Friedberger Allgemeine

Als Onkel Rudi zum Diaabend kam und Bilder von Wurstplatt­en dabei hatte

- VON SILVANO TUIACH silvano.tuiach@augsburger allgemeine.de

Täglich werden Milliarden und noch mehr von Daten produziert – und fast ebenso viele neue Bilder. Die meisten davon mittlerwei­le mit Smartphone­s. Neulich war von einem Fall die Rede, dass eine Frau ihr Smartphone zu einem sogenannte­n Datenrette­r gebracht hat. Der dann herausfand, dass die Speicherka­rte einen Haarriss erlitten hatte und dadurch die gespeicher­ten Fotos verloren waren. Fotos ihrer beiden Töchter vom Kindergart­en, Fotos vom Urlaub mit den Sprössling­en. Die Dame war natürlich unglücklic­h ob dieses Verlusts.

Da wäre ein klassische­s Fotoalbum sicherer gewesen – oder auf Dia-Film festgehalt­ene Erinnerung­en. Dias und die dazugehöri­gen Projektore­n prägten die Hobbyfotog­rafie der 1960er und 1970er Jahre. Der Diaabend war eine gepflegte, kleinbürge­rliche Institutio­n, so aufwendig inszeniert wie eine Geburtstag­sfeier.

Wenn Onkel Rudi mit seinen Diakästen kam, wurde im Wohnzimmer die Couch an die Wand gerückt und alle Stühle, die im Haus zu finden waren, aufgestell­t. Auf der einen Seite des Wohnzimmer­s stand Showmaster Onkel Rudi, neben sich circa 80 Kästen mit je 50 Dias, die er vorzuführe­n gedachte. Ganz vorn saßen die Kinder, weiter hinten die Älteren aus der Bekanntsch­aft und Verwandtsc­haft. Das Geräusch, das das Schieben der Kästen verursacht­e, habe ich noch in den Ohren. Auch die sogenannte­n „Newtonsche­n Ringe“sehe ich noch, die ich bei längerem Stillstand eines Dias auf demselben ausbreitet­en.

Am beliebtest­en waren die Urlaubsdia­s und die Dias diverser Feiern – Hochzeit, Geburtstag, Weihnachte­n. Nach etwa zwei Stunden wurden die Alten in der Loge etwas unruhig, weil sie auf Toilette mussten. Oder aber man hörte sie gar nicht mehr, weil sie im Begriff waren, einzuschla­fen.

Onkel Rudi berührte das kaum, er kannte keine Gnade. Er zeigte jetzt noch die Wurstplatt­en (ein beliebtes Motiv) von der Silberhoch­zeit in der „Krone“.

Ich habe im Übrigen noch drei Fotoalben aus meiner Kindheit und Jugendzeit, deren Besitz mich jedoch beunruhigt. Wem soll ich – kinderlos – die Alben mal vererben? Aber sie einfach im Wertstoffh­of zu entsorgen, das wäre pietätlos – als ob eine Frau ihr Hochzeitsk­leid in einem Altkleider­container entsorgen würde.

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An dieser Stelle blickt der Kabarettis­t Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.

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Zeichnung: Silvano Tuiach

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