Sommer, Sonne, Bismarckbrücke
Warmer Asphalt, ein prächtiger Sonnenuntergang und eine Geburtstagsfeier: Wie eine Eisenbahnbrücke zum In-Treff geworden ist
„Fass’ doch einmal den Stein an“, sagt Lisa. Der Stein ist der Sockel, auf dem einer der großen Kandelaber der Bismarckbrücke steht. Der Stein hat die Sonnenstrahlen gespeichert. Man wird sie gleich gebrauchen können. Rechts neben dem Hotelturm geht bereits die Sonne unter. Zwei Gründe, warum die Bismarckbrücke als Treffpunkt so beliebt geworden ist.
Ein herrlicher Blick Richtung Nordwesten, wenn die Sonne sich auf den Gleisen und dem Hotelturm spiegelt, um dann im Abendrot für diesen Tag zu verschwinden. Ihre Wärme hat sie ja noch hier gelassen und das macht auch den harten Boden behaglich. Um kurz vor acht Uhr saßen nur sechs Menschen verstreut auf der Brücke. Jetzt, kurz vor 20.54 Uhr, wenn die Sonne untergeht, kommen immer mehr, breiten ihren Decken aus, leeren ihre vollgepackten Taschen mit Getränken und Lebensmitteln. Lassen sich nieder. Von unten betrachtet, scheint die Zeit langsamer zu vergehen. „Es fahren hier auch wirklich wenig Autos“, sagt Judith; als ein Bus vorbeidonnert, muss sie lachen. Judith hat heute Geburtstag und feiert mit Freunden und Sonnenuntergang auf der Bismarckbrücke. „Der Gehsteig ist ja breit genug“, sagt Judith, „da kann jeder an uns vorbei.“„Nicht Gehsteig. Trottoir!“, ruft jemand betont französisch und alle lachen.
Bianca wohnt im Bismarckviertel. Sie weiß von dem Studentenführer „Use-It“zu berichten, in dem die Bismarckbrücke als „Hotspot“genannt wird. Ein begehrter Treffpunkt für Großstadt-Romantiker also. Bianca ist mit ihrer Freundin Doris, die in Göggingen wohnt, und ihrer Tochter Emilia gekommen. Die neunjährige Emilia schlägt Bianca vor, ihren 40. Geburtstag, der bald ansteht, auch auf der Brücke zu feiern. Davon will sie aber nichts wissen. Bianca ist in Sorge, dass es hier bald überlaufen sein wird. Sie hat schon Leute mit Grill gesehen und große Dinner bei Kerzenschein. Die richtige Romantikerin möchte eben nicht teilen, höchstens zu zweit. Ein Güterzug rumpelt unter der Brücke hindurch. Die Worte sind jetzt schwer verständlich. Die Stimmen werden lauter. „Stört aber gar nicht“, ruft Bianca, » „ist doch wie in der Großstadt.“Augsburg ist in der Wahrnehmung immer auf der Kippe zwischen Klein-und Großstadt. Aber genau das scheint den Reiz auszumachen.
Eben noch auf der Suche nach dem Großstadtplätzchen, um dann wieder abzutauchen in die Idylle. Das hat ja auch nicht jede Stadt. Berlin ist immer Berlin. Florian aus Judiths Geburtstagsgesellschaft nebenan erzählt von der Warschauer Brücke in Berlin-Friedrichshain. Die reinste Partymeile. Der Trubel gefiel ihm nicht. Die meisten Abendbesucher auf der Brücke kommen gar nicht aus dem Bismarckviertel. Jennifer hat in Augsburg studiert und arbeitet bei den Lechwerken. Sie ist zum ersten Mal hier und meint, dass die Brücke bei den Bismarckfesten und Hoffesten von den Menschen als Ort des Verweilens erst entdeckt wurde. Jennifer erinnert noch an die Straßenklavier-Aktion 2017 „Play Me, I’m Yours“. Plötzlich war das Klavier von der Bismarckbrücke verschwunden. Die Polizei hatte es mitgenommen. Ein Klavier, so ganz allein, kam den Beamten komisch vor. Das wird im September 2018, wenn die Aktion wiederholt wird, sicher nicht noch einmal passieren. Was sehr auffällt und das kommt einer Sensation gleicht: Auf der Bismarckbrücke ist niemand mit Smartphone zu sehen. Alle sind miteinander beschäftigt.
Zu Judiths Geburtstagsgästen gehört auch Lisa. Auf die Frage, ob sie schon einmal etwas von dem Führer „Use-It“gehört hat, weil sie sich so gut auskennt, lacht sie: „Den habe ich gestaltet“, sagt sie. „Use-It“ist ein Stadtführer, der als Datei aus dem Netz heruntergeladen werden kann. Ihr hat die Bismarckbrücke also die Erwähnung zu verdanken. In einem putzigen Englisch werden, grafisch schön gemacht, Besonderheiten und Verborgenes der Stadt erklärt. Unter Punkt 61 steht „Hipster Level 100“, gemeint ist das ehemalige Szenelokal „Alte Liebe“in der Ludwigstraße. Im September wird die „Alte Liebe“, keine fünfzig Meter von der Bismarckbrücke entfernt, neu eröffnen. Dann dürfte es für Bianca und ihrer Idee, die Brücke als Treffpunkt eher geheim zu halten, endgültig vorbei sein.
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