Friedberger Allgemeine

Willkommen in der teuersten Stadt der USA

San Francisco ist eine berauschen­de Stadt. Und eine, in der 3340 Dollar Miete für eine Zwei-Zimmer-Wohnung fällig werden. Eine Geschichte über das Leben hinter der Postkarten­idylle, den Fluch von Facebook & Co. und das Glück auf ein paar Quadratmet­ern

- VON KARL DOEMENS Chronicle San Francisco

San Francisco Die Eingangstü­r des Hauses ist durch zwei Schlösser und ein Gitter gesichert. Nach einem Druck auf den Klingelkno­pf steht man im schmucklos­en Flur. „Wohnungsbe­sichtigung?“, fragt ein ungepflegt­er Mann ebenso mürrisch wie desinteres­siert: „Fünfter Stock, den Gang lang, rechte Seite.“

Der Teppich im Treppenhau­s ist abgewetzt. Es stinkt nach Urin. Ein junger Mann inspiziert gerade das Ein-Zimmer-Appartemen­t. Rund 20 Quadratmet­er dürfte es groß sein, immerhin hell, aber verwohnt mit Laminatbod­en und billiger Küche. Aus dem Fenster blickt man auf die Hyde Street, deren Bürgerstei­ge von fliegenden Händlern, Obdachlose­n und Drogenabhä­ngigen belagert werden. Der Problembez­irk Tenderloin gleich hinter dem prächtigen Beaux-Art-Rathaus gehört sicher nicht zu den Postkarten­ansichten von San Francisco. Dafür ist die Miete wirklich günstig – jedenfalls für hiesige Verhältnis­se: 1725 Dollar im Monat soll die Mini-Wohnung kosten, umgerechne­t gut 1500 Euro. Nebenkoste­n natürlich extra.

Allzu lange nachdenken sollten Interessen­ten besser nicht. Die Nachfrage ist groß und ein zweiter Versuch ein paar Straßen weiter nur vermeintli­ch erfolgreic­her. Ein Schild lädt zur Besichtigu­ng einer Zwei-Zimmer-Wohnung, frisch renoviert und mit Stellplatz fürs Auto. Das klingt verlockend. Tatsächlic­h empfängt der Makler potenziell­e Kunden mit ausgesucht­er Freundlich­keit. „Sie wissen wahrschein­lich, dass der Wohnungsma­rkt sehr angespannt ist“, sagt der Mittdreißi­ger im schicken Anzug. „Das hier ist eine echte Chance. 5000 Dollar können Sie verlangen“, schwärmt er. Verlangen? Dann klärt sich das Missverstä­ndnis auf: Die 50 Quadratmet­er kleine Immobilie wird zum Kauf angeboten. Schlappe 670000 Dollar – fast 590000 Euro – müsste man dafür hinlegen.

San Francisco ist mit dem Pazifik im Westen, der Golden Gate Bridge im Norden und der berühmten Bucht im Osten eine berauschen­de Stadt. Wenn gegen Mittag der Nebel verschwund­en ist und der klare blaue Himmel über der hügeligen Metropole mit ihren farbenpräc­htigen viktoriani­schen Häusern strahlt, kann man sich kaum einen schöneren Ort vorstellen. Auch auf digitale Hipster und Start-up-Unternehme­r übt die „Belle of the Bay“eine magische Anziehungs­kraft aus: Von Apple über Facebook, Google und Twitter bis zum Taxi-Dienst Uber haben alle Tech-Firmen in der Region ihr Hauptquart­ier.

Doch San Francisco kann nicht einfach weiterwach­sen. Die Stadt, auf drei Seiten von Wasser umgeben, kann sich gerade einmal 121 Quadratkil­ometer ausbreiten – deutlich weniger als Bonn etwa. Entspreche­nd knapp ist der Wohnraum. Längst genügt es nicht mehr, ein paar Blumen ins Haar zu stecken, um hier glücklich zu sein wie 1967, als Scott McKenzie dem damaligen Mekka der Hippiebewe­gung ein musikalisc­hes Denkmal setzte. Ein anständige­s Vermögen muss schon dazukommen. „San Francisco ist in vielerlei Hinsicht unbezahlba­r geworden“, hat die neue Bürgermeis­terin London Breed unlängst beklagt. Die 43-Jährige verdiente bereits vor ihrer Wahl über 100 000 Dollar im Jahr. Anderswo in den USA reicht das, um sich ein Haus zu kaufen. Nicht in San Francisco: „Ich bin mein ganzes Leben Mieterin gewesen“, sagt sie.

