Die Welt in Friedberg
Wirtschaft Zum 20. Jubiläum des Weltladens wirft ein Stadtrundgang einen kritischen Blick auf Konsum und Handel. Es geht um Kolonialwaren, Tabak und darum, woher der Name Edeka kommt
Friedberg Der Weltladen Friedberg feiert sein 20-jähriges Bestehen. Wie es sich für ein Fachgeschäft für fairen Handel gehört, wird dieses Jubiläum nicht einfach nur mit (natürlich fair gehandeltem) Sekt begossen. Sondern es gibt zuvor einen informativen Stadtrundgang durch Friedberg, der die Teilnehmer nachdenklich stimmt. Es wirft einen kritischen Blick auf Konsum und Handel.
Die Bildungsreferentin Eva Bahner führt an diesem Tag durch die Friedberger Altstadt, um aus konsumkritischer Perspektive ehemalige und aktuelle importierte Waren zu betrachten. Trotz Dauerregen machen sich 20 interessierte Teilnehmer mit auf den Weg, Friedbergs koloniale Vergangenheit ausfindig zu machen. Der Fokus der Führung liegt auf dem Thema „Geld und Finanzen“.
Die Tour beginnt natürlich vor dem Weltladen. Hier erklärt Eva Bahner, was überhaupt unter Kolonialwaren zu verstehen sei: Zur Ko- lonialzeit bezogen Länder wie Großbritannien oder auch Deutschland aus ihren überseeischen Gebieten Lebens- und Genussmittel. Dazu gehören Zucker, Kaffee, Südfrüchte, Gewürze und Tee.
Eva Bahner beschreibt Geld, Vermögen und Finanzen als eines der letzten gesellschaftlichen Tabuthemen in Deutschland. Darüber werde oft sogar mit dem eigenen Partner nicht gesprochen. Nichts über das Bankenwesen und die Börse zu wissen, sei gesellschaftlich völlig akzeptiert. Bahner findet das falsch. So stellt sie die Frage, was Derivate sind. Derivate? Keiner weiß so recht, was darunter zu verstehen ist. „Das sind sozusagen Wettscheine im Finanz- und Börsenbereich, die Finanzspekulationen möglich gemacht haben“, erklärt Eva Bahner. Sie seien eine der Hauptursachen für die Weltwirtschaftskrise 2007 gewesen. Außerdem spricht sie die hohen Staatsverschuldungen vieler Länder an. Der Zusammenhang zur Kolonialzeit und Kolonialwaren? „Früher konnten die Länder, die Kolonien hatten, zusätzliche Wirtschaftsleis- tung von dort beziehen und eigene Arbeitslose dort zum Arbeiten hinschicken“, erklärt die Bildungsreferentin. Das entlastete dann den Haushalt.
Doch auch noch heute sei der Alltag vom Kolonialhandel geprägt. Inzwischen steht die Gruppe gegenüber dem Altstadtcafé, welches früher ein Kolonialwarenhandel war. Weiter oben in der Ludwigstraße befindet sich auch ein Edeka-Supermarkt. Dessen Eigenname steht für „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“, kurz E. d. K. Selbst dieser Name, über den kein Friedberger groß nachdenkt, geht somit auf den Kolonialwarenhandel zurück.
Tabak war eine typische Kolonialware – die Nachfrage danach ist weiterhin ungebrochen. Eva Bahner sieht das kritisch. Denn der mit Abstand größte Tabakproduzent sei der kleine afrikanische Staat Malawi. Hier kommen laut Bahner vor allem Kinder bei der Ernte zum Einsatz – und das mit verheerenden Folgen. „Das Nikotin der frischen Tabakpflanze wirkt 50 Mal stärker auf der Kinderhaut als das Rauchen einer Zigarette. Die Kinder erleiden dadurch schwere Nervenschäden“, so Bahner.
Vor einem weiteren ehemaligen Kolonialwarenhandel, der Parfümerie Victoria in der Ludwigstraße, geht es nun wieder um das Thema Geld. In der Gruppe werden Fragen wie „Gibt es gutes und schlechtes Geld?“oder „Wissen Sie, was ihre Bank mit ihrem Geld macht?“diskutiert. Eva Bahner beschreibt, dass je nach Schätzung zehn bis 65 Mal mehr Geld im Finanzwesen stecke, als in der Realwirtschaft. Und dass Spekulationen auf Währungen instabile oder kleine Länder vernichten können. Das wäre dann wohl schlechtes Geld.
In Sachen Vermögen und Länder geht es dann unter den Pavillon im Stadtgraben, um dem Regen zu entkommen. Hier packt Bahner eine Weltkarte aus. Die Aufgabe an die Teilnehmer: Sie sollen schätzen, wie viele Menschen sich auf den Kontinenten der Erde befinden und wie sich das Gesamtvermögen prozentual auf die Kontinente verteilt. Das Fazit der Gruppe ist, dass Europa und Nordamerika jeweils ein Drittel des Weltvermögens haben, und das bei einer vergleichsweise geringen Bevölkerung. Das stimmt nachdenklich.
Nach weiteren lehrreichen Stationen heißt es dann Anstoßen. Bei Sekt, Orangensaft und Häppchen tauschen sich Teilnehmer und Ehrenamtliche des Weltladens über die Führung aus oder begutachten das Sortiment an Lebensmitteln, Kunsthandwerk und Mode des Geburtstagskindes. Eva Uhlemayr, Mitarbeiterin der ersten Stunde, ist stolz, dass der Laden sich in 20 Jahren erfolgreich etablieren konnte und diese Bildungsarbeiten leisten kann.