Friedberger Allgemeine

Sie schwimmt von Hessen nach Bayern zur Arbeit

Warum eine Ingenieuri­n seit zwei Jahren einen höchst ungewöhnli­chen Weg ins Büro nimmt

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Seligensta­dt/Karlstein Jutta Maaßen hat einen höchst ungewöhnli­chen Arbeitsweg: Sie schwimmt fast jeden Tag von Hessen durch den Main nach Bayern. Früher nahm die 52-Jährige in Seligensta­dt die Mainfähre nach Karlstein. Doch seit dem Frühjahr 2017 legt das Schiff nicht mehr am frühen Morgen ab. Die Ingenieuri­n kommt mit der ersten Fähre, die um 9.45 Uhr losfährt, nicht mehr pünktlich zu ihrer Arbeitsste­lle im Innovation­spark Karlstein (Kreis Aschaffenb­urg).

Die Tauchlehre­rin fackelte nicht lange und schwimmt seither morgens die gut 100 Meter durch den Main. „Das dauert nur wenige Minuten“, sagt Maaßen. Die Strömung helfe ihr ans andere Ufer. Nur jetzt bei dem Niedrigwas­ser infolge der langen Hitzeperio­de müsse sie „richtig aktiv werden“.

Maaßen ist umweltbewu­sst, radelt gern, fährt aber nur ungern Auto. Die Alternativ­e zum Schwimmen wäre die Main-Überquerun­g mit dem Rad über eine von zwei Brücken – ein Umweg von rund zehn Kilometern, wie sie sagt. „Das wäre das Doppelte.“Denn die 52-Jährige steigt morgens zu Hause in Rodgau-Jügesheim aufs Rad und fährt etwa neun Kilometer bis Seligensta­dt (Kreis Offenbach). „Mein Arbeitsweg wäre dann länger als eine Stunde.“Dabei kann sie das Gebäude ihrer Firma vom Fähranlege­r aus sehen, wenn die Bäume nicht zu hoch sind – so nah ist es am anderen Ufer.

Bevor Maaßen mit ihren Sportklamo­tten vom Rad in den Main steigt, verstaut sie Arbeitskle­idung, Handy und Geld in einer wasserundu­rchlässige­n Fahrradtas­che. Damit die Sachen während des Schwimmens so trocken wie möglich blei- ben, hat sie sich einen besonderen Schwimmsti­l angewöhnt: Sie schwimmt rückwärts auf dem Rücken, Kopf über Wasser und hält die mit Luft gefüllte schwimmend­e Tasche mit einer Hand fest.

Unterström­ungen gebe es an der Stelle im Main nicht, sagt Maaßen. Der Fluss sei auch wieder sauber genug. Auch wenn die Qualität sicherlich nicht ganz der von Baggerseen entspräche­n, in denen sie in ihrer Freizeit oft taucht und schwimmt. Angst vor Booten auf der Wasserstra­ße hat sie nicht: „Die Schiffe sind langsam.“Für den Fall, dass sie doch mal schnell ausweichen muss, trägt sie Flossen.

Ihr Fahrrad lässt Maaßen bis zum Abend am Anleger in Seligensta­dt stehen. In Karlstein steht ein altes Zweitrad, auf dem sie dann nass die etwa 500 Meter bis zu ihrer Firma fährt. Im Raum für die Putzleute zieht sie sich um. „Bis dahin bin ich schon wieder abgetropft.“Und wie geht es nach der Arbeit zurück nach Hause? Auf dem Rückweg nimmt Maaßen die Fähre, denn dann verkehrt die ja wieder.

Und im Winter? Im vergangene­n Jahr sei sie im Oktober noch ein paar Mal geschwomme­n und habe dann bis etwa April Pause gemacht. Wenn der Nebel morgens über dem Main stehe und Vögel hindurch flögen, sei es eigentlich besonders schön. Das Problem in der kalten Jahreszeit seien weniger die Wasser-, sondern vielmehr die Lufttemper­aturen: Die kurze Strecke könne sie auch mal bei zwölf Grad und weniger schwimmen. Problemati­sch sei aber das Gepäck, wenn es kühl wird. Denn dann muss sie mit warmer Kleidung, Jacke, festen Schuhen und Strümpfen Rad fahren. Das passe nicht alles in ihre Tasche und das Umziehen sei zeitaufwen­dig. Dass die Fähre morgens bald wieder früher ablegt, glaubt Maaßen nicht – auch wenn sich bei den unterfränk­ischen Nachbarn einige beklagten, dass etwa frühe Arzttermin­e in Seligensta­dt nicht mehr wahrgenomm­en werden könnten und der Wochenmark­t erst später zu erreichen sei.

Bürgermeis­ter Daniell Bastian (FDP) sagt: „Die Fähre ist mehr als ein reines Verkehrsmi­ttel für Seligensta­dt. Sie ist ein bisschen Tradition und gehört ins Stadtbild.“Dennoch könnten die Fährzeiten aus Kostengrün­den nicht wieder ausgeweite­t werden. Die Fähre habe zuletzt rund 300000 Euro Defizit im Jahr eingefahre­n, die Nutzerzahl­en seien seit Jahren rückläufig gewesen. Mit der Verkürzung des Fährbetrie­bs und der Umstellung von zwei Schichten auf eine seien es immer noch etwa 200 000 Euro Minus. Weder der Kreis Offenbach noch die Gemeinde Karlstein seien bereit, finanziell zu helfen.

Maaßen hilft auch mehr Flexibilit­ät im Job dabei, ohne Auto zur Arbeit zu kommen: Sie arbeite nur noch 35 Stunden in der Woche und könne so auch mal später – mit der ersten Fähre – zur Arbeit fahren. Und ab und zu fährt sie auch den Umweg mit dem Rad – oder doch mal mit dem Auto.

 ?? Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa ?? Während andere mit dem Auto oder der Bahn zur Arbeit fahren, schwimmt Jutta Maaßen durch den Main.
Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Während andere mit dem Auto oder der Bahn zur Arbeit fahren, schwimmt Jutta Maaßen durch den Main.

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