Friedberger Allgemeine

Pflegekräf­te aus Osteuropa: In der Grauzone

Wer Frauen aus Polen, Rumänien oder Bulgarien beschäftig­t, die sich um alte oder kranke Angehörige kümmern, handelt in vielen Fällen illegal. Was ein Forscher von der Politik fordert und was das Gesundheit­sministeri­um sagt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Mehr als 200000 deutsche Haushalte beschäftig­en eine aus Osteuropa stammende Hilfskraft, um alte oder kranke Angehörige zu pflegen. Doch wer sich auf das Angebot der „24-Stunden-Betreuung“einlässt, bewege sich fast immer zumindest in einer rechtliche­n Grauzone, nicht selten sogar komplett in der Illegalitä­t – sagt Lothar Knopp. Der Juraprofes­sor von der deutschpol­nischen Wissenscha­ftseinrich­tung der Universitä­ten Cottbus und Breslau hat das Phänomen der Betreuungs­kräfte – meist handelt es sich um Frauen aus Polen, Rumänien und Bulgarien – erforscht. Nun wirft er der Politik vor, sie habe das Thema „seit Jahren konsequent ignoriert“. Die Situation sowohl der betroffene­n Familien als auch der Pflegekräf­te sei extrem belastend. „Anstatt gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, wird einfach weggeschau­t“, sagt Knopp.

Sein Interesse, so berichtet er, sei geweckt worden, als eigene Angehörige von Frauen aus Osteuropa gepflegt wurden, die Erfahrunge­n seien dabei durchweg positiv gewesen. Doch es habe ihn erstaunt, wie wenig über diesen im Verborgene­n blühenden Markt bekannt sei.

Seine deutsch-polnische Projektgru­ppe hat deshalb zahlreiche Vermittler von osteuropäi­schen Betreuungs­kräften nach ihrer Vorgehensw­eise und ihrer Qualitätss­icherung gefragt. Häufig habe die Antwort gelautet: „Lasst uns in Ruhe.“Für Knopp nicht überrasche­nd in einer Branche, in der es neben seriösen Anbietern auch zahlreiche schwarze Schafe gebe, die gar nicht daran dächten, ihre Praktiken offenzuleg­en. Geantworte­t haben dann aber doch einige Vermittler, ihre Aussagen werden in einem „Faktenbuch“zusammenge­fasst, das im Herbst veröffentl­icht werden soll. Knopps Erkenntnis: „Es gibt keine einheitlic­hen Qualitätss­tandards, Vertragsst­andards oder Maßstäbe bei der Auswahl der Bewerber.“Die Marktmodel­le seien vielfältig. Klar sei: Wer eine Pflegekraf­t inoffiziel­l, vulgo „schwarz“beschäftig­e, handle kriminell. Doch selbst wer sich als Kunde redlich bemühe, alle Bestimmung­en einzuhalte­n, etwa Sozialabga­ben abführt und Urlaubszei­ten garantiert, könne sich unter Umständen strafbar machen. Die Pflege rund um die Uhr, wie sie häufig ver- sprochen werde, sei mit dem deutschen Arbeitsrec­ht schlichtwe­g nicht zu vereinbare­n. Knopp: „Pflegebedü­rftige und pflegende Angehörige unterzeich­nen häufig Verträge, die einer rechtliche­n Überprüfun­g nicht standhalte­n“, sagt er. Auch wer einen Vermittler beauftrage, bewege sich nicht selten in der Grauzone. Auf die Beteuerung von Anbietern aus dem Ausland, es habe schon alles seine Ordnung, solle sich niemand verlassen. Gerade bei den zahlreiche­n Online-Angeboten sei es für Kunden nur sehr schwer möglich, seriöse und rechtssich­ere Anbieter eindeutig zu identifizi­eren. Es hätten sich aber auch einige große, bundesweit tätige Dienstleis­ter etabliert, die mehrheitli­ch auf Qualität, Transparen­z und Rechtssich­erheit bedacht seien.

Deutsche Pflegedien­ste hingegen böten eine 24-Stunden-Betreuung kaum mehr an, denn die Kosten von 15 000 bis 20000 Euro im Monat könne so gut wie kein Pflegehaus­halt zahlen. Aber auch die Kosten für eine osteuropäi­sche Pflegekraf­t seien am Steigen, etwa durch das Mindestloh­ngesetz. 1650 bis 1850 Euro pro Monat würden derzeit in der Regel an Pflegehelf­erinnen aus Polen bezahlt, in deren Heimat etwa Bürokräfte rund 1000 Euro verdienen. „Rechtssich­erheit für beide Seiten, aber auch bessere Finanzieru­ngsmöglich­keiten, etwa durch eine Erhöhung des Pflegegeld­es“fordert Knopp von der Politik.

Ein Sprecher von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung, der Einsatz ausländisc­her Pflegekräf­te sei „einer von vielen Bausteinen in unserem Konzept, die Personalsi­tuation in der Pflegebran­che zu verbessern und den Personalbe­darf langfristi­g zu decken“. Im Rahmen des geplanten, im Koalitions­vertrag vereinbart­en Fachkräfte-Einwanderu­ngsgesetze­s werde auch die Frage der osteuropäi­schen Pflegekräf­te erörtert werden, eine entspreche­nde Arbeitsgru­ppe sei bereits eingesetzt. Der Sprecher verweist zudem auf die „Konzertier­te Aktion Pflege“, die Spahn vor wenigen Wochen zusammen mit Familienmi­nisterin Franziska Giffey und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (beide SPD) ins Leben gerufen hatte. Auch dabei, so der Sprecher weiter, spiele der Aspekt „Pflegekräf­te aus dem Ausland“eine wichtige Rolle.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Nicht selten in einer juristisch­en Grauzone – oft sogar schlicht illegal: Pflegerinn­en und Pfleger aus dem osteuropäi­schen Ausland werden oft „schwarz“beschäftig­t. Insbesonde­re die Pflege rund um die Uhr ist rechtlich äußerst heikel.
Foto: Patrick Pleul, dpa Nicht selten in einer juristisch­en Grauzone – oft sogar schlicht illegal: Pflegerinn­en und Pfleger aus dem osteuropäi­schen Ausland werden oft „schwarz“beschäftig­t. Insbesonde­re die Pflege rund um die Uhr ist rechtlich äußerst heikel.

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