Ein neues Brot
Am 23. August 1918 berichtet die München-Augsburger Abendzeitung in ihrer Morgenausgabe auf der Seite 3:
Die Ernährungsfrage wird in Zukunft mehr als noch bisher einen der wichtigsten Punkte bilden, mit denen sich Wissenschaft und Praxis zu beschäftigen haben werden. In der Hauptsache wird es sich hierbei natürlich um die Brotfrage handeln, da das Brot trotz der knappen Zuteilung in den jetzigen Zeiten das Hauptnahrungsmittel ist. Es gilt also, die möglichst vollste Ausnützung unseres Brotgetreides auf möglichst billige und einfache Art zu bewerkstelligen.
Auf welchem Wege das zu erreichen ist, wurde, wie unser Berliner Vertreter meldet, heute den Vertretern der Presse dargelegt, die einer Einladung der Vollbrot-Verwertungsgesellschaft m b. H. in Berlin gefolgt waren, um sich von einer neuen Art rationeller Ausnützung unseres Brotgetreides zu überzeugen. Das Groß’sche Verfahren (Direktor Groß von der genannten Gesellschaft gab selbst die Erläuterungen) beruht auf einem vollständig neuen Prinzip, welches das Teigbereitungsverfahren für Brotgetreide und dem Ausschluß der bisherigen Mehlbearbeitung äußerst vereinfacht, indem das Getreide unmittelbar zu Teig verarbeitet wird. Auf technische Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht möglich, doch seien die wichtigsten Neuerungen auf dem Gebiete der Brotbereitung wiedergegeben:
Durch das Verfahren wird die Trennung des nahrhaften Korns und der unverdaulichen Zellulose in einfachster und vollkommenster Weise gelöst, sodass bei einem Abgang von 1 Prozent der Hülsen mindestens 99 Prozent des Getreides für Backzwecke übrig bleiben. Das ergibt auf einen Zentner Getreide eine höhere Ausbeute von 35 Pfund Brot gegenüber dem bisherigen Verfahren. Wenn nur 20 Prozent aller Deutschen dieses neue Brot essen würden, bedeutete das eine Ersparnis von 21 Millionen Zentner Brotgetreide im Jahre. Aber nicht allein die quantitative Ausnützung wird durch die Neuerung gewährleistet, sondern – und das vor allem – die qualitative. Das Backgut, das aus dem Teigbereitungsverfahren hervorgeht, weist alle Nährwerte auf, die dem Getreide von Natur eigen sind. Die eiweißreichsten Teile des Getreidekorns bleiben im Brot verlustlos erhalten. Eine Analyse ergab in der Trockensubstanz etwa 14 Prozent Eiweiß, während dieser Gehalt beim gewöhnlichen Brot nur 10,7 Prozent beträgt, eine Erhöhung also um etwa 30 Prozent. Dazu kommt, dass das Brot – es wurde eine Kostprobe herumgereicht – äußerst schmackhaft ist und der Verdauung sehr zuträglich sein soll.
Weitere wichtige Vorzüge des Groß’schen Verfahrens sind, dass durch die Ausschaltung des Müllereiverfahrens eine beträchtliche Verbilligung des Brotes erzielt wird, dass das Mehl nicht mehr aufbewahrt werden muss, also auch nicht verderben kann, ferner die Kürze der Frist (etwa 3–4 Stunden) zur Herstellung des fertigen Brotes, sowie die große Sauberkeit (Mehl und Backgut kommen mit den Händen nicht in Berührung) …
Also – Wieder ein neuer, beachtenswerter Fortschritt auf dem Gebiete der Volksernährung.