Er versüßt unser Leben
Landwirt Karl Wagner hat sich für den Zuckerrüben-Anbau entschieden. Die Ernte aus einem Hektar reicht zum Beispiel für 240 000 Tafeln Schokolade
Schwabmünchen Wenn vormittags der Fahrer des Zuckerrübenladegeräts anruft – die Landwirte nennen das mächtige Gerät nur „die Rübenmaus“– dann weiß Karl Wagner aus Schwabmünchen: Heute Nacht könnte eine Nachtschicht anfallen. Genau so war es auch an einem Tag im Dezember, als sich der Fahrer der Rübenmaus für Mitternacht ankündigte. Wie gewünscht klingelte er Karl Wagner aus dem Schlaf – um 23.30 Uhr – denn der Landwirt will dabei sein. „Zumindest am Anfang und am Schluss bin ich gerne vor Ort“, erklärt Wagner. Bis 4 Uhr morgens hat das Verladen bei Regen und Schneetreiben gedauert.
Das Prinzip ist dabei immer dasselbe: Die Rübenmaus positioniert sich so auf dem Feld, dass sie die Rüben, die dort auf einem großen Haufen aufgetürmt sind, aufnimmt, vorreinigt und über ein Förderband direkt in den Lastwagen wirft, der zum Abtransport der Rüben bereitsteht. In der Zeitspanne von vierein- halb Stunden wurden Zuckerrüben von fünf Hektar Fläche aufgeladen. In nur zehn Minuten ist ein Lastwagen mit 27 bis 29 Tonnen Zuckerrüben voll beladen. Drei bis vier Lastwagen-Ladungen braucht es, um einen Hektar Zuckerrüben abzutransportieren.
Ein Hektar bringt in guten Jahren bis zu 100 Tonnen Zuckerrüben. Normal sind aber nur 80 bis 90 Tonnen Zuckerrüben pro Hektar. In einem sehr guten Jahr liege der Zuckerrübenertrag bei 120 Tonnen pro Hektar. Auch was das Endprodukt, den Zucker, angeht, kann Wagner eine Aussage treffen: 16 bis 20 Tonnen Zucker können pro Hektar gewonnen werden.
Kriterien, die einen Einfluss auf das Wachstum der Zuckerrübe haben, gibt es zweierlei: Zum einen ist es der Boden. Löss-Lehm-Boden mag die Zuckerrübe besonders gern. „Besten Boden setzt die Frucht optimal um“, erklärt Wagner. In der Gegend von Schwabmünchen, Groß- und Kleinaitingen ist der Boden geradezu für die Zu- ckerrübe gemacht. Auch in Rain am Lech (Landkreis Donau-Ries) wächst die Zuckerrübe sehr gut. Zudem gibt es ein Sprichwort, das aufzeigt, wie sehr das Wetter die Zuckerrüben-Ernte bedingt: „Jeder Sonnentag im Herbst bringt Zucker und Ertrag.“Ein sonnenreicher Herbst kann die Zuckerrüben-Ernte nämlich schnell um einige Tonnen ansteigen lassen.
Vieles ist beim Zuckerrüben-Anbau kalkulierbar. Doch es gibt auch eine große Unbekannte: den Preis. Was Wagner für die Ernte im Herbst bekommt, das weiß er erst im nächsten Sommer. So wie Wagner geht es auch den anderen Landwirten, deren Zuckerrüben ab September abgeholt und in die Zuckerfabriken gebracht werden. Hintergrund ist, wie berichtet, der Wegfall der sogenannten Quotenregelung. Das bedeutet, dass neben Wagner noch zahlreiche andere Landwirte neu ins Geschäft eingestiegen sind oder – wie der Landwirt selbst auch – ihre Anbaufläche aufgestockt haben. Wie der Schwabmünchner sind alle Zuckerrübenbauer abhängig vom Weltmarktpreis. Sinkt der, ist eine kurzfristige Entscheidung gegen den Zuckerrüben-Anbau nicht mehr möglich, denn Wagner muss früh anmelden, was er beim Südzucker-Werk in Rain am Lech, einer von drei großen Zuckerfabriken in Deutschland, im nächsten Jahr abliefern wird.
Aussaat der Rüben ist im März und April. Von September bis Mitte November wird dann geerntet. Die Gerätschaften teilen sich die Landwirte. Sowohl die Rode- als auch die Abfuhrmaschine gehören vielen Zuckerrübenbauern gemeinschaftlich. Abgerechnet wird der jeweilige Verbrauch dann via Hektar oder Tonne. Vor dieser Regelung, Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre, sah die Rübenernte noch ganz anders aus. Damals wurden sie nicht von der Rübenmaus auf den Lastwagen gehievt, sondern die Landwirte mussten die Zuckerrüben zum Bahnhof bringen. Dort wurden Waggons beladen, die die Ernte direkt zum Werk brachten. Doch das ist lange her. Wagner hat sich gut überlegt, wie er sich zu den Veränderungen im Zuckermarkt positionieren will. Dann stand sein Entschluss fest, die Flächen für den Zuckerrübenanbau zu verdoppeln.
Auf etwa einem Sechstel seiner Betriebsfläche wachsen nun – im regelmäßigen Turnus der Fruchtfolge und damit alle vier Jahre – Zuckerrüben. Pro Hektar investiere er 15 bis 20 Arbeitsstunden, berichtet er. Zum Vergleich: Die Kollegen, die Bio-Zuckerrüben anbauen, müssen 250 Arbeitsstunden investieren. Biogasmais, Weizen und Hafer, Raps und Sojabohnen wachsen auf Wagners übrigen Flächen.
Warum Wagner sich für den Anbau der Zuckerrübe entschieden hat, hat auch einen ganz anderen Grund, denn: „Die Zuckerrübe ist ökologisch betrachtet ein Traum.“Durch den Anbau von nur einem Hektar Zuckerrüben werde Sauerstoff für 100 Menschen produziert, erklärt der Landwirt.
Denn die Frucht bindet Kohlenstoff aus der Luft. Dieser wiederum ist nötig für die Zuckerproduktion. Hergestellt werden könnte aus der Zuckerrübe auch Bioethanol. Die Rübenausbeute von einem Hektar würde reichen, um zweimal mit einem Gefährt die Welt zu umrunden. Auch die regionalen Biogasanlagenbetreiber schätzen die Frucht: Der Jahresstrombedarf von fünf Haushalten könnte über die Zuckerrübenernte von einem Hektar gedeckt werden.
Und natürlich bedient der Zuckerrüben-Bauer auch die Leckermäuler, zu denen er sich auch selbst zählt. Der Zucker aus den Rüben von einem Hektar reicht für die Produktion von 240000 Tafeln Schokolade oder für 40000 Gläser Nuss-Nougat-Creme. 320000 Liter Cola können mit dem Zuckerrübenertrag aus einem Hektar gesüßt oder vier Millionen Stückchen Würfelzucker hergestellt werden. Diese Berechnungen ergeben sich auf Basis folgender Werte: Eine Zuckerrübe wiegt im Schnitt ein bis 1,2 Kilogramm. Davon sind 16 bis 20 Prozent Zucker.