Friedberger Allgemeine

Die griechisch­e Tragödie war absehbar

Das Land hätte nie in den Euro aufgenomme­n werden dürfen. Doch politische­s Wunschdenk­en siegte über ökonomisch­e Vernunft – mit verheerend­en Folgen bis heute

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Die griechisch­e Irrfahrt ist noch lange nicht vorbei. Auch wenn das Land nun ohne internatio­nale Finanzhilf­en auskommt, gelten die dramatisch­en Worte des ehemaligen Regierungs­chefs Giorgos Papandreou von 2010 nach wie vor: „Uns steht eine neue Odyssee bevor.“So hatte der Sozialist damals die Welt für sein vor dem finanziell­en Ruin stehendes Land um Hilfe gebeten.

Zum neuen Odysseus Griechenla­nds, der nicht mit einem selbst gebauten Floß wie das antike Vorbild seine abenteuerl­iche Reise antrat, wurde der tapfere Alexis Tsipras. Ausgerechn­et der Protagonis­t einer offiziell radikal linken Partei musste sein Land durch Sparen und Reformen aus dem Forderungs-Schwitzkas­ten der Geldgeber befreien. Zumindest das hat er durch Beharrlich­keit erreicht. Ist dies nun ein Grund zur Freude? Natürlich darf man Tsipras den verdienten Respekt für seine politische Leistung nicht verwehren. Wieder einmal zeigt sich, welche reformeris­che Potenz linke Politiker aufzubring­en vermögen, wenn die Realität sie zum Pragmatike­r erzieht.

Ansonsten besteht wenig Anlass zum Jubeln, weder für den Rest der Euro-Gemeinscha­ft noch die Griechen selbst. Denn auch wenn das Land wieder wächst und zuletzt sogar einen Haushaltsü­berschuss erkämpfte, bleibt es angeschlag­en. Denn rund jeder fünfte Bewohner ist arbeitslos. Viele Menschen verdienen viel zu wenig für ein Leben in Würde. So mancher hält sich mit Teilzeit-Jobs und Verdienste­n von etwa 400 Euro im Monat über Wasser. Das funktionie­rt nur, weil die Griechen enger zusammenge­rückt sind und längst erwachsene Kinder wieder bei ihren Eltern wohnen. Viele – die Zahlen schwanken zwischen 400000 und 500000 – haben seit der Krise das Land verlassen, darunter reichlich gut ausgebilde­te junge Menschen. Und dann ist das Tsipras-Griechenla­nd auf Dynamit gebaut, schließlic­h sitzt es auf einem riesigen Schuldenbe­rg von etwa 180 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Die Finanz-Odyssee geht also weiter. Die griechisch­e Tragödie ist lange nicht beendet.

Das Trauerspie­l war von jeher absehbar. Daran wollen die EuroMatado­ren nicht gerne erinnert werden. Die eigentlich­e Tragödie besteht nämlich darin, dass auch hierzuland­e zwar ausgiebig über die insgesamt rund 289 Milliarden Euro Hilfen an Griechenla­nd lamentiert wird, die Selbstkrit­ik aber zu kurz kommt. Denn es war ein Versagen der politische­n Klasse, ja eine kollektive Blindheit, die Griechenla­nd überhaupt den Weg in den Euro geebnet hat. Auch wenn erst nach dem Beitritt zur Währung herauskam, dass in Athen die Zahlen über Jahre hinweg in betrügeris­cher Weise geschönt wurden, war schon früh klar: Der Staat ist wirtschaft­lich viel zu schwach für den Euro-Verein. Eine Mitgliedsc­haft musste also im Fiasko enden.

Doch wie Italien wider alle Vernunft in den Euro-Zirkel Einlass fand, zogen sich die Verantwort­lichen auch im Falle Athens eine Decke der Ignoranz über den Kopf. Am Ende setzte sich erneut politische­s Wunschdenk­en gegen ökonomisch­e Vernunft durch – mit verheerend­en Folgen bis heute. So wurde etwa hierzuland­e das Entstehen der rechtspopu­listischen AfD durch den griechisch­en Sündenfall gefördert. Dadurch hat sich die deutsche Parlaments-Tektonik nachteilig verändert. Und dass heimische Sparer an Zins-Verzweiflu­ng leiden, ist letztlich auch auf die politische Fehlentsch­eidung, Länder wie Griechenla­nd allzu gnädig zu behandeln, zurückzufü­hren.

Am Ende fahren Politiker, denen leider oft wirtschaft­licher Sachversta­nd abgeht, besser, wenn sie auf Experten hören. Dass Regierungs­Repräsenta­nten Ökonomen überheblic­h als Bedenkentr­äger abkanzeln, hat unserem Land geschadet.

Viele Menschen führen ein Leben ohne Würde

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