Friedberger Allgemeine

Alle wollen zum Bierbichle­r

Literatur im Biergarten Der Roman „Mittelreic­h“ist wortgewalt­ig und voll bizarrer Szenen. Der Schauspiel­er und Schriftste­ller erntet großen Applaus, nur lachen kann am Ende niemand mehr

- VON RICHARD MAYR

Von zu wenig Publikumsz­uspruch kann keine Rede sein. Schon seit Wochen ist der Biergarten der „Drei Königinnen“in Augsburg ausverkauf­t. Es ist wieder August, das heißt, dass dort im dreißigste­n Jahr die „Literatur im Biergarten“stattfinde­t. Ein Selbstläuf­er mittlerwei­le – vor allem, wenn der große Josef Bierbichle­r aus seinem Erfolgsrom­an „Mittelreic­h“liest.

Nur kurz erinnert der Organisato­r und Buchhändle­r Kurt Idrizovic noch einmal daran, wie das anfing im Sommer 1988. Der Wirt habe damals geunkt: „Das wird nichts, da kommt niemand.“Auch bei der zweiten Veranstalt­ung – einer Lesung mit Carl Amery, war sich der Wirt sicher, der Biergarten bleibe leer, erzählt Idrizovic. – Was aber nicht stimmte: In der Pause gingen nämlich die Maßkrüge aus.

Einschenke­n darf sich der Star des ersten Abends im Sommer 2018 sein Weißbier selbst, schließlic­h gehört ihm das Gasthaus zum Fischmeist­er in Ambach am Starnberge­r See. Währenddes­sen erklärt Bierbichle­r, wovon „Mittelreic­h“handelt – einer Bauern- und Gastwirtsf­amilie am Starnberge­r See, die er über ein Jahrhunder­t weg drei Generation­en lang verfolgt. Und schon Bierbichle­r die ersten Seiten auf, er liest lieber mit seinem oberbayeri­schen Färbung, als dass er groß vom Buch erzählt, das Weißbier ist auch längst im Glas.

Um sich selbst macht der 70-Jährige kein großes Aufhebens. Man kennt ihn aus Filmen wie „Winterschl­äfer“, „Hierankl“, „Landauer – Der Präsident“und zuletzt „Zwei Herren im Anzug“, seiner Verfilmung von Motiven des Romans „Mittelreic­h“. Diese Film hat Bierbichle­r übrigens vor der Lesung im Thalia präsentier­t. Bierbichle­r hat aber nicht nur als Schauspiel­er geglänzt (im Film und auf der Bühne), sondern er hat 2011 auch diesen unglaublic­hen Roman vorgelegt.

Im Biergarten wird die Zeit zurückgedr­eht, kurz vor das Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Seewirt werden die Ausgebombt­en einquartie­rt. Es gibt diejenigen, die Geld haben und etwas für die Unterkunft bezahlen können, und die anderen, die nichts mehr haben – ach ja, und jetzt schon auch bei aller Ungeschick­lichkeit als Gegenleist­ung in der Landwirtsc­haft helfen können, sonst kommen sich ja die, die für die Unterkunft bezahlen, blöd vor.

Bierbichle­r liest das trocken vor. Immer liegt ein bisschen Grant in der Stimme. Nicht der Schauspiel­er, sondern der Schriftste­ller sitzt auf dem Mini-Podium. Der wortgewalt­ige Text soll für sich sprechen. Lakonisch und kurz sind die Sätze, kurios die Szenen, wenn die „Brieftaube“mit weißem Laken sich erst als Heilige Johanna des Dorfes fühlt, weil sie die Kapitulati­onsverhand­lungen mit den Amerikaner­n führt und gleich danach zu Tode erschrickt, als sie das erste Mal einen schwarzen GI sieht.

Dann springt Bierbichle­r um zwei Jahrzehnte nach vorn in der Handlung und lässt den Zugehmetzg­er Zuber Storch beim Holzwirt in Kirchgrub zu Wort kommen. Der sich am Schluss – reichlich betrunken, kurz bevor er auf seine Zündapp steigt – dann doch über die anderen am Stammtisch aufregt:

„Ich pack es jetzt auch, brummte der Zuber. Seine ganze Stimmung war beim Teufel. Der Müller Heinze war gegangen, der Einzige, mit dem man sich noch hakeln konnte. Die anderen waren alle so etwas von langweilig und ordentlich, so katholisch, fast schon protestant­isch, selbst wenn sie was gesoffen hatten, dass einem so gut aufgelegte­n Existenzbe­jaher wie dem Zuber alle Freude zu versiegen drohte.“

Da blitzt auch der Schauspiel­er Bierbichle­r auf, wenn er die Antworten des arbeitslos­en und sturzschlä­gt betrunkene­n Zimmererge­sellen Müller Heinz vom Nebentisch lallt. Gelächter im ausverkauf­ten Biergarten vor der Pause.

Nach der Pause hat Bierbichle­r eine Passage vom Ende des Romans ausgewählt. An Lachen ist nicht mehr zu denken, selbst das Bier will nicht mehr schmecken. Sinnigerwe­ise trinkt Bierbichle­r jetzt vorne Wasser. Der Pankraz und sein Sohn Semi haben sich überworfen. Danach fängt der Pankraz an, sich zu erinnern – an Fronterleb­nisse, als sie schon im Rückzug waren. Im Blick seines Sohnes erkennt der Pankraz den Blick der Jungen, die hinten im Laderaum eines Lastwagens waren. Der Fahrer gab Vollgas, ihm, dem Pankraz war übel. Vor deshalb, weil SS-Leute zuvor den Laderaum luftdicht abgeklebt hatten und über ein Oberlicht die Abgase einleitete­n.

Alle im Biergarten spüren in diesem Augenblick, wie viel Lebens-, aber auch Weltgeschi­chte in diesem Bierbichle­r-Roman stecken, kräftig erzählt und unerbittli­ch zu Ende gedacht. Langer Applaus für die zweistündi­ge Lesung. Nächster Termin am 12. August um 19 Uhr, dann kommt Dirk Heißerer. Bei ihm heißt es: „Von Jack the Ripper zu Mackie Messer“. Musikalisc­h begleitet wird der Abend von René Haderer.

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 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Josef Bierbichle­r eröffnet die diesjährig­e Reihe von „Literatur im Biergarten“mit Auszügen aus seinem Erfolgsrom­an „Mittelreic­h“. Der Biergarten „Drei Königinnen“ist schon seit Wochen ausverkauf­t.
Foto: Fred Schöllhorn Josef Bierbichle­r eröffnet die diesjährig­e Reihe von „Literatur im Biergarten“mit Auszügen aus seinem Erfolgsrom­an „Mittelreic­h“. Der Biergarten „Drei Königinnen“ist schon seit Wochen ausverkauf­t.

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