Die beste Absicht schlägt früher oder später in Gewalt um
Landesbischöfin Ilse Junkermann warnt vor naivem Umgang mit Idealen und schlägt eine Alternative vor
Was wäre, wenn alle Menschen einander wohlwollen, frei von Lasten der Vergangenheit, ohne Weinen und Wehklagen, sondern nur noch in Freude? Landesbischöfin Ilse Junkermann griff die biblische Vision in ihrer Predigt zum Hohen Friedensfest in der voll besetzten Basilika St. Ulrich und Afra auf. Fast zu schön, um wahr zu werden, sei dies – fantastisch und utopisch …
Und doch erfülle die Vorstellung unser Herz, unser Denken und unser Sprechen. Natürlich: Sie liege im
Eltern sind kompliziert. Das sagt nicht nur der von Erziehungsversuchen regelmäßig relativ unbeeindruckte Nachwuchs. Nein, auch Politiker könnten das bestätigen. Einerseits wollen Eltern keinesfalls, dass sich der Staat (oder auch sonst wer) in ihre Erziehung einmischt. Niemand kennt doch ihre Kinder besser als sie!
Gleichzeitig erwarten Eltern heute aber wie selbstverständlich, dass derselbe Staat sie ganz besonders umsorgt und pampert. Sie sind es doch, die sich in selbstlosem Einsatz zwischen Breichen kochen, Strampler waschen und Taxi spielen um die Zukunft des Landes sorgen. Das soll mal ja kein Politiker vergessen!
Dass die Gefahr nicht besteht, beweist ein Brief, den wir vor Kurzem vom Bayerischen Ministerpräsidenten persönlich bekommen haben. Der Freistaat zahlt Eltern ab September 250 Euro pro Monat Streit mit dem Faktischen. „Die Menschen, sie sind nicht ideal, nicht ohne Fehl und Tadel, ohne Gier, Neid und Eigennutz, nicht ohne Lust an Gewalt und an Herrschaft über andere und Ausbeutung“, beschrieb Junkermann die Realität.
Und noch eine Falle lauert auf die Idealisten: „Wer mit bester Absicht Ideale in Wirklichkeit umsetzen will, greift früher oder später zu Gewalt“, so die Predigerin aus Magdeburg. Alle Religionskriege bis hin zum fundamentalistischen Terror seien von der besten Absicht für die Wahrheit geprägt. Doch dabei wer- de das Ideal über die Menschen gestellt. Junkermann riet, skeptisch zu sein gegenüber den Idealen, die uns Populisten vorgaukeln, ebenso wie gegenüber unverhohlenem Eigennutz, „wie er als Politik über den Großen Teich zu uns schwappt“.
Doch auch der eigenen Gesellschaft redete die Landesbischöfin ins Gewissen, weil sie zuerst an der Rendite, am Reichtum hängt „und nicht an einem Wirtschaften, das den Menschen dient und dem Lebensraum für alle“. Zerstörungskraft stecke darin, die hohe Kosten und übergroße Opfer fordert.
Als Alternative schlug Junkermann „Vertrauen auf Gottes Kraft“vor. Es verschaffe den weiten Blick auf einen festen Punkt, den die Menschen brauchen, um den Drahtseilakt zwischen kläglicher Realität und hoffnungsfroher Utopie zu bestehen. Ohne in lähmende Resignation oder in eigennützigen Pragmatismus abzustürzen.
Die Zuhörer, darunter auch die Mitglieder am Runden Tisch der Religionen aus Islam, Judentum und Buddhismus, quittierten die Predigt in dem ökumenischen Festgottesdienst mit starkem Beifall. Pfarrer Frank Kreiselmeier von evang. St. Ulrich erinnerte an die Ursprünge des Fests im Jahr 1650: „Die Protestanten hatten immer Hoffnung, dass Gott Frieden schenkt und Gerechtigkeit wiederherstellt.“Diktiert von den katholischen Kaiserlichen durften sie ab 1635 im Dreißigjährigen Krieg 14 Jahre lang ihre Kirchen nicht benutzen und mussten Gottesdienst unter freiem Himmel halten. 2018 wurde in der Basilika nicht nur die Hoffnung auf wachsende ökumenische Übereinstimmung laut, sondern auch auf Frieden aller Nationen und Religionen.