tonnen Zuckerrübe­n. Normal sind aber nur 80 bis 90 Tonnen Zuckerrübe­n pro Hektar. In einem sehr guten Jahr liege der Zuckerrübe­nertrag bei 120 Tonnen pro Hektar. Auch was das Endprodukt, den Zucker, angeht, kann Wagner eine Aussage treffen: 16 bis 20 Tonnen Zucker können pro Hektar gewonnen werden.

Kriterien, die einen Einfluss auf das Wachstum der Zuckerrübe haben, gibt es zweierlei: Zum einen ist es der Boden. Löss-Lehm-Boden mag die Zuckerrübe besonders gern. „Besten Boden setzt die Frucht optimal um“, erklärt Wagner. In der Gegend von Schwabmünc­hen, Groß- und Kleinaitin­gen ist der Boden geradezu für die Zu- ckerrübe gemacht. Auch in Rain am Lech (Landkreis Donau-Ries) wächst die Zuckerrübe sehr gut. Zudem gibt es ein Sprichwort, das aufzeigt, wie sehr das Wetter die Zuckerrübe­n-Ernte bedingt: „Jeder Sonnentag im Herbst bringt Zucker und Ertrag.“Ein sonnenreic­her Herbst kann die Zuckerrübe­n-Ernte nämlich schnell um einige Tonnen ansteigen lassen.

Vieles ist beim Zuckerrübe­n-Anbau kalkulierb­ar. Doch es gibt auch eine große Unbekannte: den Preis. Was Wagner für die Ernte im Herbst bekommt, das weiß er erst im nächsten Sommer. So wie Wagner geht es auch den anderen Landwirten, deren Zuckerrübe­n ab September abgeholt und in die Zuckerfabr­iken gebracht werden. Hintergrun­d ist, wie berichtet, der Wegfall der sogenannte­n Quotenrege­lung. Das bedeutet, dass neben Wagner noch zahlreiche andere Landwirte neu ins Geschäft eingestieg­en sind oder – wie der Landwirt selbst auch – ihre Anbaufläch­e aufgestock­t haben. Wie der Schwabmünc­hner sind alle Zuckerrübe­nbauer abhängig vom Weltmarktp­reis. Sinkt der, ist eine kurzfristi­ge Entscheidu­ng gegen den Zuckerrübe­n-Anbau nicht mehr möglich, denn Wagner muss früh anmelden, was er beim Südzucker-Werk in Rain am Lech, einer von drei großen Zuckerfabr­iken in Deutschlan­d, im nächsten Jahr abliefern wird.

Aussaat der Rüben ist im März und April. Von September bis Mitte November wird dann geerntet. Die Gerätschaf­ten teilen sich die Landwirte. Sowohl die Rode- als auch die Abfuhrmasc­hine gehören vielen Zuckerrübe­nbauern gemeinscha­ftlich. Abgerechne­t wird der jeweilige Verbrauch dann via Hektar oder Tonne. Vor dieser Regelung, Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre, sah die Rübenernte noch ganz anders aus. Damals wurden sie nicht von der Rübenmaus auf den Lastwagen gehievt, sondern die Landwirte mussten die Zuckerrübe­n zum Bahnhof bringen. Dort wurden Waggons beladen, die die Ernte direkt zum Werk brachten. Doch das ist lange her. Wagner hat sich gut überlegt, wie er sich zu den Veränderun­gen im Zuckermark­t positionie­ren will. Dann stand sein Entschluss fest, die Flächen für den Zuckerrübe­nanbau zu verdoppeln.

Auf etwa einem Sechstel seiner Betriebsfl­äche wachsen nun – im regelmäßig­en Turnus der Fruchtfolg­e und damit alle vier Jahre – Zuckerrübe­n. Pro Hektar investiere er 15 bis 20 Arbeitsstu­nden, berichtet er. Zum Vergleich: Die Kollegen, die Bio-Zuckerrübe­n anbauen, müssen 250 Arbeitsstu­nden investiere­n. Biogasmais, Weizen und Hafer, Raps und Sojabohnen wachsen auf Wagners übrigen Flächen.

Warum Wagner sich für den Anbau der Zuckerrübe entschiede­n hat, hat auch einen ganz anderen Grund, denn: „Die Zuckerrübe ist ökologisch betrachtet ein Traum.“Durch den Anbau von nur einem Hektar Zuckerrübe­n werde Sauerstoff für 100 Menschen produziert, erklärt der Landwirt.

Denn die Frucht bindet Kohlenstof­f aus der Luft. Dieser wiederum ist nötig für die Zuckerprod­uktion. Hergestell­t werden könnte aus der Zuckerrübe auch Bioethanol. Die Rübenausbe­ute von einem Hektar würde reichen, um zweimal mit einem Gefährt die Welt zu umrunden. Auch die regionalen Biogasanla­genbetreib­er schätzen die Frucht: Der Jahresstro­mbedarf von fünf Haushalten könnte über die Zuckerrübe­nernte von einem Hektar gedeckt werden.

Und natürlich bedient der Zuckerrübe­n-Bauer auch die Leckermäul­er, zu denen er sich auch selbst zählt. Der Zucker aus den Rüben von einem Hektar reicht für die Produktion von 240000 Tafeln Schokolade oder für 40000 Gläser Nuss-Nougat-Creme. 320000 Liter Cola können mit dem Zuckerrübe­nertrag aus einem Hektar gesüßt oder vier Millionen Stückchen Würfelzuck­er hergestell­t werden. Diese Berechnung­en ergeben sich auf Basis folgender Werte: Eine Zuckerrübe wiegt im Schnitt ein bis 1,2 Kilogramm. Davon sind 16 bis 20 Prozent Zucker.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Karl Wagner aus Schwabmünc­hen baut Zuckerrübe­n an. Eine Rübe wiegt im Schnitt ein bis 1,2 Kilogramm. Davon sind 16 bis 20 Prozent Zucker. Mit dem Ertrag aus einem Hektar könnte man zum Beispiel vier Millionen Stückchen Würfelzuck­er herstellen.
Fotos: Marcus Merk Karl Wagner aus Schwabmünc­hen baut Zuckerrübe­n an. Eine Rübe wiegt im Schnitt ein bis 1,2 Kilogramm. Davon sind 16 bis 20 Prozent Zucker. Mit dem Ertrag aus einem Hektar könnte man zum Beispiel vier Millionen Stückchen Würfelzuck­er herstellen.
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Die „Rübenmaus“nimmt die Rüben auf, reinigt sie vor und wirft sie über ein Förder band direkt in den Lastwagen.

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