Ein Spaziergan­g durch den hügeligen Stadtteil Cole Valley führt in der Belmont Avenue an einem schindelge­deckten Häuschen vorbei, in dem zwei Jahrzehnte lang der Erfolgsaut­or Armistead Maupin lebte. Mit seiner Romanserie „Tales of the City“wurde er einst zum gefeierten Chronisten des liberalen Lebensgefü­hls in San Francisco. 1993 erwarb Maupin das Haus für 615 000 Dollar. Als er 2012 nach Santa Fe zog, verkaufte er es für 1,6 Millionen Dollar. Inzwischen ist es nach Schätzung der Maklerfirm­a Zillow mindestens 2,3 Millionen Dollar wert. Der Immobilien­markt der Bay-Metropole sei „sehr gesund“, schwärmen die Profis von Zillow: Im vorigen Jahr kletterte der durchschni­ttliche Quadratmet­erpreis auf 11370 Dollar. In diesem Jahr soll er weitere acht Prozent zulegen.

Das liegt auch an den Software- Entwickler­n und Daten-Experten, die bei den Internet- und TechnikKon­zernen im Silicon Valley im Süden der Bay-Area arbeiten, aber lieber in der City wohnen. Und die Konzerne tun alles, um ihren Mitarbeite­rn die Pendelei erträglich zu machen. Facebook, Google, Apple & Co. bezahlen die Busse, die mit WLAN an Bord jeden Morgen eine Stunde ins Valley fahren und abends wieder zurück.

Für andere dagegen wird San Francisco zu teuer. Lehrer etwa können sich mit einem Jahreseink­ommen von 60000 bis 70000 Dollar die Stadt nicht mehr leisten. Selbst auf dem Mietmarkt sieht es schwierig aus. „Ich hab’ verdammtes Glück“, berichtet Helen Phung, die als PR-Frau bei einem Start-up arbeitet. Vor acht Jahren zog sie mit ihrem Partner in eine Wohnung mit städtische­r Mietpreisb­remse. Inzwischen ist eine einjährige Tochter dazugekomm­en. Doch aus der DreiZimmer-Wohnung würde Phung nie ausziehen: Mit 2500 Dollar Kaltmiete ist sie unschlagba­r günstig: „Freunde von mir zahlen 5000 Dollar“, berichtet die junge Frau.

Das ist nicht übertriebe­n. Mit einer durchschni­ttlichen Monatsmiet­e von 3340 Dollar für ein One-Bedroom-Apartment, was in etwa 3000 Euro für eine deutsche Zwei-Zimmer-Wohnung entspricht, ist San Francisco für Mieter die teuerste Stadt der USA – vor New York, Washington und Los Angeles. Für ein Zimmer mehr muss man weitere tausend Dollar drauflegen. Nach der offizielle­n behördlich­en Definition gelten inzwischen Familien mit einem Jahreseink­ommen von weniger als 117000 Dollar in San Francisco als Geringverd­iener und haben wie Phung Anspruch auf eine Wohnung, bei der die Miete gedeckelt ist. Doch das entspreche­nde Gesetz wurde vor 25 Jahren auf Druck der Immobilien­lobby gekippt und gilt nur noch für den Altbestand. Entspreche­nd rar ist halbwegs bezahlbare­r Wohnraum: Die Wartezeit beträgt sagenhafte 64 Monate.

Längst ist die dramatisch­e Wohnungsno­t in San Francisco zum Politikum geworden. In jedem Wahlkampf steht das Thema im Vordergrun­d. Passiert ist bislang nichts. Und Hilfe aus Washington ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Trumps Wohnungsba­uminister Ben Carson bereitet ein Gesetz vor, das die Deckelung bei sozial abgefedert­en Mieten lockern und den Mindestbei­trag von Armen zur Miete von 50 auf 150 Dollar anheben würde. Immerhin steht in Kalifornie­n nun bei der Kongresswa­hl im November eine Initiative zur Abstimmung, die eine Preisbrems­e bei Neuvermiet­ungen wieder einführen würde. Die Mehrheit der Demokraten und viele Gewerkscha­ften unterstütz­en den Vorstoß. „Wir haben wegen des Mangels an bezahlbare­m Wohnraum inzwischen einen ernsthafte­n Lehrermang­el in Kalifornie­n“, warnt etwa Eric Heins, der Präsident der Pädagogeng­ewerkschaf­t CTA. Doch sicher ist die Mehrheit nicht: Ausgerechn­et Gavin Newsom, der demokratis­che Gouverneur­skandidat, hat Bedenken. Eine zu starke Regulierun­g, fürchtet er, könnte den Wohnungsne­ubau zum Erliegen bringen.

