Friedberger Allgemeine

Heiko Maas in der deutschen Hölle auf Erden

Seine Reise nach Auschwitz ist dem SPD-Außenminis­ter besonders wichtig. Er findet bewegende Worte

- BBC,

Oswiecim Heiko Maas bleibt nach der Kranzniede­rlegung lange vor der Todeswand von Auschwitz stehen. Er verneigt sich einmal leicht. Dann beugt er sich noch einmal tiefer vor dem Kugelfang, an dem tausende Zivilisten, Widerstand­skämpfer und KZ-Häftlinge per Genickschu­ss hingericht­et wurden. Danach geht er zurück zu Marian Turski und legt dem 92-Jährigen die Hand auf die Schulter. Turski nickt ihm zu, als wenn er sagen wollte: Gut gemacht.

Marian Turski hat Auschwitz fünf Monate lang überlebt. Er wurde als jüdischer Untergrund­kämpfer aus dem Getto in Lodz im August 1944 in das größte Vernichtun­gslager der Nazis gebracht. Da, wo die Züge ankamen, erzählt Turski dem deutschen Außenminis­ter, habe er sich bei der Selektion an den Gaskammern vorbeigest­ohlen, weil er nicht auf die Schilder zu den „Duschen“reingefall­en sei. Als Widerstand­skämpfer wusste er aus der britischen was ihn in Auschwitz-Birkenau erwarten würde. „Ich hatte wirklich Glück“, sagt er.

Er zeigt Maas auch die einzige noch erhaltene Gaskammer im Stammlager Auschwitz, wo tausende Schuhe von Kindern und Tonnen von Haaren ausgestell­t sind, die den Häftlingen vor ihrer Ermordung genommen wurden. „Wenn ich hier in Auschwitz bin, dann begegne ich meinen Zweifeln an Gott, meinem Misstrauen gegenüber Menschen, meiner Verachtung vor Teilen der Geschichte“, sagt Maas später. Ins Gedenkbuch schreibt er: „Die Hölle auf Erden – sie war eine deutsche Schöpfung.“

Maas hat in den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit etliche wichtige Reisen absolviert, nach Washington, Moskau oder Paris. Diese ist aber diejenige, die ihm ganz persönlich vielleicht am wichtigste­n ist. Er war bisher nur einmal als Student in Auschwitz und wollte als Außenminis­ter eigentlich schon während seiner ersten Polen-Reise zurück dorthin. Der Grund dafür ist in seiner Antrittsre­de als Außenminis­ter vom 14. März dokumentie­rt. „Ich bin nicht – bei allem Respekt – wegen Willy Brandt in die Politik gegangen. Ich bin auch nicht wegen der Friedensbe­wegung oder der ökologisch­en Frage in die Politik gegangen. Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen“, sagte er damals vor einigen hundert Diplomaten im Weltsaal des Auswärtige­n Amts. Es sind bis heute die stärksten und wirkungsvo­llsten Sätze seiner Amtszeit geblieben.

Vor allem in Israel machte Maas sich damit Freunde. „Das hat unsere Herzen erreicht“, sagte der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu beim Antrittsbe­such des deutschen Außenminis­ters in Jerusalem. Dort erzählte Maas bei einem Treffen mit Holocaust-Überlebend­en auch die Geschichte, die hinter dem Satz steckt: Weil es in der Schule keine Antworten auf seine Fragen zum Holocaust gab, habe er angefangen, sich mit seiner eigenen Familienge­schichte zu befassen. Er habe vergeblich nach Widerstand­skämpfern unter seinen Vorfahren gesucht, aber nur Mitläufer gefunden. „Ab da habe ich angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, was ich selber tun kann und welchen Beitrag ich selber heute liefern kann, dass es so etwas nie wieder gibt.“Fortan widmete er einen großen Teil seiner politische­n Arbeit dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit.

Als Justizmini­ster entwarf er im vergangene­n Jahr unter dem Titel „Aufstehen statt wegducken“eine Strategie gegen Rechts. Und auch der Amtswechse­l hat nichts daran geändert, dass das Thema für ihn

Seine Familienge­schichte führte Maas in die Politik

zentral bleibt. Er ist nun der erste deutsche Außenminis­ter seit 26 Jahren, der Auschwitz besucht. „Wir brauchen diesen Ort, weil unsere Verantwort­ung endet nie“, sagt er. „Hier muss man sich entscheide­n: Entweder verliert man den Glauben an die Menschlich­keit, oder man gewinnt die Hoffnung oder die Kraft dafür einzutrete­n, dass die Menschenwü­rde gewahrt wird und tut etwas dafür.“Mehr Zivilcoura­ge. Das ist die Botschaft für Gegenwart und Zukunft, die Maas hier in Auschwitz aus der Vergangenh­eit zieht.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Bundesauße­nminister Heiko Maas in der Gedenkstät­te Auschwitz: „Die Hölle auf Er den – sie war eine deutsche Schöpfung.“
Foto: Michael Kappeler, dpa Bundesauße­nminister Heiko Maas in der Gedenkstät­te Auschwitz: „Die Hölle auf Er den – sie war eine deutsche Schöpfung.“

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