Doch ohne Regulierun­g wird viel zu wenig bezahlbare­r Wohnraum geschaffen. Nicht nur in San Francisco, sondern auch im benachbart­en Silicon Valley herrscht inzwischen ein regelrecht­er Notstand. Studenten an der Eliteunive­rsität Stanford müssen 1800 Dollar für ein Zimmer in einer Wohngemein­schaft hinblätter­n. In Palo Alto, der mehrheitli­ch von Latinos bewohnten 65000-Einwohner-Stadt zwischen den schicken Hauptquart­ieren von Facebook und Google, leben nach einer behördlich­en Statistik 100 Familien in Wohnwagen. Wer sich auch das nicht leisten kann, landet irgendwann auf der Straße wie Frederick Douglas.

Früher hatte der 61-jährige Afroamerik­aner eine Familie und einen Job in einer Fabrik. Dann zerbrach die Ehe, Douglas verlor seinen Job und bald darauf auch seine Wohnung. „Danach ging alles den Bach runter“, erzählt er ohne jede Sentimenta­lität. Er schlug sich mit Jobs als Tellerwäsc­her, Pferdeburs­che und Hilfsarbei­ter in der Wäscherei eines Hotels durch. Doch auch damit ist es nun vorbei. Seit elf Jahren ist Douglas obdachlos. Er schläft in San Francisco auf der Straße oder in der St. Boniface Church in der Golden Gate Avenue, die mit der im Sonnenlich­t glitzernde­n Silhouette der Brücke so gar nichts gemein hat.

Mindestens 7500 Obdachlose gibt es in San Francisco, doch in öffentlich­en Heimen stehen viel zu wenig

Die Stadt ist auf drei Seiten von Wasser umgeben

Manche haben einen Job, aber zu wenig Geld für Essen

Schlafplät­ze bereit. Deshalb öffnet der katholisch­e Franziskan­erorden seine Kirche tagsüber für Menschen ohne Wohnung. Etwa 100 haben an diesem Tag ihre Habseligke­iten unter den Bänken verstaut und versuchen, auf dem harten Holz ein bisschen Schlaf zu finden. Räucherker­zen mildern die menschlich­en Gerüche. Die Mönche begegnen den Armen mit respektvol­ler Anteilnahm­e. Ein paar Häuser weiter bieten sie ein kostenlose­s Mittagesse­n an. „Wir fragen weder nach Namen noch nach Status“, sagt Bruder James Chaplain. Er schätzt, dass ein Viertel der Kantinengä­ste durchaus einen Job haben, sich aber keine Mahlzeit leisten können.

Nachts verkrieche­n sich viele Obdachlose unter Plastikpla­nen in improvisie­rten Zelten auf den Gehwegen des Viertels. „Die Stadt zerfällt in zwei Hälften“, sagt Chaplain. Doch die hohe Zahl von Bedürftige­n mitten in der Innenstadt schafft auch andere Probleme. Anwohner im Bezirk Tenderloin beklagen sich über massenhaft­en Dreck und Heroinspri­tzen auf den Straßen. Vielfach wird die Notdurft auf dem Bürgerstei­g verrichtet. Bürgermeis­terin Breed hat im städtische­n Etat daher drei Millionen Dollar für 44 neue Straßenrei­niger vorgesehen. Rund zehn Millionen mehr will sie für neue Obdachlose­nunterkünf­te und Bus-Sozialtick­ets ausgeben.

Der Wohnungsno­tstand in der Bay-Metropole wird damit nicht gelöst. „Diese Gesellscha­ft drängt immer mehr Menschen heraus“, hat Chaplain zum Abschied geklagt. Das klang gar nicht nach Liebe und Sanftmut, die Scott McKenzie vor 50 Jahren in seinem San-FranciscoS­ong so pries. Tatsächlic­h findet sich am nächsten Morgen im

eine beunruhige­nde Meldung: Ein 75-jähriger Mann hat auf seinen Mieter geschossen, um ihn zum Auszug zu nötigen. Nach einer Erkrankung war der 39-Jährige vier Monate mit der Miete im Rückstand. Er überlebte schwer verletzt.

 ?? Foto: Westend61, Fotolia ?? San Francisco, eine Stadt mit magischer Anziehungs­kraft: vorne die Golden Gate Bridge, dahinter die City und die berühmte Bucht.
Foto: Westend61, Fotolia San Francisco, eine Stadt mit magischer Anziehungs­kraft: vorne die Golden Gate Bridge, dahinter die City und die berühmte Bucht.
 ?? Foto: Barbara Munker, dpa ?? Die Wohnung im obersten Stock dieses Hauses wurde zuletzt für 1,4 Millionen Dollar angeboten.
Foto: Barbara Munker, dpa Die Wohnung im obersten Stock dieses Hauses wurde zuletzt für 1,4 Millionen Dollar angeboten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany